Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Kosovo-Debatte im Plenum, 2. Lesung

Gestern stimmte der Bundestag in zweiter Lesung der Verlängerung des KFOR-Einsatzes der Bundeswehr im Kosovo um ein weiteres Jahr zu.

Bündnis 90/Die Grünen brachten einen Entschließungsantrag in die Debatte ein, in dem Schlussfolgerungen aus der Entwicklung seit Unabhängigkeit des Kosovo gezogen und eine Reihe von Forderungen an die Bundesregierung, an die EU und an die serbische und kosovarische Regierung gestellt werden: Verbesserung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, den gezielten Mitteleinsatz für Minderheitengemeinden und Maßnahmen zur Integration serbischer Enklaven sowie von Nord-Mitrovica in die staatlichen Strukturen des Kosovo.

Lesen Sie hier die Rede von Marieluise Beck:

die Rede als Video

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aufgrund dieser Selbstgerechtigkeit, mit der Sie hier auftreten, Frau Knoche, stellen Sie sich natürlich nie die Frage, wie viele Kosovo-Albaner heute überhaupt noch im Kosovo leben könnten oder würden, wenn es die Intervention der KFOR nicht gegeben hätte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich möchte dem Kollegen Dzembritzki noch einmal meinen Dank aussprechen. Sie haben uns hier ja den Auftrag gegeben, nicht nur auf die einzelnen Länder auf dem Balkan zu schauen, sondern auf die Region. Das möchte ich sehr unterstützen.

Natürlich haben wir bei der Frage der europäischen Perspektive, also der EU-Perspektive, einen Acquis, aber wir sollten nicht vergessen, dass wir in ganz schwieriges Fahrwasser kommen, wenn wir diese Länder nur einzeln betrachten. Unter anderem geht es - Sie wissen, dass mir das besonders am Herzen liegt - um Bosnien-Herzegowina. Diesem Staat hat die internationale Gemeinschaft eine Verfassung gegeben, die ihn kaum lebensfähig macht. Wenn nun die Nachbarstaaten Bosniens der EU beitreten können, aber Bosnien außen vor bleibt   unter anderem auch, weil es durch uns eine so schlechte Verfassung bekommen hat  , dann sollten wir an unsere Verantwortung denken. Es geht um die Region und nicht nur um einzelne Länder, und wenn wir heute über das Kosovo und KFOR sprechen, sprechen wir auch über die Region.

Deswegen möchte ich meinen Blick heute noch einmal auf Serbien richten. Wir wissen, dass weite Teile Serbiens sich unendlich schwer damit tun, die Realität, die mit der Unabhängigkeit des Kosovo geschaffen worden ist, anzuerkennen. Und die Realität ist: Serbien hat das Kosovo durch eigenes Zutun verloren. Nicht nur hatte Milosevic in den 90er-Jahren ein brutales Apartheid-Regime gegenüber den Kosovo-Albanern errichtet, ihnen die Autonomie genommen und auch noch Truppen in Bewegung gesetzt, sondern dieses Regime hatte auch in den Jahren zuvor gegen Teile seines eigenen Landes und seiner eigenen Bevölkerung Krieg geführt, und diese Aggression hatte ihren Preis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Das Serbien von heute ist nicht mehr das Serbien von Milosevic und Karadzic. Wir sollten anerkennen, dass die Regierung in Belgrad ihren Blick in Richtung EU richtet und sich Mühe gibt, auch den Blick der Bevölkerung dorthin zu lenken. Dennoch   das wissen wir   stecken Politik und Gesellschaft in dem bitteren Prozess, sich mit ihrem historischen Erbe auseinanderzusetzen.

Wir wissen, dass von manchen Serben die Abtrennung des Kosovo als Demütigung Serbiens empfunden wird. Aber es geht nicht um Demütigung und auch nicht um Schuld, sondern um die Übernahme einer historischen - ich betone das - Verantwortung für vergangenes Unrecht. Diese Auseinandersetzung mit der eigenen Bevölkerung und den radikalen Verführern in ihrem Land wird der serbischen Politik nicht erspart bleiben. Deswegen ist es unerträglich  - ich sage das heute noch einmal  , dass der Schlächter von Srebrenica, General Mladic, immer noch in Serbien Unterschlupf finden kann.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

In Deutschland weiß man, was es bedeutet, einen Teil des eigenen Staatsgebietes, des eigenen Landes zu verlieren. Hier hat es Jahrzehnte gedauert, bis dies von der Mehrheit der Gesellschaft und der Politik akzeptiert worden ist. In Deutschland weiß man, dass es deutsches Verschulden war, das zu diesem Verlust geführt hatte. Diese eigenen Erfahrungen und Kenntnisse sollten wir in den Umgang mit unseren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern in Serbien einfließen lassen.

Manches deutet darauf hin, dass von den radikalen Kräften in Serbien nach wie vor mit dem Gedanken gespielt wird, zumindest den Norden Mitrovicas aus dem Kosovo faktisch herauszulösen. Wir müssen Belgrad sehr deutlich machen: Eine Teilung des Kosovo wird vom Westen nicht akzeptiert. Man bedenke nur, welche Büchse der Pandora aufgemacht würde, wenn das Kosovo von einem multiethnischen Staat in einen ethnisch sortierten überführt werden würde. Die Zukunft des Presevo-Tals in Serbien und die Teilung Bosniens stünden als Nächstes auf der Tagesordnung. Wir alle wissen das.

Dieselbe Botschaft geht an die Regierung in Pristina, die unsere Unterstützung nur dann erwarten kann, wenn sie mit aller Kraft die serbische Minderheit integriert und versucht, sie zu halten, sich also wirklich bemüht, allen Menschen jeder Herkunft und jeder Religion in ihrem Land Raum zu geben. Eine klare Botschaft darf allerdings keiner Belgrader Regierung erspart bleiben: Wer in Belgrad der Bevölkerung weismacht, der Weg in die EU und eine Blockade bei der Kosovo-Frage wären miteinander vereinbar, streut der serbischen Bevölkerung Sand in die Augen.

(Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki (SPD))

Wir beschließen heute noch einmal die Verlängerung des KFOR-Mandats, weil wir wissen, dass ein Konflikt, wenn er erst einmal ausgebrochen ist und sich ausbreiten konnte, fürchterliche und tiefe Gräben und Wunden hinterlässt, die nur schwer zu heilen sind. Die Lektion der Balkan-Kriege lautet: Nichts ist schlimmer, als wenn Aggression offen wüten kann. Frau Knoche, wenn die Wunden erst einmal sehr tief sind, ist die Versöhnung extrem schwierig. Deswegen lohnt sich jede präventive Maßnahme. Dazu gehört der KFOR-Einsatz. Daher stimmt Bündnis 90/Die Grünen diesem Einsatz zu.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

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