Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Interview in der Oslobodjenje zu Bosnien und Herzegowina

In ihrer heutigen Ausgabe veröffentlichte die bosnsiche Tageszeitung Oslobodjenje ein Interview mit Marieluise Beck über ihr Engagement in Bosnien und Herzegowina, die vorläufige Absage der CDU an eine EU-Erweiterung über Kroatien hinaus und über grüne Argumente im kommen Bundestagswahlkampf. Lesen Sie hier das Interview:

Eine englische Übersetzung des Interviews finden Sie hier .

Oslobodjenje: Kürzlich hat der Bundestag das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EU mit Bosnien und Herzegowina ratifiziert.  Nach der Einbringung des entsprechenden Gesetzentwurf im Januar wurde er bereits Ende März vom Bundestag verabschiedet. Das ist im Vergleich zu sonstigen parlamentarischen Vorgängen auch in anderen großen EU-Ländern ungewöhnlich schnell. Wie kam es dazu?

Marieluise Beck: Zum einen ist die Ratifizierung des SAA mit Bosnien bei allen Parteien außer bei DIE LINKE gänzlich unumstritten. Auch ist der Bundestag sich der Dringlichkeit für Bosnien und Herzegowina bewusst. Zum anderen ist die Bundesregierung gezwungen, noch vor Ende der Legislaturperiode im Herbst die international unterzeichneten Verträge durch das Parlament ratifizieren zu lassen und sie damit rechtswirksam zu machen, so lange die Bundesregierung noch über die Unterstützung durch Mehrheit im Parlament verfügt.

O.: Ist die schnelle Ratifizierung des SAA ein Zufall, zumal wenn wir wissen, dass durch Ihre Hilfe eine Deutsch-Bosnische Parlamentariergruppe mitten in der Legislaturperiode eingereichtet wurde, was nicht sehr häufig passiert?

B.: In der Tat war die Einrichtung der Parlamentariergruppe mitten in der Legislaturperiode nicht einfach durchzusetzen und stellt ein Novum in der Geschichte des Bundestages dar. Für die rasche Ratifizierung des SAA durch den Bundestag bin ich aber ausnahmsweise einmal nicht verantwortlich.

O.: Kanzlerin Angela Merkel hat kürzlich die CDU-Strategie zur EU-Erweiterung präsentiert. Sie sagte, dass außer Kroatien vorerst kein weiteres Land Mitglied der EU werden könne und sandte damit eine wirklich unerfreuliche Botschaft an die Länder des westlichen Balkans. Würden Sie ihr zustimmen?

B.: Ich finde es enttäuschend und politisch unverantwortlich, dass die CDU und damit auch Kanzlerin Merkel in ihrem Wahlprogramm der Erweiterung der EU über Kroatien hinaus erst einmal eine Absage erteilen. Damit geht die CDU auf Stimmenfang bei jenen, die sowohl der EU als auch ihrer Erweiterung ablehnend gegenüber stehen. Angesichts der dramatischen Wirtschaftskrise haben viele Leute das Gefühl, hinter abgeschotteten Grenzen kämen sie besser zurecht. Das allerdings ist für eine Exportnation wie Deutschland ein grober Irrglaube.

Für Bosnien gilt außerdem:  Der Westen hat mit Dayton diesem Land eine Verfassung oktroyiert, die das Land schwer regierbar macht. Daraus jetzt abzuleiten, dass es notfalls aus der EU draußen bleiben müsse, finde ich angesichts der Kriegsereignisse grob ungerecht.

Es muss aber eine zweite Botschaft an die Menschen in Bosnien geben: die Überwindung der Trennung des Landes in Entitäten, die oft gegensätzliche Interessen vertreten, kann nur von den Bürgerinnen und Bürgern selbst politisch herbeigeführt werden.

Ich wünsche mir sehnlich, dass in Bosnien die Menschen gewählt werden, die die Überwindung der Teilung – auch mit einer neuen Verfassung – ganz oben auf ihre Tagesordnung setzen. Nur die Überwindung des ethnischen Denkens und des übersteigerten Nationalismus  wird Bosnien den Weg nach Europa eröffnen. Je mehr man sich in Bosnien und Herzegowina beeilt und Fortschritte macht, umso größer wird der Druck auf die EU wegen des Beitritts, und umgekehrt.

