Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Reisebericht: Minsk im Juli 2014

140717_minsk_angeh_pol_haeftlinge.jpg

Mit Angehörigen politischer Gefangener
Mit Angehörigen pol. Gefangener

140717_minsk_angeh_pol_haeftlinge.jpg

Mit Angehörigen politischer Gefangener
Mit Angehörigen pol. Gefangener

Nach dreieinhalb Jahren Einreisesperre konnte Marieluise Beck am 17. und 18. Juli 2014 erstmals wieder nach Belarus reisen. Das Minsker Regime hatte in Reaktion auf EU-Sanktionen 2011 Einreisesperren gegen exponierte Vertreter und Aktivisten aus der EU verhängt. Die EU hatte zuvor wegen der Niederschlagung der Proteste gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen 2010 Visa- und Vermögenssperren gegen die Führung in Minsk erlassen.

Dass Marieluise Beck nun wieder reisen konnte, ist wohl dem Umstand geschuldet, dass der Machthaber Lukaschenko im Zuge der Ukraine-Krise die staatliche Souveränität seines Landes durch Russland zunehmend gefährdet sieht. Offensichtlich möchte er vorsichtige Öffnungssignale gen Westen senden, um gegenüber dem Kreml größere Bewegungsfreiheit zu demonstrieren. Seit Beginn der Ukraine-Krise lavierte Lukaschenko zwischen Russland und der Ukraine, die nach Russland und der EU der drittwichtigste Handelspartner von Belarus ist. Er erkannte stets die Kiewer Führung als legitim an. Letztlich stimmte er im März mit Russland gegen die UN-Resolution, die die territoriale Integrität der Ukraine betonte und die Krim-Annexion verurteilte. Im Mai unterzeichnete Belarus gemeinsam mit Russland und Kasachstan die Gründung der Eurasischen Wirtschaftsunion, die ab 2015 in Anlehnung an die EU eine supranationale Organisation bilden soll.

Beim Treffen mit Angehörigen der politischen Gefangenen mahnten diese an, die Inhaftierten nicht zu vergessen. Sie würden auch in der Haft unter Druck gesetzt mit dem Ziel, sie zu brechen und ihnen Schuldeingeständnisse abzupressen. Je mehr Öffentlichkeit im Ausland für ihr Schicksal bestehe, umso geringer würde der Druck in der Haft. Besonders die drei jungen Gefangenen Aleh Alinewitsch, Jauhen Waskowitsch und Arziom Prakapenka mit Haftstrafen von 7 und 8 Jahren geht es sehr schlecht. Sie haben sich trotz ihres jungen Alters in der Haft chronische Leiden zugezogen oder erheblich abgenommen. Jauhen Waskowitsch wird zusätzlich zur langjährigen Gefängnisstrafe seit einem halben Jahr mit Isolationshaft bestraft. Er darf nun nur noch einmal im Jahr Besuch von seiner Familie empfangen.

In Minsk konnte Marieluise Beck eine Runde von Bürgerrechtlern wiedertreffen, mit denen die grüne Bundestagsfraktion seit vielen Jahren eng zusammenarbeitet. Nach Einschätzung der Bürgerrechtler hat sich die Menschenrechtslage in Belarus nicht verbessert. Die vorzeitige Freilassung des Menschenrechtlers Ales Bjaljatzki war nur ein vereinzelter Schritt. Hingegen ist ein Anti-Terror-Gesetz erlassen worden, das bereits präventiv Verhaftungen ermöglicht, etwa um Proteste zu verhindern. Derzeit steht die Bevölkerung aber Protesten eher ablehnend gegenüber. Zu groß ist die Sorge, wie in der Ukraine eine Spirale der Gewalt in Gang zu setzen, auch wenn der Krieg in der Ost-Ukraine vor allem von Russland entfacht worden ist. Die Oppositionsparteien haben auf diese zurückhaltende Haltung bereits reagiert. Sie sammeln Unterschriften für ein Reform-Referendum. Hiermit wollen sie die Regierung auf friedlichem Wege zu einem Dialog über nötige Reformschritte drängen. Für die 2015 anstehenden Präsidentschaftswahlen wollen die Oppositionsparteien ihre Kräfte bündeln und entgegen der vorhergehenden Wahl mit einem gemeinsamen Kandidaten antreten.

Die russischen Medien sind in Belarus tonangebend. Die dort verbreitete Propaganda entfaltet auch in Belarus ihre Wirkung. Wie in Russland ist auch in Belarus der Liberalismus auf dem Rückzug. Der Ruf nach Stabilität und starker Führung wird lauter. Lukaschenko ist durch die Krise im Nachbarland dennoch in ein Dilemma geraten. Er ist gegen die russische Propaganda machtlos. Seine Versuche, sich von Russland zu distanzieren und stärker die belarussische Identität zu betonen, bringen ihn in Widerspruch zur Bevölkerungsmehrheit, die von russischen Medien beeinflusst ist. Gleichzeitig steigt das Risiko für ein ukrainisches Szenario, sollte sich Lukaschenko oder eine mögliche demokratische Führung von Russland abwenden wollen. Die Gefahr, dass der Kreml nach der Ukraine auch gegen Belarus vorgehen könnte, ist real. Anonyme verteilen bereits Russland-Fähnchen auf den Straßen in Minsk. Neue Online-Portale verbreiten täglich Berichte über angebliche Diskriminierungen von Russen in Belarus.

Vor allem ist Belarus in hohem Maße wirtschaftlich von Russland abhängig. Der staatsgelenkte Wirtschaft fehlt die Innovationskraft privaten Unternehmertums. Belarussische Produkte sind nur selten international konkurrenzfähig. Trotz stagnierender Produktivität sind die Löhne in den letzten Jahren stark gestiegen. Der bescheidene Wohlstand ist jedoch vollständig auf Pump gebaut. Russische Energielieferungen und Kredite sind die Finanzierungsquellen. Russland fordert im Gegenzug den Verkauf wichtiger Industriebetriebe. Da sich Lukaschenko dem bislang widersetzt, hat Russland bereits Kredittranchen und neue Kreditlinien gestoppt. Belarus musste kurzfristig zu ungünstigen Konditionen am privaten Finanzmarkt Geld leihen. Das Wirtschaftsmodell droht, jederzeit zu kippen.

Von vielen Seiten wurde die Notwendigkeit von Reiseerleichterung für Belarus angesprochen. Das Land zahlt mit 60 Euro die höchsten Visagebühren in Europa. Bei einem Monatseinkommen von 400 Euro ist das erheblich. Marieluise Beck versprach, mit der grünen Fraktion im Bundestag noch einmal einen Vorstoß für Visaerleichterungen für Belarus zu machen. Denn wir haben ein großes Interesse an intensivem Austausch, um die Idee offener Gesellschaft ins Land zu tragen und dem autoritären Regime aber auch der großrussischen nationalistischen Propaganda die Idee des vereinten Europas entgegen zu setzen. Belarus liegt in der Mitte des Kontinents und braucht auf lange Sicht ebenso wie die Ukraine eine realistische Beitrittsperspektive zur EU.

Thema: