Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede zur Ukraine anlässlich der Regierungserklärung zum EU-Gipfel

Am 20. März 2014 diskutierte der Bundestag die Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel zum bevorstehenden EU-Gipfel. Wichtiges Thema des Gipfels wird die Lage in der Ukraine nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland sein. Für die grüne Bundestagsfraktion sprach Marieluise Beck zur Ukraine.

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Präsident Dr. Norbert Lammert:

Marieluise Beck ist die nächste Rednerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst den verehrten Josef Zissels begrüßen, der unsere Debatte auf der Tribüne verfolgt.

(Beifall)

Er kommt aus der Ukraine und ist Vorsitzender des Euro-Asian Jewish Congress und damit Vertreter des Dachverbandes von etwa 300 jüdischen Gemeinden.

Ich möchte zu Beginn meiner Rede an den Satz anknüpfen, Herr Spinrath, mit dem Sie geendet haben. Es geht um die Furcht von Präsident Putin, dass sich die Ereignisse auf dem Maidan eines Tages auch auf dem Roten Platz abspielen könnten. Wie werden in den kommenden Wochen und Monaten vermutlich erleben, dass alle russischen Demokraten, die in der russischen Zivilgesellschaft arbeiten, einem zunehmenden Druck ausgesetzt sind, weil genau diese Furcht die Politik im Kreml mitbestimmt. Wir müssen doch ehrlich feststellen, dass wir alle fassungslos sind, mit welcher Kaltblütigkeit ein Schritt vor den anderen gesetzt worden ist, während wir immer wieder diplomatische Angebote unterbreitet haben. Es gab verschiedene Kompromissangebote, verschiedene Treffen und Gespräche - es gab Gespräche mit Lawrow, und die Kanzlerin hat mit Putin telefoniert -; trotzdem gab es gar keine Möglichkeit, Putin von diesem dramatischen Völkerrechtsbruch und einer Annexion, die es seit 1945 in Europa nicht mehr gegeben hat, abzubringen.

(Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE): Das ist falsch! Jugoslawien!)

   Ich möchte gerne noch einmal daran erinnern: Zu der Östlichen Partnerschaft wurde Russland eingeladen. Hier, in diesem Haus, haben wir über Jahre hinweg gesagt, dass wir eine strategische Partnerschaft mit Russland wollen. Wir haben von der Modernisierungspartnerschaft gesprochen, die wir mit Russland eingehen wollten.

   Ich weiß, dass dieser Außenminister in dieser Legislaturperiode wirklich etwas anderes vorhatte als das, was er jetzt gestalten muss; er wollte die Beziehungen zu Russland vertiefen. Wir müssen uns fragen: Stimmt die Prämisse, mit der wir in den vergangenen Jahren Politik gemacht haben, noch? Sind Putin und der Kreml wirklich noch an einer engen Zusammenarbeit mit dem Westen interessiert? Wollen Putin und der Kreml gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, russische Interessen mit unseren Interessen zu verknüpfen? Oder ist Putin nicht inzwischen in einer anderen Welt, in der geostrategisch gedacht wird, in der Öl und Gas als Machtinstrumente betrachtet werden,

(Heike Hänsel (DIE LINKE): Im Gegensatz zur NATO!)

in der es auf unsere Ansprache gar keine Antwort gibt, weil die Gedankenwelt eine vollkommen andere ist?

   Das beunruhigt nicht nur uns hier im Westen, sondern das beunruhigt auch solche Länder wie Belarus und Kasachstan. Kasachstan hat eine große russische Minderheit im Norden seines Landes. Der Satz, dass dort, wo russische Bürger sind, auch russische Interessen sind, verunsichert ein Land wie Kasachstan, das zukünftig Mitglied der Eurasischen Union sein soll, zutiefst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD - Zuruf der Abg. Heike Hänsel (DIE LINKE))

Dieser Vertrauensbruch geht unendlich tief, und er wird auf lange Sicht Russland schaden. Dabei blutet mir das Herz für die russischen Bürgerinnen und Bürger,

(Zurufe von der LINKEN: Oh!)

die unsere Freunde sind; denn wir wollen mit ihnen gemeinsam das europäische Haus gestalten, wie Gorbatschow es einst gesagt hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

   Zur Ukraine: Ich hoffe, dass Putin als Nächstes nicht einen Schritt in Richtung Ostukraine unternimmt. Was wir jetzt tun müssen, ist Festigkeit zu zeigen, dass wir das nicht akzeptieren werden, und wir müssen die Ukraine mit allem, was uns zur Verfügung steht, stabilisieren. Die Ukraine muss faktisch einen neuen Staat aufbauen. Sie braucht rechtsstaatliche Institutionen und eine effektive Verwaltung. Sie muss ein Staat werden, der mit der Krake der Korruption fertig wird. Janukowitsch hat faktisch ein insolventes Land hinterlassen. Wir brauchen jetzt eine entschiedene Politik. Wir müssen diejenigen stabilisieren, die die schwierige Aufgabe übernommen haben, dieses Land aus der Krise herauszuführen. Das ist unsere wichtigste Aufgabe, und wir werden sie in Europa gemeinsam schultern.

   Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
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