O.: Bald werden in Deutschland Bundestagswahlen stattfinden. Werden Sie erneut kandidieren?

B.: Ja. Erfreulicherweise haben mich die Grünen in meiner Heimatstadt Bremen auf Platz 1 ihrer Liste für den Bundestag gesetzt. Nun kann ich mir nur wünschen, dass auch die eingebürgerten Bosnier in Bremen kräftig zur Wahlurne gehen und dafür sorgen, dass ich im  nächsten deutschen Bundestag wieder vertreten bin und für Bosnien und Herzegowina streiten kann.

O.: Was sind Ihre Botschaften und Ihr Programm das Sie Ihren Wählern in Bremen präsentieren?

B.: Die globale Wirtschaftskrise überlagert natürlich alle Debatten. Lebenswichtige Themen wie die bedrohlichen Klimaveränderungen, die Energieengpässe und der Kampf um das Wasser , der in manchen Teilen der Welt schon begonnen hat, treten dabei leider in den Hintergrund.  Für mich als Ökologin gehören aber die Wirtschafts- und die ökologische Krise zusammen. Alle Staaten nehmen derzeit viel Geld in die Hand, um die wirtschaften zu stützen. Dieses Geld muss gleichzeitig dazu genutzt werden, um die Tür aufzustoßen für das ökologische Zeitalter. Wir brauchen neue intelligente Technologien zur regenerativen Energiegewinnung, wir müssen den Klimawandel, der ja begonnen hat, begleiten, kurz: der Sprung ins solare Zeitalter steht an.  Dafür sollten die Staatsmilliarden jetzt genutzt werden, statt Überholtes zu bewahren.

O.: Wie schätzen Sie als ehemalige Integrationsbeauftragte und Staatssekretärin im Familienministerium die derzeitige Migrationspolitik in Deutschland ein, besonders im Hinblick auf die derzeit bestimmende Frage nach Integration oder Assimilation?

B.: Deutschland war faktisch seit den 50iger Jahren ein Einwanderungsland, hat aber nichts getan, um diese Realität anzuerkennen, geschweige denn zu gestalten. Die Kosten dieses Versäumnisses sind nach wie vor hoch: Einwandererkinder haben immer noch schlechte Schulabschlüsse, die Arbeitslosigkeit unter den Einwanderern ist hoch und die Armut dementsprechend auch.

Dabei sind wir eine dramatisch alternde Bevölkerung. Wenn es uns nicht gelingt, die Intelligenz, die Leistungsfähigkeit, die Neugier und das Zugehörigkeitsgefühl der Einwanderer  zu wecken, werden wir in der Tat alt aussehen.

Wir brauchen Kindergärten und Schulen, die sich auf unsere bunt zusammengesetzte Kinderschar einstellen – und diese nicht als Last, sondern als Gewinn betrachten. Dafür müssen wir diese Kinder auch zu unseren Staatsbürgern machen – wie rot-grün zu meiner Zeit als Ausländerbeauftragte es angeschoben hat.

Die Einwanderer müssen sich  auch wirklich als Teil dieses Landes fühlen, sie müssen sich zugehörig fühlen, sich mit diesem Land identifizieren.  Ob man das nun Integration oder Assimilation nennt, ist zweitrangig. In der zweiten, dritten und vierten Generation verwischen sich manche Grenzen der Herkunft, über Heirat, über die Kinder, die in die neue Gesellschaft hineinwachsen.

Unser Grundgesetzt schreibt das Recht auf kulturelles Anderssein fest – und das ist gut so. Gleichzeitig müssen die Türen der Gesellschaft so weit aufstehen, dass jeder ein gleichberechtigter Bürger dieses Landes werden kann – und ich wünsche mir: auch werden will. 

O.: Wie schätzen Sie die Tatsache ein, dass in Deutschland keine doppelten Staatsbürgerschaften erlaubt sind. Warum ist das Gesetz hier so restriktiv und ist eine Lockerung der Bestimmungen in Aussicht?

