Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede zur Verlängerung des KFOR-Einsatzes der Bundeswehr für das Kosovo

Am 10. Juni 2010 debattierte der Bundestag die Verlängerung des KFOR-Mandats der Bundeswehr für das Kosovo um ein weiteres Jahr. Das diesjährige Mandat sieht eine verringerung der maximalen Truppenstärke von 3.500 auf 2.500 Soldaten vor. Aktuell befinden sich ca. 1.500 Soldatinnen und Soldaten im Kosovo. Traditionell wird die Mandatsdebatte für eine weiter gefasste Diskussion über die politische Strategie für die Region genutzt.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen brachten zum Mandatsantrag der Bundesregierung einen eigenen Entschließungsantrag ein, der die grünen Forderungen für eine verantwortliche Kosovo-Politik darlegt. Lesen Sie hier den Entschließungsantrag zum KFOR-Mandat von Bündnis 90/Die Grünen.

Der grüne Entschließungsantrag wurde mit Stimmen der Koalition und der LINKEN abgelehnt. Die SPD enthielt sich bei der Abstimmung über den Antrag. Das KFOR-Mandat wurde mit 486 Stimmen um ein weiteres Jahr verlängert. 71 Abgeordnete stimmten dagegen, 10 Abgeordnete enthielten sich ihrer Stimme.

Sehen Sie hier den Debattenbeitrag von Marieluise Beck als Video.

Lesen Sie hier den Redetext von Marieluise Beck:

M arieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Obwohl ich - derzeit noch - aus strukturellen Gründen nach den Linken spreche, möchte ich nicht immer in die Lage geraten, eine kleine Geschichtsstunde geben zu müssen. Wir sollten deshalb den vorangegangenen Redebeitrag beiseite lassen und uns den Realitäten zuwenden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP - Sevim Dagdelen (DIE LINKE): Wie Sie das Völkerrecht zur Seite getan haben!)

Für meine Fraktion möchte ich festhalten: Die Präsenz der KFOR im Kosovo ist nach wie vor notwendig. Sie kann reduziert werden; das ist erfreulich. Deswegen stimmt meine Fraktion der Verlängerung des UN‑gedeckten Mandates zu.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU)

Allerdings gibt es zu der Entwicklung im Kosovo ‑ wir sollten uns die Verhältnisse nicht schönreden ‑ sehr viel Kritisches zu sagen. Das will ich hier deutlich tun.

Die Kritik betrifft viele Beteiligte, sowohl die kosovarische Regierung als auch die Europäische Union, die VN und nicht zuletzt Serbien. Zehn Jahre nach Ende des Krieges sind die große Erleichterung aufseiten der Kosovo-Albaner über ein Ende der jahrelangen Unterdrückung, gegen die Herr Rugova mit seiner durch und durch gewaltfreien Bewegung über Jahre friedlich gekämpft hatte, und die Freude über die Unabhängigkeit einer zunehmenden Frustration gewichen. Die Lebensverhältnisse im Kosovo sind sehr schwierig. Es bewegt sich wenig. Vieles ist unklar. Das Leben im Kosovo ist für viele kaum leichter geworden.

Manches war absehbar. Vieles war kaum vermeidbar. Das ist das Schwierige. Der Westen stand vor der Gefahr eines zweiten Bosnien mit über 100 000 Toten, Frau Kollegin. Srebrenica lag noch nicht lange zurück. Der UN-Sicherheitsrat erwies sich als nicht handlungs- und entscheidungsfähig. Das war die Situation, in der agiert wurde und die in der Tat viele Unklarheiten nach sich gezogen hat. An diesem Konstruktionsfehler leidet dieses Land bis heute. Diese Unklarheit wirkt auch einer schnelleren Entwicklung entgegen.

Probleme gibt es aber auch im eigenen Haus, innerhalb der Europäischen Union, und das nicht zum ersten Mal. Es ist kaum nachvollziehbar, dass fünf Mitgliedstaaten der Europäischen Union die Anerkennung des Kosovo mit dem Verweis auf die Gefahr eines Präzedenzfalls nach wie vor verweigern. So als könnte etwa eine Regierung Spaniens schlussfolgern, sie könne wie eine Milosevic-Regierung die ethnischen Minderheiten im eigenen Land bedrohen. Das könne zu einer Sezession führen. Das ist so absurd und so abwegig, dass man den Ländern, die die Anerkennung des Kosovo verweigern, sagen muss: Werdet gelassen, glaubt an eure eigene Demokratiefähigkeit und erkennt zusammen mit den anderen EU-Staaten das Kosovo an, damit das Durcheinander der Organisationsstrukturen endlich aufhört!

