Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede beim Europarat zu organisiertem Verbrechen im Kosovo

Am 25. Januar 2011 legte der Schweizer Abgeordnete Dick Marty der Parlamentarischen Versammlung des Europarats einen Bericht über Verbindungen zwischen organisierter Kriminalität und Politik im Kosovo vor. Marty berichtet über Anhaltspunkte, laut denen nach der NATO-Intervention 1999 im Kosovo eine Gruppe von Kämpfern der Kosovo Befreiungsarmee (UCK) mehrere Menschen entführt und für den illegalen Handel mit Organen umgebracht haben soll. Kopf dieser nach ihrem Herkunftsort bezeichnete „Drenica-Gruppe“ soll Hacim Thaci sein, derzeit geschäftsführender Ministerpräsident des Landes. Der Bericht erregte international großes Aufsehen, auch weil er den internationalen Institutionen im Kosovo unterstellt, entsprechenden Hinweisen nicht konsequent nachgegangen zu sein.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats verabschiedete auf Basis des Marty-Berichts eine Resolution, in der sie alle Mitgliedstaaten des Europarats zur Unterstützung einer vollständigen Aufklärung der Vorwürfe auffordert.

Lesen Sie hier den Redebeitrag von Marieluise Beck in der Debatte zum Marty-Bericht:

Herr Präsident!

Ich möchte für die Gruppe ALDE gerne dem Kollegen Marty für die sehr mutige und auch sehr schwierige Arbeit danken, in der er sich auf einen schmalen Grat begeben hat, um das Dickicht von Fantasien, Gerüchten und Wahrheiten anzugehen, das eine Verpflichtung für alle diejenigen ist, die in den 90er Jahren für eine Intervention im Kosovo plädiert haben.

Ich finde es sehr wichtig, voranzustellen, dass Dick Marty selber betont, dieser Bericht dürfe nicht für die Delegitimierung der Selbstständigkeit des Kosovo missbraucht werden - und wir alle sollten auch davon absehen, dies zu tun: Das ist nicht Gegenstand dieses Berichtes. Gegenstand ist die Frage, ob sich in dem Chaos der Übergangszeiten, unter dem Deckmantel des Krieges, in atemberaubender Weise eine Struktur der Vermischung von Politik und Kriminalität herausgebildet hat, die inzwischen dazu führt, dass das Kosovo quasi unterwandert wirkt. Deshalb besteht die Aufgabe, sich dieser Frage zu nähern.

Diese Aufgabe gibt es aus unterschiedlichen Gründen: Als Parlamentarierin befürwortete ich 1999 die Intervention der NATO im Kosovo, weil ich lange Jahre im Krieg in Bosnien war, das die Tragödie von Srebrenica erlebt hatte und ich nicht wollte, dass sich so etwas wiederholt.

Diese völkerrechtlich umstrittene Intervention begründete aber damit eine besondere Verpflichtung: Wenn die Intervention im Kosovo mit dem Schutz von Menschenrechten begründet war, ergibt sich daraus die Verpflichtung, auch am Tag danach weiter kompromisslos dem Schutz der Menschenrechte zu folgen und nicht auszuweichen, weil mögliche machtpolitische Konstellationen es nicht für opportun halten, solchen Fragen nachzugehen.

Deswegen kann die Antwort auf diesen Anfangsbericht – und ich betone, dass es sich um einen Anfangsbericht, einen Anstoß, handelt – nur sein, dass alle Seiten sich zu kompromissloser Aufklärung bereit finden, zum Zusammenarbeiten aller Institutionen, die bereits beteiligt gewesen sind, die Fäden wieder aufzunehmen und die existierenden Beweise zusammenzuführen. Ich meine, dass sowohl die Opfer als auch die möglichen Täter dieses Recht haben, denn wenn sich herausstellen sollte, dass ein Teil der Vorwürfe nicht gerechtfertigt ist, müssen diese Vorwürfe aus der Welt geschafft werden.

Insofern gibt es tatsächlich nur eine einzige mögliche Konsequenz: mit Hochdruck an der Aufklärung dieses möglichen Sachverhaltes zu arbeiten, damit Opfern Genüge getan wird und Beschuldigte die Chance haben, von dem Vorwurf befreit zu werden, Täter zu sein, wenn sie es nicht sind.

Schönen Dank.

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Hier finden Sie den Bericht von Dick Marty und die von der Parlamentarischen Versammlung verabschiedeten Resolution .

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