B.: Als wir unter der rot-grünen Bundesregierung das Staatsbürgerschaftsrecht reformieren wollten, mussten wir wegen der Kräfteverhältnisse im Bundesrat den Kompromiss mit der Opposition suchen. Die Opposition wollte doppelte Staatsbürgerschaften verhindern. Heute bin ich mir sicher, dass es der CDU vor allem darum ging, „Doppelstaatler“ zu verhindern, die potentielle Wähler von SPD und Grünen hätten werden können. Alle Kinder aus binationalen Ehen haben zwei Pässe und kein Mensch regt sich darüber auf. Es fragt auch niemand, zu welchem Land sie denn nun loyal seien. Anders als in der West-Herzegowina, wo der kroatische Pass tatsächlich dazu führt, dass die Menschen in zwei Ländern wählen, was ich hochproblematisch finde, war das Doppelwahlrecht hier in Deutschland nicht das Problem. Der Kampf um das Doppelstaatsrecht war ausschließlich ein innenpolitischer Machtkampf

O.: Werden die Grünen nach den kommenden Wahlen in die Regierung zurückkehren?

B.: Das wissen heute nur die Wahrsager. Deutschland ist zu einem Land mit 5 Parlamentsparteien geworden und die Regierungsbildung daher nicht mehr so einfach wie früher. Politisch ist die Schnittmenge zwischen rot und grün noch immer am größten. Das wird angesichts der Schwäche der SPD allerdings kaum für eine Mehrheit reichen. Ob wir dann ein Dreierbündnis bekommen werden mit der  FDP, ob es vielleicht doch für schwarz-gelb reicht oder ob es noch einmal eine große Koalition gibt, obwohl die Partner kaum noch in der Lage zu einem sinnvollen Dialog sind, müssen wir abwarten.

Oslobodjenje: Kürzlich hat der Bundestag das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EU mit Bosnien und Herzegowina ratifiziert.  Nachdem Einbringung des entsprechenden Gesetzentwurf im Januar wurde er bereits Ende März vom Bundestag verabschiedet. Das ist im Vergleich zu sonstigen parlamentarischen Vorgängen auch in anderen großen EU-Ländern ungewöhnlich schnell. Wie kam es dazu?

Marieluise Beck: Zum einen ist die Ratifizierung des SAA mit Bosnien bei allen Parteien außer bei DIE LINKE gänzlich unumstritten. Auch ist der Bundestag sich der Dringlichkeit für Bosnien und Herzegowina bewusst. Zum anderen ist die Bundesregierung gezwungen, noch vor Ende der Legislaturperiode im Herbst die international unterzeichneten Verträge durch das Parlament ratifizieren zu lassen und sie damit rechtswirksam zu machen, so lange die Bundesregierung noch über die Unterstützung durch Mehrheit im Parlament verfügt.

O.: Ist die schnelle Ratifizierung des SAA ein Zufall, zumal wenn wir wissen, dass durch Ihre Hilfe eine Deutsch-Bosnische Parlamentariergruppe mitten in der Legislaturperiode eingereichtet wurde, was nicht sehr häufig passiert?

B.: In der Tat war die Einrichtung der Parlamentariergruppe mitten in der Legislaturperiode nicht einfach durchzusetzen und stellt ein Novum in der Geschichte des Bundestages dar. Für die rasche Ratifizierung des SAA durch den Bundestag bin ich aber ausnahmsweise einmal nicht verantwortlich.

O.: Kanzlerin Angela Merkel hat kürzlich die CDU-Strategie zur EU-Erweiterung präsentiert. Sie sagte, dass außer Kroatien vorerst kein weiteres Land Mitglied der EU werden könne und sandte damit eine wirklich unerfreuliche Botschaft an die Länder des westlichen Balkans. Würden Sie ihr zustimmen?

B.: Ich finde es enttäuschend und politisch unverantwortlich, dass die CDU und damit auch Kanzlerin Merkel in ihrem Wahlprogramm der Erweiterung der EU über Kroatien hinaus erst einmal eine Absage erteilen. Damit geht die CDU auf Stimmenfang bei jenen, die sowohl der EU als auch ihrer Erweiterung ablehnend gegenüber stehen. Angesichts der dramatischen Wirtschaftskrise haben viele Leute das Gefühl, hinter abgeschotteten Grenzen kämen sie besser zurecht. Das allerdings ist für eine Exportnation wie Deutschland ein grober Irrglaube.