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

EULEX muss in unterschiedlichen Gewändern auftreten. Im größeren Teil vom Kosovo ist sie eine statusneutrale Mission. Im Norden von Mitrovica muss diese Mission unter dem Dach von UNMIK agieren. Es fehlt natürlich an Autorität und Durchsetzungsfähigkeit. Das konnte man sehen, als Serbien im Norden Mitrovicas, also in einem Mandatsgebiet der UNMIK, das durch Serbien mit der UN-Resolution anerkannt worden ist, eigene Staatsanwälte und Richter ernannt hat. Das führt natürlich zu einem ständigen Hemmnis für die Entwicklung, gerade auch für die Entwicklung von Rechtsstaatlichkeit, die dieses Land dringend bräuchte.

Noch eine Fußnote: An der KFOR-Mission ist Deutschland überproportional, an EULEX mit Richter, Staatsanwälte und Polizisten unterproportional beteiligt. Das ist ein schlechtes Zeugnis für Deutschland. Ich möchte hier noch einmal öffentlich sagen, dass Menschen, die solche zivilen Mandate innegehabt haben und nach Deutschland zurückgekommen sind, immer wieder Beförderungshindernisse erleben. Dagegen sollten wir wirklich ganz massiv angehen. Solche zivilen Missionen werden in ihrer Anzahl nämlich größer werden, und der Bedarf an Personen, die sich daran beteiligen, wird wachsen. Diejenigen, die bereit sind, dabei mitzumachen, sollen nach ihrer Rückkehr keine Nachteile erfahren.

Ich komme noch einmal auf die Rolle Serbiens zu sprechen. Wie ich eben schon gesagt habe, ist UNMIK von Serbien mit der UN-Resolution 1244 anerkannt; insofern steht dieses Manöver wie die eigene Ernennung von Staatsanwälten und Richtern gegen das eigene Mandat. Noch dramatischer ist, dass am 30. Mai von serbischer Seite zum wiederholten Mal Kommunalwahlen in Nord-Mitrovica ausgetragen worden sind. Das hat auch in diesem Jahr fast zu einer großen gewalttätigen Auseinandersetzung geführt. Es gab in den vergangenen Jahren Tote. Zum Glück gab es in diesem Jahr keine Toten. Das ist ein Beweis dafür, dass die Polizei, die inzwischen im Wesentlichen kosovarisch ist, unter Einbeziehung serbischer Polizisten durchaus handlungsfähig ist. Auch wenn die notwendigen Schritte nur langsam vollzogen worden sind, ist es ein großer Fortschritt, wenn bei gewalttätigen Auseinandersetzungen keine Menschen mehr sterben. Auch das ist eine Folge der KFOR-Mission.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Für die Zukunft des Landes muss sehr deutlich sein, dass die Europäische Union glaubwürdig ist. Sie muss in ihren Ansagen klar sein. Das bedeutet auch Klarheit gegenüber Serbien, das ziemlich eindeutig zum Ausdruck bringt, dass es auf eine Teilung des Kosovo hinarbeitet. Die Europäische Union muss Serbien sagen: Der Zugang zur Europäischen Union wird offen sein für ein unabhängiges Kosovo und für ein freies Serbien. Beide werden sich auf neuer Geschäftsgrundlage unter dem Dach der EU treffen können. Serbien wird sich aber selber den Weg verstellen, wenn es an der Frage Kosovo ‑ Nord-Mitrovica ist ein Beispiel dafür ‑ weiterhin zündelt.

Die Zukunft dieser Region liegt auch in einer sehr eindeutigen, glaubwürdigen und starken Haltung der Europäischen Union. Wir sind da nicht immer top; das muss man deutlich sagen. Unsere Stärke wird letztlich auch mit ausschlaggebend dafür sein, ob wir dort eine Perspektive entwickeln können, damit der Westbalkan nicht ‑ wie das immer und immer wieder der Fall war ‑ zu einer Quelle ganz Europa gefährdender Auseinandersetzungen wird.

Schönen Dank.

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Lesen Sie hier das vollständige Bundestagsprotokoll vom 10. Juni 2010, in dem auch alle anderen Debattenbeiträge zum KFOR-Mandat enthalten sind.

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