Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede beim Europarat zum Nordkauskaus

Am 22. Juni 2010 debattierte die Parlamentarische Versammlung des Europarats über den Bericht des schweizer Abgeordneten Dick Marty zu "Rechtsmittel im Falle von Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukausus". Im Anschluss an die Debatte verabschiedete die Parlamentarische Versammlung eine Resolution zum Thema sowie eine Empfehlung an das Ministerkomitee des Europarats. Bericht, Resolution und Empfehlung fanden auch die Zustimmung der russischen Delegierten in der Parlamentarischen Versammlung.

Im Namen der Liberalen Fraktion der Parlamentarischen Versammlung des Europarats sprach Marieluise Beck zum Bericht von Dick Marty.

Hier können Sie die Rede als Video sehen.

Lesen Sie hier den protokollierten Redetext:

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mich bei Dick Marty für seinen unbestechlichen Blick bedanken, den er vor einigen Jahren auf die geheimen Gefängnisse der CIA gewandt hat, und den er diesmal auf den Nordkaukasus richtet. Unbestechlichkeit tut uns in dieser Debatte sehr gut.

Ich hätte mir sehr gewünscht, das sich gestern eine größere Zahl von Kollegen den Videofilm mit Zeugenaussagen angeschaut hätten, der hier gezeigt wurde. Die Bilder waren immer die gleichen: Einfache, rechtschaffene Menschen, oft gezeichnet von lebenslanger harter Arbeit, die verzweifelt nach ihren entführten und verschwundenen Lieben suchen.

Sie schildern auch die immergleichen Szenen: schwarz uniformierte Männer, oft mit verdeckten Gesichtern, schwer bewaffnet, die in die Häuser eindringen und den Gesuchten oder die Gesuchte in ein Auto zerren. Ab dann beginnt die Odyssee der Verwandten: zur Polizei, zum FSB, zur Staatsanwaltschaft, Briefe an den Präsidenten. Doch es gibt nur selten Antwort und noch seltener Klarheit.

Ich möchte, auch im Respekt Ihrer Bemühungen, Herr Präsident, daran erinnern, dass Natalja Estemirova, eine gute Bekannte von vielen von uns, im vergangenen Sommer erschossen worden ist, ebenso wie Anna Politkovskaja einige Jahre zuvor. Beide waren aufrechte Menschenrechtskämpferinnen. Alle Spuren führen in den Nordkaukasus, und es gibt keinerlei Aufklärung.

Lange Jahre haben wir hier in Europa mit Aufmerksamkeit die Mütter der Verschwundenen in Argentinien begleitet. Ich bin etwas erschrocken, dass es jetzt eher weniger Aufmerksamkeit gegenüber den Opfern in unserem eigenen Geltungsbereich gibt, nämlich in einem Land, das dem Europarat angehört und das sich dessen Grundsätzen und Werten verpflichtet hat.

„Kein Frieden ohne Gerechtigkeit“ hat gestern der kroatische Präsidenten in diesem Hause gesagt. Dieser Grundsatz gilt für uns alle und unsere Politik. Auch den Kampf gegen den islamistischen Extremismus, der sowohl vom Westen als auch von Ländern wie Russland geführt wird, werden wir nie und nimmer gewinnen, wenn wir selbst unsere eigenen Werte preisgeben.

Wenn es keine Rechtsstaatlichkeit, keine Strafverfolgung und keine Aufklärung gibt, dann gibt es auch kein Vertrauen in die Institutionen, die diesen Weg gehen müssen. Das ist nach wie vor das große Problem in dieser Region. Auch herrscht oft Angst unter denen, die eigentlich aufklären müssten. Es gibt eine Mischung von Kriminalität, Korruption und staatlichen Institutionen, die offensichtlich meinen, dass gegenüber Kriminalität und bei Verdacht auf Extremismus alle Mittel erlaubt seien. Dass das nicht stimmt, müssen wir hier immer wieder betonen.

In den vergangenen Jahren hat es im Europäischen Menschenrechtsgerichtshof des Europarats 160 Entscheidungen gegeben. In Russland werden sie in aller Regel nur durch Geldzahlungen umgesetzt. Doch geht es nicht um Geld, sondern darum, dass die Ergebnisse dieser Entscheidungen befolgt werden.

Damit unsere Forderungen nicht folgenlos bleiben, sollte der Europarat sich zehn gut dokumentierte Fälle aussuchen und sie verfolgen. Auch dürfen unsere demokratischen Länder keine schutzbedürftigen Menschen aus dem Nordkaukasus ausweisen.

Vielen Dank.

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Lesen Sie hier den Bericht von Dick Marty samt Resolution und Empfehlung in englischer Sprache.

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