Für Bosnien gilt außerdem:  Der Westen hat mit Dayton diesem Land eine Verfassung oktroyiert, die das Land schwer regierbar macht. Daraus jetzt abzuleiten, dass es notfalls aus der EU draußen bleiben müsse, finde ich angesichts der Kriegsereignisse grob ungerecht.

Es muss aber eine zweite Botschaft an die Menschen in Bosnien geben: die Überwindung der Trennung des Landes in Entitäten, die oft gegensätzliche Interessen vertreten, kann nur von den Bürgerinnen und Bürgern selbst politisch herbeigeführt werden.

Ich wünsche mir sehnlich, dass in Bosnien die Menschen gewählt werden, die die Überwindung der Teilung – auch mit einer neuen Verfassung – ganz oben auf ihre Tagesordnung setzen. Nur die Überwindung des ethnischen Denkens und des übersteigerten Nationalismus  wird Bosnien den Weg nach Europa eröffnen. Je mehr man sich in Bosnien und Herzegowina beeilt und Fortschritte macht, umso größer wird der Druck auf die EU wegen des Beitritts, und umgekehrt.

O.: Bald werden in Deutschland Bundestagswahlen stattfinden. Werden Sie erneut kandidieren?

B.: Ja. Erfreulicherweise haben mich die Grünen in meiner Heimatstadt Bremen auf Platz 1 ihrer Liste für den Bundestag gesetzt. Nun kann ich mir nur wünschen, dass auch die eingebürgerten Bosnier in Bremen kräftig zur Wahlurne gehen und dafür sorgen, dass ich im  nächsten deutschen Bundestag wieder vertreten bin und für Bosnien und Hercegowina streiten kann.

O.: Was sind Ihre Botschaften und Ihr Programm das Sie Ihren Wählern in Bremen präsentieren?

B.: Die globale Wirtschaftskrise überlagert natürlich alle Debatten. Lebenswichtige Themen wie die bedrohlichen Klimaveränderungen, die Energieengpässe und der Kampf um das Wasser , der in manchen Teilen der Welt schon begonnen hat, treten dabei leider in den Hintergrund.  Für mich als Ökologin gehören aber die Wirtschafts- und die ökologische Krise zusammen. Alle Staaten nehmen derzeit viel Geld in die Hand, um die wirtschaften zu stützen. Dieses Geld muss gleichzeitig dazu genutzt werden, um die Tür aufzustoßen für das ökologische Zeitalter. Wir brauchen neue intelligente Technologien zur regenerativen Energiegewinnung, wir müssen den Klimawandel, der ja begonnen hat, begleiten, kurz: der Sprung ins solare Zeitalter steht an.  Dafür sollten die Staatsmilliarden jetzt genutzt werden, statt Überholtes zu bewahren.

O.: Wie schätzen Sie als ehemalige Integrationsbeauftragte und Staatssekretärin im Familienministerium die derzeitige Migrationspolitik in Deutschland ein, besonders im Hinblick auf die derzeit bestimmende Frage nach Integration oder Assimilation?

B.: Deutschland war faktisch seit den 50iger Jahren ein Einwanderungsland, hat aber nichts getan, um diese Realität anzuerkennen, geschweige denn zu gestalten. Die Kosten dieses Versäumnisses sind nach wie vor hoch: Einwandererkinder haben immer noch schlechte Schulabschlüsse, die Arbeitslosigkeit unter den Einwanderern ist hoch und die Armut dementsprechend auch.

Dabei sind wir eine dramatisch alternde Bevölkerung. Wenn es uns nicht gelingt, die Intelligenz, die Leistungsfähigkeit, die Neugier und das Zugehörigkeitsgefühl der Einwanderer  zu wecken, werden wir in der Tat alt aussehen.

Wir brauchen Kindergärten und Schulen, die sich auf unsere bunt zusammengesetzte Kinderschar einstellen – und diese nicht als Last, sondern als Gewinn betrachten. Dafür müssen wir diese Kinder auch zu unseren Staatsbürgern machen – wie rot-grün zu meiner Zeit als Ausländerbeauftragte es angeschoben hat.

Die Einwanderer müssen sich  auch wirklich als Teil dieses Landes fühlen, sie müssen sich zugehörig fühlen, sich mit diesem Land identifizieren.  Ob man das nun Integration oder Assimilation nennt, ist zweitrangig. In der zweiten, dritten und vierten Generation verwischen sich manche Grenzen der Herkunft, über Heirat, über die Kinder, die in die neue Gesellschaft hineinwachsen.

Unser Grundgesetzt schreibt das Recht auf kulturelles Anderssein fest – und das ist gut so. Gleichzeitig müssen die Türen der Gesellschaft so weit aufstehen, dass jeder ein gleichberechtigter Bürger dieses Landes werden kann – und ich wünsche mir: auch werden will. 

O.: Wie schätzen Sie die Tatsache ein, dass in Deutschland keine doppelten Staatsbürgerschaften erlaubt sind. Warum ist das Gesetz hier so restriktiv und ist eine Lockerung der Bestimmungen in Aussicht?

B.: Als wir unter der rot-grünen Bundesregierung das Staatsbürgerschaftsrecht reformieren wollten, mussten wir wegen der Kräfteverhältnisse im Bundesrat den Kompromiss mit der Opposition suchen. Die Opposition wollte doppelte Staatsbürgerschaften verhindern. Heute bin ich mir sicher, dass es der CDU vor allem darum ging, „Doppelstaatler“ zu verhindern, die potentielle Wähler von SPD und Grünen hätten werden können. Alle Kinder aus binationalen Ehen haben zwei Pässe und kein Mensch regt sich darüber auf. Es fragt auch niemand, zu welchem Land sie denn nun loyal seien. Anders als in der West-Herzegowina, wo der kroatische Pass tatsächlich dazu führt, dass die Menschen in zwei Ländern wählen, was ich hochproblematisch finde, war das Doppelwahlrecht hier in Deutschland nicht das Problem. Der Kampf um das Doppelstaatsrecht war ausschließlich ein innenpolitischer Machtkampf

O.: Werden die Grünen nach den kommenden Wahlen in die Regierung zurückkehren?

B.: Das wissen heute nur die Wahrsager. Deutschland ist zu einem Land mit 5 Parlamentsparteien geworden und die Regierungsbildung daher nicht mehr so einfach wie früher. Politisch ist die Schnittmenge zwischen rot und grün noch immer am größten. Das wird angesichts der Schwäche der SPD allerdings kaum für eine Mehrheit reichen. Ob wir dann ein Dreierbündnis bekommen werden mit der  FDP, ob es vielleicht doch für schwarz-gelb reicht oder ob es noch einmal eine große Koalition gibt, obwohl die Partner kaum noch in der Lage zu einem sinnvollen Dialog sind, müssen wir abwarten.

O.: Inzwischen haben grüne Ideen universelle Bedeutung weltweit erlangt. Wird dies bei den zukünftigen Wahlen Ihr Vor- oder Nachteil sein?

B.: Grundsätzlich freue ich mich, dass grüne Ideen inzwischen als universell verstanden werden. Wir Grüne haben zu dieser Entwicklung weit über Deutschlands Grenzen hinaus  beigetragen. Natürlich scheint es manchmal deswegen etwas schwierig, sich von den anderen Parteien abzugrenzen.  Aber gerade in der großen Krise sieht man wieder, dass wir Grüne unverzichtbar sind.

Während jetzt mit viel Staatsgeld von den regierenden Parteien noch einmal alte Strukturen bewahrt und überholte Produkte am Leben gehalten werden sollen, wollen wir die Krise nutzen, um endlich den notwendigen Schritt zum ökologischen Umbau unserer Gesellschaften voranzutreiben.

Es kann nicht darum gehen, eine veraltete Autoindustrie, die große Überkapazitäten hat, mit Steuergeldern zu stützen statt ein modernes Verkehrsnetz auszubauen, dass dem 21. Jahrhundert gerecht wird. Es kann nicht darum gehen, teure und nur auf vierzig Jahre Lebensdauer angelegte Atomkraftwerke zu bauen, wo wir dringend die Energie nutzen müssen, die so lange da ist wie der Mensch da sein wird, nämlich die Sonne.

