Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Was tun mit der Diktatur in Weißrussland?

Trotz des Zwists mit Russland wird sich der weißrussische Präsident Lukaschenko weiter an der Macht halten, schreibt Marieluise Beck in der NetZeitung. Die Grünen-Politikerin sieht dennoch die Chance für eine Demokratisierung des Landes:

An diesem Wochenende treffen sich die Außenminister der Europäischen Union zu einem informellen Treffen in Bremen. Auf der Agenda steht auch Weißrussland. Das kleine Land zwischen Russland und Polen gilt als letzte Diktatur Europas und war für die EU bisher vor allem als Transitland von Gas und Öl aus Russland von Interesse. Seit sich die Regime der beiden «Brudervölker» und einstigen Sowjetgenossen Russland und Weißrussland im Energiestreit zur Jahreswende miteinander komplett überworfen haben, kann sich ein Window of Opportunity für das kleine Land öffnen.

Präsident Lukaschenko ist verärgert, dass der Kreml neue Preise für den Partner der Zoll-Union diktiert hat. Wenn er dann in russischen Medien die einseitige Ausrichtung auf Russland als Fehler bezeichnet und die Knüpfung guter Kontakte zur EU ankündigt, ist das eher als Drohung gen Russland zu verstehen denn als Angebot an die EU. Geschickt spielt er hierbei mit dem postimperialen Trauma eines in seinem territorialen Einflussbereich schrumpfenden Russlands.

Und er spielt mit Politikern der EU, von denen einige in seinen Äußerungen vorschnell eine reale Öffnung zur Europäischen Union und ihren Werten ausmachen. Lukaschenko wird nicht voreilig seine Macht aufgeben – denn dies hätte er als Folge demokratischer Reformen zu befürchten. Fragt sich also, was tun mit der Diktatur in Weißrussland?

Die gestiegenen Energiepreise werden die bisher scheinbar solide Volkswirtschaft von Weißrussland deutlich unter Druck setzen. Immerhin hat Russland mit niedrigen Gas- und Ölpreisen das Land mit rund 6,5 Milliarden US-Dollar pro Jahr subventioniert. Die zu erwartenden ökonomischen Verwerfungen als Folge der gestiegenen Gas- und Ölpreise werden das potemkinsche Dorf der Wirtschaft in Weißrussland zerstören und damit innenpolitischen Druck auf Lukaschenko erzeugen.

Er wird deshalb die Kooperation mit der Europäischen Union suchen. Hierbei gilt es, von den Forderungen nach Entlassung politischer Gefangener und demokratischen Reformen nicht voreilig abzurücken. Abgesehen von einer bekundeten Gesprächsbereitschaft hat das Regime noch keine substantiellen Schritte unternommen, die geeignet wären, die EU vom tatsächlichen Reformwillen in Minsk zu überzeugen.

Es gibt neben dem wünschenswerten Dialog auf staatlicher Ebene aber auch Schritte, die die EU einseitig unternehmen kann, um die Demokratisierung in Weißrussland voran zu treiben. Dazu zählt eine Nachbarschaftspolitik, die der spezifischen Situation eines autoritären Regimes Rechnung trägt. Das hieße, in Sonderfällen wie Weißrussland Gelder und Projekte der EU jenseits eines konsensualen Prinzips nicht mehr von der Zustimmung des staatlichen Gegenübers abhängig zu machen. Das bedeutet vor allem eine unbürokratische Unterstützung zivilgesellschaftlicher Gruppen in sächlicher und politischer Hinsicht.

Zu der Förderung der Zivilgesellschaft gehört neben der Unterstützung von Projekten im Bereich Sport, Bildung und Wirtschaft auch der Kulturbereich und hier vor allem die Musikkultur der Jugend. Alle Orte abseits staatlicher Kontrolle sind Freiräume für freies Denken und deshalb förderungswürdig.

Der Ausbau des internationalen Austauschs für Schüler, Studenten, Wissenschaftler und unabhängige Gruppen ist ebenso wichtig, wie ein vollwertiges Radio- und Fernsehprogramm, das endlich die Informationsblockade des Regimes Lukaschenko wirkungsvoll durchbricht. Das wird sicherlich mehr kosten, als die bisher eingesetzten zwei Millionen Euro jährlich.

All die Maßnahmen sollten unter die Zuständigkeit eines zu schaffenden Beauftragten der EU fallen, der damit auch symbolisch verdeutlicht, welche Bedeutung die Gemeinschaft Weißrussland zuweist und dass sie wirklich entschlossen ist, gegenüber dem Regime Lukaschenko mit einer Stimme zu sprechen.

Die Erwähnung von Weißrussland durch Bundeskanzlerin Merkel und Kommissionspräsident Barroso während der Feiern zu den Römischen Verträgen am 25. März in Berlin macht große Hoffnungen, dass die Weißrusslandpolitik nun endlich den ihr angemessenen Platz in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU findet. Allein die Erwähnung des Landes in der Rede der Kanzlerin war für die zeitgleich in Minsk anlässlich der zehnmonatigen Unabhängigkeit von 1918 demonstrierenden Intellektuellen ein Zeichen großer Ermutigung.

Aber auch die deutsche Politik hat ihren Teil zu leisten. Die Erhöhung der Visagebühren für den Schengenraum auf 60 Euro zum 1. Januar 2007 stellt eine fast unüberwindbare finanzielle Hürde für die meisten Bürgerinnen und Bürger in Weißrussland dar. Darunter leidet auch der Austausch für tausende Tschernobyl-Kinder, die nach wie vor jährlich zu einem Erholungsurlaub in Deutsche Familien kommen. Und während mit Russland und der Ukraine Sonderabkommen mit niedrigen Visagebühren ausgehandelt werden konnten, hatte das Regime Lukaschenko kein Interesse an Reiseerleichterungen.

Eine der subversivsten Maßnahmen im Demokratieexport ist es, möglichst viele junge Menschen, darunter auch die zukünftigen Eliten des Landes, zu uns einzuladen und mit der westlichen Demokratieerfahrung wieder zurückkehren zu lassen. Viele Innenpolitiker denken mit ihrer restriktiven Visapolitik zwar sicherheitspolitisch nachvollziehbar, verlieren dabei aber das genuin außenpolitische Interesse Deutschlands aus dem Blick.

An einem demokratischen Nachbarn Weißrussland muss aber Deutschland das größte Interesse haben. Die Franzosen haben das verstanden und für alle Weißrussen bis 25 Jahren die Visagebühren erlassen.

Die Grünen-Außenpolitikerin Marieluise Beck ist neben ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete Mitglied in den parlamentarischen Versammlungen des Europarats und der OSZE.

Quelle: http://www.netzeitung.de/deutschland/600233.html

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