Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Europarat: Rede zu Belarus

Am 25. Februar 2012 debattierte die Parlamentarische Versammlung des Europarats den Bericht zur Lage in Belarus. Neben dem estnischen Berichterstatter Andres Herkel erstellt Marieluise Beck als Ko-Berichterstatterin die Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Menschenrechte zum Belarus-Bericht. In der Belarus-Debatte wies Marieluise Beck auf die Schwerpunkte ihrer Stellungnahme hin, insbesondere auf die Todesurteile gegen zwei junge Männer, denen das Bombenattentat in der Minsker Metro im April 2011 zur Last gelegt wird. Am Ende der Debatte ergriff Marieluise Beck wegen freier Redezeit erneut das Wort und appellierte an die russischen Kolleginnen und Kollegen, ihren Einfluss auf Belarus zur Verbesserung der Menschenrechtslage dort geltend zu machen.

Im Anschluss an die Debatte nahm die Versammlung die von den Berichterstattern vorgeschlagene Resolution und Empfehlung an. Die Empfehlung an das Ministerkomitee des Europarats fordert die Mitlgiedsstaaten auf, seinen Einfluss auf Belarus geltend zu machen und die Sanktionen der EU zu übernehmen. Das Ministerkomitee bestehend aus den Außenministern der Mitgliedsstaaten ist verpflichtet, auf diese Empfehlung zu antworten.

Lesen Sie hier den Wortlaut des Bericht s samt Resolution und Empfehlung sowie die Stellungnahme von Marieluise Beck .

Sehen Sie hier die Rede von Marieluise Beck als Video (folgt).

Lesen Sie hier den Redetext:

Recht schönen Dank, Frau Präsidentin!

Wir unterstützen den Bericht und bedanken uns bei dem Berichterstatter für eine Aufgabe, die sehr schwierig war, weil er das Land nicht bereisen durfte.

Ich möchte noch einmal betonen, dass Weißrussland, Belarus, zu der Familie der europäischen Völker gehört. Die europäischen Völker haben sich darauf geeinigt, dass die Todesstrafe mit unserem Menschenrechtsverständnis nicht zu vereinbaren ist.

Wir müssen davon ausgehen, dass in Belarus dennoch seit 1991 etwa vierhundertmal die Todesstrafe vollzogen worden ist. Wir müssen dieses Land einladen, in die Familie der europäischen Staaten zurückzukehren und sich von der Todesstrafe zu verabschieden, ein Moratorium auszusprechen und keine Todesstrafen mehr auszuführen, sowie die Todesstrafe gesetzlich abzuschaffen. Das ist unendlich wichtig.

Diese Aufforderung hat Aktualität bekommen durch einen Aufsehen erregenden Prozess gegen zwei junge Männer, Wladislaw Kowaljow und Dimitri Konowalow. Die Mutter des einen, 19-jährigen jungen Mannes, war hier. Ihnen wird zur Last gelegt, für einen Sprengstoffanschlag in der Minsker U-Bahn verantwortlich zu sein.

Zum Verfahren: Einer der jungen Männer hat im Gericht erklärt, dass sein Geständnis durch Folter zustande gekommen sei. Er habe im Nachbarraum die Schreie seines jungen Freundes gehört. Der Hauptangeklagte hatte sichtbare Spuren von Verletzungen; er konnte kaum sitzen. Auch das wurde im Gerichtsraum bemerkt.

Der Präsident gab am Tag nach diesem Anschlag öffentlich die Verhaftung bekannt und erklärte, dass die beiden Männer schuldig seien. Dies widerspricht in einem Rechtsstaat der Regel der Unschuldsvermutung. Das Tatmotiv, nämlich Destabilisierung des Staates Belarus, war so formuliert, dass selbst derjenige, dem es zur Last gelegt wurde, den Begriff der Destabilisierung im Gerichtsraum nicht erklären konnte.

Zudem wurden Zeugen durch sehr, sehr weitreichende Einschüchterung gegenüber Angehörigen unter Druck gesetzt. Alles das gehört nicht in einen Rechtsstaat. Verfahren, die mit einer Todesstrafe ausgehen und solche dramatischen Verfahrensmängel sind eine unglaubliche Gefährdung von Menschenrechten.