Wir brauchen ein großes europäisches Energieverbundnetz, wir brauchen Forschung und Entwicklung, um den CO2-Ausstoß unserer Gesellschaften drastisch zu vermindern. Es warten wichtigere Aufgaben, als die Konservierung des Alten. Das sind grüne Aufgaben – und sie stellen sich nicht nur in Deutschland sondern weltweit.  

O.: Sind Sie als Mitglied des Auswärtigen Ausschusses der Meinung, dass für Deutschland an der Zeit ist, nicht nur global zu denken sondern auch zu handeln? Bedarf es hierfür eines Mentalitätswandels in der Bevölkerung und im politischen Mainstream?

B.: Bis zum Fall der Mauer war das geteilte Deutschland gleichsam eine internationale Nische. Wir waren nicht souverän und die Erwartungen an uns auch nicht so hoch. Das hat sich mit dem Fall der Mauer drastisch geändert. Die Erwartungen an das nun vereinigte Deutschland sind gewachsen – das sieht unsere Bevölkerung nicht immer gerne.

Ich bin eine glühende Menschenrechtlerin und Internationalistin. Wir brauchen unsere internationalen Institutionen, nicht nur für die großen Zukunftsfragen wie die Ökologie sondern auch für Frieden und Menschenrechte.

Dafür brauchen wir eine starke UN, eine handlungsfähige EU , eine lebendige OSZE und andere Gremien.

Ich finde es einen Skandal, dass in Darfur seit Jahren die Menschen gequält, verfolgt und gemordet werden – und die Welt schaut hilflos zu. Die Atombombe in den Händen einer iranischen Regierung, die offen mit der Auslöschung des Staates Israel droht, ist eine Gefahr für uns alle und nur alle Staaten gemeinsam können sie verhindern. Und auch der Angriff auf das freie westliche Lebensmodell durch fundamentalistische Extremisten kann nur gemeinsam abgewehrt werden. Es gibt also keinen Weg zurück in die Nische vor dem Fall der Mauer.

O.: Woher kommt Ihr Engagement und Ihre Leidenschaft für Bosnien und Herzegowina?

B.: Ich bin 1952 geboren worden. Das heißt, meine Eltern waren erwachsene Bürger des faschistischen Deutschland und sie haben still gehalten, als die Diskriminierung, die Vertreibung und schließlich das große Morden an ihren jüdischen Nachbarn begann. Ich werde nie verstehen,  wie es in der Kulturnation Deutschland möglich war, dass so viel Böses, so ein Hass, so eine unmenschliche, flächendeckende Brutalität und der Verlust jeglicher ethischer Werte möglich wurden. Dieses Entsetzen über die Vergangenheit ist heute mein Kompass.

Als Vertreibung und Mord das zerfallende Jugoslawien überzogen, versuchten wir die Welt davon zu überzeugen, dass sie nicht wegschauen dürften. Heute heißt das, z. B. an der Seite der Bürgerrechtler in Russland zu stehen, die sich gegen das Vergessen gegenüber den Schrecken des Stalinismus stellen. Oder bei den Tibetern zu sein, die sich gegen die kulturelle Ausmerzung durch die chinesischen Machthaber zur Wehr setzen. Es heißt, den Völkermord in Ruanda nicht als Betriebsunfall der UNO durchgehen zu lassen. Und es bedeutet auch, dass es nie ein zweites Srebrenica im Europa des 21. Jahrhunderts geben darf. Nicht in Europa und nicht in Afrika oder anderen Teilen der Welt.

Eine innere Überzeugung gibt viel Kraft – und es ist letztlich immer die Begegnung mit den Menschen, die mir die Energie gibt, mich recht unbeirrt weiter zu engagieren.

O.: Ist es wahr, dass sie während des Krieges bosnischen Flüchtlingsfamilien in Ihrem Haus Zuflucht gewährt haben?

