Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede: Menschenrechte in Russland: zum 10. Todestag von Anna Politkowskaja

Am 22. September 2016 debattierte der Bundestag den grünen Antrag "10. Jahrestag der Ermordung Anna Politkowskajas – Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidigern in Russland zur Seite stehen". In ihrem Antrag fordert die grüne Bundestagsfraktion, stärker mit demokratischen Gruppierungen und zivilgesellschaftlichen Institutionen in Russland zusammen zu arbeiten. Für die Menschen im Russland müssten Visaerleichterungen erreicht werden, um in Zeiten belasteter Beziehungen auf offizieller Ebene den Austausch mit der Bevölkerung zu erleichtern. Das Angebot zu Dialog und umfassender Modernisierungszusammenarbeit zwischen EU und Russland muss aufrechterhalten werden. Dies gilt, auch wenn sich die Hoffnung auf eine "strategische Partnerschaft" mit Russland leider nicht erfüllt hat. Denn bislang zeigt der Kreml leider kein Interesse an einer Modernisierung und engen wertebasierten Partnerschaft mit der Europäischen Union.

Lesen Sie hier den Redetext von Marieluise Beck nach:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Am 7. Oktober 2006 wurde die Journalistin und Menschenrechtlerin Anna Politkowskaja im Fahrstuhl ihres Hauses mit vier Schüssen ermordet. Anna Politkowskaja war eine sehr mutige Frau. Sie gab keine Ruhe, um die Verbrechen des Geheimdienstes, des russischen Militärs und des von Präsident Putin eingesetzten Statthalters Kadyrow in Tschetschenien aufzuklären. Sie tat das, obwohl sie wusste, dass sie sich damit in Todesgefahr begab. Zwar hat die russische Justiz inzwischen mehrere Männer wegen des Mordes verurteilt, aber niemand glaubt ernsthaft, dass sie eigenständig gehandelt haben. Somit bleiben die Drahtzieher dieses feigen Verbrechens straflos.

Anna Politkowskaja ist nicht die Einzige, die die Beharrlichkeit, die Wahrheit ans Licht zu bringen, mit ihrem Leben bezahlte. Natalja Estemirowa, auch eine unbeugsame Menschen- und Frauenrechtlerin von MEMORIAL, die von Ramzan Kadyrow persönlich bedroht wurde, wurde im Sommer 2009 nach Inguschetien entführt und dort grausam ermordet. Auch dieser Mord ist unaufgeklärt.

In der Redaktion von Nowaja Gazeta, für die Anna Politkowskaja gearbeitet hat, hängen insgesamt sechs Fotos von mutigen Kolleginnen und Kollegen, die sich der Schweigeforderung des Kremls nicht gebeugt haben. Ihre Namen sind nicht so bekannt wie der von Boris Nemzow, der am 27. Februar 2015 in unmittelbarer Nähe des Kremls ermordet wurde. Alle diese mutigen Menschenrechtler haben mit ihrem Leben bezahlt.

Ich hoffe, dass Swetlana Gannuschkina, mit der ich viele Reisen in den Nordkaukasus unternommen habe, diese aufrechte und mutige Frau, die zusammen mit anderen den Alternativen Nobelpreis bekommt, durch diesen Preis wenigstens ein bisschen Schutz erhält.

(Beifall im ganzen Hause)

Schauen wir nach Russland heute: Die Duma-Wahlen waren so orchestriert, dass sie nach außen einigermaßen korrekt ausgesehen haben. Das Ergebnis führt im Parlament zu einer hundertprozentigen Unterstützung der Putin’schen Politik und zu einer erfassungsändernden Mehrheit für „Einiges Russland“. Die eigentliche Botschaft dieser Wahlen haben allerdings die Nichtwähler vermittelt. Mehr als die Hälfte der wahlberechtigten russischen Bevölkerung glaubt nicht mehr daran, dass sie mit ihrer Wahlstimme Einfluss nehmen kann. In Moskau und Sankt Petersburg, den modernsten Städten Russlands, stimmten nur 35 und 32 Prozent der Wahlberechtigten überhaupt ab. Selbst in der ländlich geprägten Region Perm, die etwa die Größe Griechenlands hat, gibt es ähnlich niedrige Abstimmungsquoten. Aus solch einer Wahl lässt sich keine überwältigende Zustimmung für Putins Kurs in der russischen Bevölkerung ableiten.

Offenbar wurde dieser Ausgang im Kreml vorausgesehen. Denn am Tag nach der Wahl legte Kommersant die Zukunftspläne für die Neugestaltung des Sicherheitsapparates auf den Tisch. Der Personenschutz von Präsident und Regierung, der Auslandsgeheimdienst und das Katastrophenschutzministerium sollen auf der Basis des Geheimdienstes FSB zusammengeführt werden. Es soll wieder ein übermächtiges Ministerium für Staatssicherheit geben. Das erinnert fatal an die Strukturen des KGB, von dem 1990 die russische Bevölkerung glaubte, seine Zeiten seien endlich überwunden.

Unser Antrag soll eines klarmachen: Wir sind der russischen Bevölkerung freundschaftlich verbunden. Wir sind besonders denen nahe, die trotz der extremen Bedingungen für eine offene Gesellschaft kämpfen. Kritik am Kreml bedeutet nicht Kritik an Russland.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Die Europäische Union und die deutsche Bundesregierung haben einen Trumpf in der Hand, mit dem sie diese der russischen Bevölkerung zugewandte Haltung unmissverständlich klarmachen könnten: Liberalisieren Sie endlich das Visumsregime! Moskau und Sankt Petersburg haben bei den Wahlen gezeigt: Begegnungen mit Demokratien, mit dem Ausland und mit Freiheit sind die stärksten Kräfte gegen diktatorische Entwicklungen. Wer wirklich ein Freund Russlands sein möchte, der sollte die Möglichkeit des Reisens für die russische Bevölkerung endlich einfach und unkompliziert machen. Wir sollten der russischen Bevölkerung zeigen: Wir warten auf euch, und wir freuen uns auf euch. Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

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