Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Interview im DLF: "Ein Zeichen der Solidarität"

Das komplette Interview können Sie auch hören auf: www.deutschlandfunk.de/merkel-in-der-ukraine-ein-zeichen-der-solidaritae...

Marieluise Beck im Gespräch mit Thielko Grieß

Thielko Grieß: Ich begrüße am Telefon Marieluise Beck, Bundestagsabgeordnete der Grünen und außerdem Sprecherin für Osteuropa-Politik ihrer Fraktion. Frau Beck, guten Morgen!

Marieluise Beck: Guten Morgen, Herr Grieß!

Grieß: Was hat die Kanzlerin, was hat Angela Merkel in der Ukraine erreicht?

Beck: Sie hat zunächst einmal sicherlich ein Zeichen der Solidarität senden wollen. Sie ist ja auch an einem sehr symbolischen Tag in Kiew gewesen, nämlich dem 75. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes, als Berlin mit Moskau zulasten der Länder zwischen diesen beiden großen europäischen Ländern einen sehr schändlichen Vertrag abgeschlossen haben. Und das ist etwas, was in der deutschen Erinnerungskultur wenig präsent ist, aber in den Ländern zwischen Deutschland und Russland sehr wohl präsent ist. Insofern war dieses Zeichen für die sehr bedrängte Ukraine sicherlich wichtig.

Grieß: Was hat die Kanzlerin nicht erreicht?

Beck: Ich glaube, es wäre unrealistisch, davon auszugehen, sie wäre mit einem Plan für einen Waffenstillstand wiedergekommen oder hätte damit wiederkommen können. Das ist ja die Zielsetzung, die die Diplomatie jetzt hat. Das Problem ist, dass es derzeit keinerlei Zeichen für ein Einlenken des Kreml gibt. Parallel zu diesem ominösen Konvoi, von dem jetzt auch noch ominösere Aussagen sagen, dass der Konvoi beladen zurückgefahren ist, und zwar mit demontierten Rüstungsfabriken aus Lugansk, ...

Grieß: Das sind Aussagen, die wir, glaube ich, aus der ukrainischen Militärführung haben.

Beck: Genau! Ja!

Grieß: Aber bewiesen ist das ja nicht?

Beck: Nein, es ist nicht bewiesen. Ich sage auch nur, es sind ominöse Nachrichten. Aber sie haben eine gewisse Plausibilität, denn man muss sich natürlich fragen, wofür gondeln 5800 Tonnen Ladekapazität aus Moskau los, für 1800 Tonnen Hilfsgüter. Und das hat die russische Seite ja selber gesagt. Die Zahl 1800 kommt von russischer Seite. Aber gut, lassen wir das mal bei Seite. Es ist derzeit nicht erkennbar, dass der Kreml einlenken wolle. Neben diesem Militärkonvoi sind doch wieder sehr verstärkt russische Aufrüstungszeichen sowohl auf russischer Seite als auch in die Ostukraine hinein gesendet worden. Und das ist das, was tatsächlich beunruhigen muss. Es gibt keine Einlenkungszeichen vonseiten des Kremls.

Grieß: Nun gibt es allerdings auch Aufrüstungszeichen aus Kiew. Inmitten dieser Staatskrise, kann man sagen, die ja zusammenfällt mit einer finanziellen Krise der Ukraine, hat Präsident Poroschenko gestern angekündigt, demnächst mehr als zwei Milliarden Euro umgerechnet ins eigene Militär zu stecken. Da fragt man sich, wo kommt es her und welchen Beitrag soll das leisten zu einer Deeskalation.

Beck: Ja, Herr Grieß, das ist richtig. Auf der anderen Seite können wir ja nicht so tun, als ob zwei vollkommen gleichwertige unberechtigte Länder nebeneinander stehen würden. Die Ukraine ist angegriffen worden. Selbst wenn man es in der Ostukraine nicht wahrhaben will, so haben wir es nun auf der Krim wirklich gesehen. Da hat Russland unter den Augen der Weltöffentlichkeit einen Landesteil der Ukraine annektiert. Und es ist auch keine Frage mehr, dass die Separatisten in der Ostukraine von Russland massiv unterstützt werden und dass sie diesen Krieg auch gegen die Bevölkerung in der Ostukraine nicht führen könnten, wenn Russland sie nicht unterstützen würde. Insofern ist die Forderung für einen Waffenstillstand unter Beobachtung der Grenze durch die OSZE der erste Schritt, nämlich es muss der Kreml bereit sein, die Grenze dichtzumachen. Dann ist der Spuk in der Ostukraine auch schnell vorbei und dann muss auch Kiew nicht aufrüsten.

Grieß: Aber noch einmal: Glauben Sie, dass sich in Kiew die Einsicht durchsetzt, dass dieser Konflikt militärisch nicht zu lösen ist?

Beck: Das glaube ich sehr wohl. Auf der anderen Seite frage ich zurück: Was soll Kiew tun? Soll es diesen Landesteil diesen Separatisten überlassen, die die Bevölkerung terrorisieren. Und was soll sie den Bürgerinnen und Bürgern in Charkiw und Odessa sagen, die fragen, werden wir die nächsten sein? Ich bin in Charkiw und Odessa gewesen!

Grieß: Dann haben Sie ja sicher auch das Leid der Zivilisten in dieser Region wahrgenommen?

Beck: Ja!

Grieß: Den Zivilisten wäre es ja vermutlich recht, wenn die Kämpfe endeten.

Beck: Wenn aber auch die Separatisten verschwinden würden. Sie können hier in Berlin Frauen in Krankenhäusern besuchen, die zwei Wochen von den Separatisten gefangen gehalten worden sind. Es wird gefoltert, es wird entführt. Das sind die Zustände, die unter den Separatisten in den Regionen herrschen. Und eine Regierung hat die Verpflichtung, seine Bürgerinnen und Bürger vor dieser Art von Terror zu bewahren. Das heißt, die Bürgerinnen und Bürger in Charkiw und Odessa verlangen, dass sie nicht die nächsten sind.

Grieß: Frau Beck, morgen treffen Poroschenko und Putin in Minsk in Weißrussland aufeinander. Das ist ein Gipfel der Eurasischen Zollunion. Vertreter der Europäischen Union sind außerdem dabei. Wir wissen nicht ganz genau, oder wir wissen überhaupt nicht genau, was dabei herauskommen wird. Aber überlegen wir uns, was unter dem Strich stehen könnte, wenn es gut läuft.

Beck: Unter dem Strich sollte stehen und könnte stehen, dass sehr klar gemacht wird, dass das EU-Assoziierungsabkommen nicht bedeutet, dass die Ukraine ihre Brücken zu Russland, ihre wirtschaftlichen Brücken zu Russland abbricht. Der Freihandel ist nach beiden Seiten möglich und das ist immer der Satz. Es gibt kein für oder gegen, es gibt kein entweder oder, sondern es ist möglich, dass die Ukraine auch in wirtschaftlicher Hinsicht zu einem Bindeglied zwischen der Europäischen Union und zwischen Russland wird. Und wenn Russland vernünftig wäre, dann nutzt es dieses Bindeglied und könnte damit auch selber profitieren von diesem EU-Assoziierungsabkommen.

Grieß: Marieluise Beck, Bundestagsabgeordnete der Grünen, Sprecherin für Osteuropa-Politik, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Frau Beck, danke für das Gespräch und einen schönen Tag.

Beck: Ich danke Ihnen auch.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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