Auf dieser Basis möchte ich noch einmal ganz dringlich von diesem Platz auffordern, nach diesem Verfahren mit nur einer Instanz, keiner Möglichkeit der Revision und diesen ganz offensichtlichen Verfahrensmängeln, die Todesstrafe nicht zu vollstrecken. Es wäre eine Ungeheuerlichkeit gegenüber zwei so jungen Menschen, und ich hoffe, dass der Europarat genug Stimme hat, um diese drohenden Hinrichtungen abzuwenden.

Hoffentlich bemühen wir uns alle, darauf einzuwirken. Unsere Möglichkeiten, den Präsidenten von Belarus zu erreichen, sind derzeit gering. Die russischen Kollegen befürworten einen anderen Weg – den des Dialogs. Man kann darüber geteilter Meinung sein; die Europäische Union hatte diesen Weg versucht. Dennoch möchte ich die russischen Kollegen auffordern, ihre Möglichkeiten zu nutzen, wenn sie sie denn haben, um dafür Sorge zu tragen, dass der dramatische Umgang mit Häftlingen und Verurteilten in Belarus sich ändert.

Schönen Dank.

(...)

Herr Vorsitzender!

Wenn noch etwas Zeit ist, möchte ich die Gelegenheit nutzen, noch einmal an die eigene Arbeit des Europarates und die eigenen Kollegen zu erinnern.

Unser verehrter Kollege Pourgourides hat im Jahr 2004 hier einen Bericht abgegeben, nach dem in Belarus 4 Menschen verschwunden sind. Sie sind bis zum heutigen Tag nicht wieder aufgefunden worden. Der Europarat, der doch immer sehr vorsichtig in seinen Stellungnahmen ist, hat sehr deutlich festgestellt, dass alle Spuren in das Zentrum der Macht führen.

Ich möchte noch einmal in Erinnerung rufen, dass es in Bezug auf Präsident Lukaschenko schon vor vielen Jahren hier eine sehr deutliche Stellungnahme gegeben hat und dass trotzdem versucht wurde, den Weg des Dialoges zu gehen.

Das Abbrechen des Dialogs stellt natürlich auch ein Problem dar. Ich erinnere daran, dass der zweite Dialog so geendet hat, wie wir am 19. Dezember gesehen haben, nämlich mit der Zerschlagung der gesamten politischen Opposition. Das halte ich deswegen noch einmal fest, damit wir wissen, dass wir nicht bei Punkt Null anfangen, sondern dass es eine lange Debatte zur Rolle von Präsident Lukaschenko in Belarus gibt.

Zweitens: Viele Angehörige der zur Zeit Inhaftierten berichten, dass sie massiv unter Druck gesetzt werden, damit sie nicht mehr in die Öffentlichkeit gehen, um zu berichten, welchem starken Druck, auch physischen Druck die Betroffenen in Haft ausgesetzt sind.

Heute Morgen hat die Gattin von Herrn Sannikow in einer Pressekonferenz ihre Besorgnis über den physischen Zustand Ihres Mannes geäußert. Es gibt Verlegungen zwischen Gefängnissen, bei denen die Menschen auf Tage verschwunden bleiben, während die Angehörigen in Sorge sind, was mit ihnen in diesen Tagen ohne jegliche Kommunikation geschieht.

Auch die Familie des einen zum Tode verurteilten jungen Mannes ist bedroht worden, immer mit der Vorgabe, sich nicht mit ihren Informationen an die Öffentlichkeit zu wenden. Das soll zur Isolierung der Menschen führen, die Lukaschenko als Geiseln in Haft hält und die letztlich niemanden mehr haben sollen, der für sie nach außen geht und sich für sie einsetzt.

Es ist sehr wichtig, dass wir deutlich machen, dass wir nicht schweigen werden, in der Hoffnung, diese Menschen zu retten, die völlig allein gelassen sind.

Ich wende mich noch einmal in allem Ernst an die russischen Kollegen. Wenn Sie für einen Zugang plädieren und wenn Sie sagen, die Weißrussen sind ein Brudervolk, mit dem Sie sich wirtschaftlich sehr eng verbunden haben, dann verfügen Sie ja über diese Verbindung zu Belarus. Sie müssten diese Verbindung wirklich nutzen können, um in dieser Weise auf die Einhaltung von Menschenrechten einzuwirken und so zu belegen, dass dieser Weg richtig ist.

Da Sie im Europarat auf der gemeinsamen Basis mit uns arbeiten, hoffe ich und wünsche mir, dass Sie wirklich alle Anstrengungen unternehmen, damit es zu einer Erleichterung und Verbesserung der Verhältnisse in Belarus kommt und die Menschen geschützt werden, um deren Leben es jetzt geht.

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