Am zweiten Tag ihrer Moskaureise traf sich Marieluise Beck mit Vertreterinnen und Vertretern von Menschenrechtsorganisationen und Stiftungen. Zentrale Themen ihrer Gespräche waren der Prozess gegen Michail Chodorkowski und Platon Lebedew, den Marieluise Beck am Vortag beobachtet hatte, die Lage der Opposition in Russland sowie die neue Strategie der Europäischen Union im Umgang mit Belarus.
Nach Beobachtung von Elena Kowalewskaja, Koordinatorin des Open Society Institutes in Moskau, nehmen Repressionen gegen die demokratischen Kräfte in Russland zu. Dazu gehörten vor allem physische Bedrohungen und Einschüchterungen. Es sei allerdings unklar, welche Akteure hinter diesen Übergriffen stehen.
Als großes Problem stelle sich nun heraus, dass es nach der weitgehenden Zerschlagung aller Oppositionsstrukturen keine Mediatoren mehr gebe, die im Konfliktfall zwischen der Bevölkerung und den Machtinstitutionen vermitteln könnten.
Wladimir Ryschow, langjähriger oppositioneller Duma-Abgeordneter, der nach Abschaffung der Direktmandate und Nicht-Registrierung seiner Partei nicht mehr für die Duma kandidieren konnte, kritisierte, dass der Westen fast umstandslos bereit sei, den belarussischen Diktator Lukaschenko wieder in sein Umfeld aufzunehmen. Dies bestätige den Verdacht, dass es auch im Westen vor allem um einen zynischen Umgang mit der Macht im Sinne von strategischen Interessen geht. Damit diskreditiere der Westen sich selbst und könne kaum mehr in Anspruch nehmen, dass er auf der Basis eines demokratischen Werteverständnisses handle.
Zwar könne durchaus im eigenen Interesse Politik gemacht werden, aber man dürfe darüber die Menschen nicht vergessen.
Nach Einschätzung von Allison Gill, Direktorin des Moskauer Büros von Human Rights Watch, ist der Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew definitiv eine politische Manifestation. Dieses Verfahren sei quasi ein Test dafür, ob es in Russland eine Chance auf rechtsstaatliche Verfahren gebe. Chodorkowski werde als politischer Konkurrent gesehen und deswegen verfolgt. Er hätte niemals eine Chance, vor Gericht seine Unschuld zu beweisen. Es gebe zu keiner Zeit die Chance auf ein faires Verfahren. Insofern müsse dieser Prozess als politischer gewertet werden.
Marieluise Beck im Gespräch mit Arseni Roginski
Arseni Roginski, Vorsitzender der Menschenrechtsorganisation Memorial, wies darauf hin, dass das Jahr 2009 sich vom Jahr 2005, als der erste Prozess gegen Chodorkowski und Lebedew stattfand, unterscheide. Angesichts der ökonomischen Krise brauche Russland dringlichst finanzielle Unterstützung aus dem Westen. Deswegen könne der Prozess nicht wie in 2005 abgewickelt werden. Wie der Kreml sich aus dieser Klemme am besten befreien könne, wisse er selbst noch nicht. Allerdings sei zu erwarten, dass der Kreml angesichts der unsicheren ökonomischen Perspektive den Prozess nach allenKräften verlängern werde.
Damit ist klar, dass der Westen tatsächlich Einfluss auf dieses Verfahren nehmen kann und sich nicht wegducken sollte.