B.: Seit Weihnachten 1992 stets bosnische Familien bei uns. Die erste Familie ging am letzten Tag vor der kroatischen Blockade zurück nach Lukavac. Die Frau und ihre Kinder hatten ein Leben außerhalb des Kriegsgebietes ohne die Nähe zu ihren Lieben nicht ausgehalten. Die nächste Familie kam aus Zivinice. Eine Ärztin mit zwei kleinen Buben, die manchmal mit ihrer Wildheit meine beiden kleinen braven Mädchen aus der Fassung brachten. So manches liebevoll gemalte Mädchenbild ist da dem Überfall zweier wilder bosnischer Machos zum Opfer gefallen.

Die dritte Familie kam aus Modrica. Sie waren Angehörige unterschiedlicher bosnischer Volksgruppen und sind leider nicht nach Bosnien und Herzegowina zurückgekehrt, weil sie das Gefühl hatten, dass sie doch nicht mehr würden leben können. Sie sind jetzt in Kanada. Ich war über diese Entwicklung sehr traurig. Denn mit dieser Auswanderung hatten die Nationalisten wieder einmal einen kleinen Sieg errungen.

O.: Sie werden morgen nach Sarajewo kommen. Was ist der Grund für Ihre Reise?

B.: Man hört in letzter Zeit wenig Erfreuliches. Die notwendigen Reformen in Bosnien-Herzegowina kommen nicht voran. Schlimmer noch: Politiker wie der Präsident der Republika Srpska drohen mit Referenden zur Abspaltung ihrer Entität. Zugleich denken Regierungen mehrer Staaten, die Mitglied im „Peace Implementation Council“ sind, seit Monaten schon laut über das Ende des OHR nach. Statt ihn zu unterstützen, schwächen sie damit zusätzlich die Autorität und Durchsetzungsfähigkeit des Hohen Repräsentanten. Nun ist zu hoffen, dass sich das jetzt nach der Ernennung von Valentin Inzko zum neuen Vertreter von UN und EU in Sarajevo ändert. Das OHR ist nicht populär in Bosnien-Herzegowina, und es hat auch tatsächlich eine sehr wechselvolle Geschichte. Natürlich mag es kein gewählter Politiker, dass seine Entscheidungen von einer anderen Institution außer Kraft gesetzt werden können. Aber die Entwicklungen in Bosnien-Herzegowina beweisen, dass das OHR noch nötig ist.

Auf allen Seiten, in allen Entitäten wird nationalistische statt gesamtstaatliche Politik gemacht, das Land kommt deshalb nicht voran. So wird das OHR nicht überflüssig und die EU rückt nur sehr langsam näher. Mit Kompromissen wie bei der Polizeireform kann auch die EU die Stagnation nicht dauerhaft vertuschen. Das Stabilisierungs- und Assoziierungs-Abkommen ist eine große Chance für das Land. Es muss jedoch substantiell gefüllt und umgesetzt werden. Das klingt vielleicht wie eine Phrase, aber es ist ernst und es ist eine echte Herausforderung für beide Seiten. Vor allem aber erfordert es einen grundsätzlichen Politikwandel in Bosnien-Herzegowina selbst. Das muss immer wieder klar gesagt werden, nicht nur vom Hohen Repräsentanten, sondern auch von allen anderen Politikern aus der EU, denen die Entwicklung Bonsien und Herzegowinas am Herzen liegt.

O.: Was halten Sie von dem neuen Hohen Repräsentanten Herrn Inzko? Wird er durch Deutschland eine starke Unterstützung erhalten?

B.: Valentin Inzko ist ein erfahrener Diplomat. ER kennt sich sehr gut in den Ländern des westlichen Balkans und in der Geschichte des Zerfalls Jugoslawiens aus. Insofern ist er eine sehr gute Besetzung des Hohen Repräsentanten. Wichtiger ist jedoch, dass er von den Institutionen, die ihn entsandt haben, auch die notwendige Unterstützung erfährt. Er wie seine Vorgänger können nur erfolgreich sein, wenn sie ernst genommen werden. Und das bedeutet, dass jeder Verantwortliche in Bosnien-Herzegowina wissen muss: hinter Valentin Inzko steht die internationale Staatengemeinschaft und steht die EU.

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