Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Das Putinsche Russland nicht länger verklären

So titelte die Frankfurter Allgemeine den Namensbeitrag von Marieluise Beck zum EU-Russlandgipfel in Samara am 18. Mai 2007 in der Rubrik "Fremde Federn":

Angespannte Verhältnisse vertragen keine Aufgeregtheiten. Im Umgang miteinander sollten sowohl die EU als auch Russland mehr Nüchternheit an den Tag legen. Erinnerungen oder Vergleiche mit der Konfrontation des Kalten Krieges sind übertrieben und wenig hilfreich.

Jenseits aller Debatten um Raketenabwehr, KSE-Verträge und Kriegsdenkmäler geht es auf dem EU-Russland-Gipfel in Samara um die Zukunft des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens. Es geht um die Beziehungen zwischen der EU und Russland insgesamt. Selbst wenn es der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gelingt, sowohl die russische Sperrigkeit als auch das polnische Veto zu überwinden, versprechen die Verhandlungen über ein Nachfolgeabkommen langwierig und zäh zu werden. Dies nicht zuletzt deshalb, weil es auch innerhalb der EU unterschiedliche Vorstellungen darüber gibt, wie die Beziehungen zu Russland in Zukunft aussehen können.

Dabei steht fest: Die EU muss dem zunehmend aggressiv agierenden Putinschen Russland einheitlich und geschlossen gegenübertreten. Konflikte innerhalb der EU haben schon zu oft das falsche Signal nach Russland gesandt. Dort glaubt man deshalb, unbesorgt mit einzelnen Mitgliedstaaten verhandeln zu können. Aus russischer Sicht wirken innereuropäische Debatten als Schwäche. Manchmal sind sie es wohl auch. Faktisch jedoch ist der gemeinsame Nenner für die EU größer als angenommen.

Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit sind ein solcher gemeinsamer Nenner. Und sie liegen letztlich auch im ureigenen russischen Interesse. Wer aber Omon-Einheiten wie in Moskau und St. Petersburg prügeln lässt, handelt nicht als "souveräner Demokrat", sondern als angeschlagener Alleinherrscher. Willkürlich ausleg- und anwendbare Gesetze tragen nicht zur Rechtssicherheit bei. Die EU hat nicht nur Interesse an Öl und Gas. Sie ist und bleibt eine Wertegemeinschaft. Deshalb kann und muss sie auf die Einhaltung von Gesetzen, den Schutz des Einzelnen vor Willkür und der Judikative vor Einmischung pochen.

Dem russischen "Raubtierkapitalismus" der neunziger Jahre wurde seit dem Amtsantritt Putins erfolgreich ein Riegel vorgeschoben. Aber wenn Yukos mittels politischen Durchgreifens auf das Rechtssystem zerschlagen wird, kann das potentielle Investoren nicht kaltlassen. Schutz des Eigentums und Rechtssicherheit sind Grundbedingungen jeglicher Wirtschaftsbeziehungen.

Ohne unabhängige Justiz und garantierte Regeln gibt es keine Rechtssicherheit, nicht für die Gesellschaft und nicht für die Wirtschaft. Verlässlichkeit und Vertragstreue sind unverzichtbare Elemente wirtschaftlicher Beziehungen. Die EU gibt sich zu Recht nicht damit zufrieden, dass russisches Öl und Gas derzeit ungestört in unsere Leitungen fließt. Dem Handelspartner muss klar sein, dass gedeihliche ökonomische Beziehungen auf Gegenseitigkeit beruhen.

Halten wir fest: Russland ist und bleibt ein Land im Übergang. Zwar ist noch nicht entschieden, welchen Kurs das Land unter Putins Nachfolger nehmen wird. Aber derzeit durchläuft das Land eine zunehmend autoritäre Entwicklung, und deren Folgen für die russische Gesellschaft und Russlands Rolle in der Welt sind schwerwiegend. Liberale Parteien haben wenig Gewicht und kaum Chancen auf einen Einzug ins Parlament. Im Kreml wurde die "gelenkte Demokratie" erfunden. Ob das in diesem Sinn kreierte Parteiensystem Bewegung ins erstarrte politische Leben bringen wird, ist offen. Dafür müsste die Konkurrenz zwischen "Einigem Russland" und "Gerechtem Russland" eine Eigendynamik entwickeln. Die Monate bis zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen werden dafür wichtig sein.

Zu mehr Nüchternheit gehört in jedem Fall auch der Abschied von verklärenden Vorstellungen, Russland würde und wollte - morgen unseren Ansprüchen und Erwartungen an Demokratie genügen. Dennoch: Ein intensiver, geduldiger Dialog auf Augenhöhe dient beiden, Russland und dem Westen. Setzen wir darauf, dass unser größter Nachbar eine Modernisierung durchlaufen muss, die Zeit braucht, und die richtigen Akteure dafür finden wird.

Die Verfasserin ist Bundestagsabgeordnete der Grünen.

(c) Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main

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