Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Besuch des afghanischen Außenministen Dr. Rangin Dadfar Spanta in Berlin am 30. Januar 2007 - ein Bericht

Der Kreisverband Aachen von Bündnis 90/Die Grünen stellt seit dem 22. März 2006 den Außenminister von Afghanistan.

Dr. Rangin Dadfar Spanta lebte mit seiner Familie in Aachen, bekleidete dort eine Professur im Fachbereich Politik und war Mitglied der Grünen. Nach der Intervention der internationalen Staatengemeinschaft entschieden sich seine Frau und er zur Rückkehr, um am Wiederaufbau dieses geschundenen Landes mitzuwirken.

Rangin Spanta hielt sich im Rahmen einer internationalen Afghanistankonferenz am 30. Januar 2007 in Berlin auf. Bei mehreren öffentlichen Auftritten in Berlin schilderte er die Situation seines Landes, die ich im Folgenden wiedergebe:

Die negative Stimmung in Bezug auf die Entwicklung in Afghanistan entspreche nicht dem Bild der realen Lage. Vielmehr zeigte sich Rangin Spanta überrascht von einer solch weit verbreiteten negativen Einschätzung in Deutschland. Die positiven Errungenschaften der vergangenen Jahre würden durch solch eine Perspektive zu sehr in den Schatten gestellt.

Man solle sich klar machen:

- 7 Millionen Kinder gingen derzeit in Afghanistan wieder zur Schule, davon 38% Mädchen.

- 2002 hätten nur 8% der Bevölkerung Zugang zu einer grundständigen Gesundheitsversorgung (z. B. Impfung) gehabt, jetzt seien es 82 %.

- Bisher seien 2000 km Straßen gebaut worden und die Wasserversorgung deutlich verbessert.

- 2002 hätten nur 2% der Bevölkerung Zugang zu Strom gehabt, jetzt seien es 11%.

- Es gebe 300 Zeitungen und Zeitschriften und 40 Radiosender im Land, dazu 9 Fernsehsender, von denen einer staatlich sei.

- 28 % der Parlamentarier seien Frauen.

- Nach 28 Jahren der Zerstörung und nach einer extremen Ethnisierung der Politik seien das riesige Erfolge.

Die Herausforderungen, vor denen das Land stehe, seien natürlich immens. Dabei fehle es vor allem an Fachkräften, denn viele von ihnen seien ermordet worden oder im Exil. Zur Zeit der Taliban habe es noch ganze 3000 Studenten in Afghanistan ge-geben.

Das Land stehe vor drei zentralen Herausforderungen:

1. Der Terrorismus müsse bekämpft werden. Staat und Sicherheitsorgane seien noch zu schwach, um die Bevölkerung wirksam zu schützen und Recht durchzusetzen. Bisher habe Afghanistan nur 35.000 schlecht ausgerüstete Soldaten und 35.000 schlecht bewaffnete Polizisten. Im Süden des Landes seien die internationalen Terrornetzwerke sehr aktiv. Ausbildung und Ausstattung der Terroristen spiele sich auf pakistanischem Boden ab. Pakistan habe Afghanistan quasi als Protektorat begriffen und wolle nicht akzeptieren, dass das Land jetzt souverän sei. Insbesondere der pakistanische Geheimdienst (ISI) und das Militär täten alles, um Afghanistan zu destabilisieren.

2. Der Drogenanbau müsse zurückgedrängt werden. Insbesondere die Regi-on Helmand, die dem britischen Sektor angehöre, sei außer Kontrolle geraten. Dort werde 60% des Opiums angebaut. In dieser Region gebe es eine unmit-telbare Verbindung von Terrorismus und Opiumanbau.

3. Der Schwäche des Staates müsse begegnet werden. Korruption sei für lange Zeit eine Lebensweise gewesen, mit der allein das Überleben überhaupt möglich war. Deswegen müsse das Gewaltmonopol des Staates wieder durchgesetzt werden und das setze auch die Verstärkung der Sicherheitsorgane voraus. Afghanistan sei sehr wohl bereit, die Hauptlast der Auseinandersetzung mit den Terroristen zu tragen. Allerdings müsse dazu sowohl die Aus-bildung als auch die Ausstattung besser werden.

Immer ginge es bei der Suche nach einer erfolgreichen Strategie für das Land um die Kombination von zivilen und militärischen Momenten. Der Wiederaufbau müsse sichtbar sein, damit die Menschen merkten, dass Frieden sich lohne. Nach wie vor sei die Einmischung der internationalen Gemeinschaft notwendig und auch erwünscht. Sowohl Deutschland solle sich durchaus mehr einmischen, aber auch die Amerikaner würden nach einer kürzlich erhobenen Umfrage von 86% der Afghanen willkommen geheißen.

Die immer wieder zu hörende Erklärung, dass der Norden sich gut entwickele - wegen einer stark zivil ausgerichteten Mission u.a. der Deutschen - und der Süden schlecht - wegen des aggressiven Vorgehens der Amerikaner, sei nicht hinreichend. Es gebe in der Tat Fehlverhalten der Amerikaner, insbesondere bei Bombardierungen oder Hausdurchsuchungen. Dieses Fehlverhalten müsse durch ein verbessertes Konsultationsverfahren zwischen den afghanischen Sicherheitsorganen und den Militärs ausgeräumt werden.

Die eigentliche Ursache für die Destabilisierung des Südens liege jedoch in Pakistan. Während das Land in den Jahren 2001 und 2002 noch an der Befriedung Afghanistans mitgewirkt habe, sei es nunmehr nicht bereit, das gestiegene Selbstbewusstsein und die Autonomie eines souveränen Afghanistan anzuerkennen. Pakistan sei es gewohnt gewesen, dass in Afghanistan Marionettenregimes herrschten. Außerdem gebe es in Pakistan eine Indiophobie: so habe die Annäherung der USA an Indien Pakistan sehr aufgewiegelt. Die Voraussetzung für eine Befriedung im Süden sei die Bereitschaft von Pakistan, Afghanistan als gleichberechtigten Partner anzuerkennen, die systematische Ausbildung und Ausrüstung von Terroristen zu unterbinden und Pakistan nicht als strategisches Hinterland für die Terroristen bereit zu halten. So würde in 26.000 Madrassas eine unerschöpfliche Zahl von gewaltbereiten Extremisten ausgebildet.

Im Jahre 2006 seien im Süden 138 Schulen von Terroristen niedergebrannt worden. Als erstes würden immer die Mädchenschulen angezündet. Es ging um die Zerstörung von Zugang zu Bildung, Freiheit der Frauen, um das Leben mit Werten wie Freiheit und Demokratie. In der Tat seien die Schwierigkeiten groß, aber es sei nicht gerechtfertigt von einer Irakisierung des Krieges zu sprechen. Im Irak sei eine funkti-onierende Diktatur gestürzt worden und habe die Konflikte im Land aufbrechen lassen, in Afghanistan hingegen fühlten sich 26 Millionen Menschen befreit von einem Leben als Geiseln. Das Erreichte müsse unbedingt geschützt werden. Alle Signale von Exit-Strategien der internationalen Gemeinschaft seien verheerend, weil sie den Extremisten Hoffnung auf eine erfolgreiche Rückkehr bescherten. Der Westen müsse zeigen, dass Afghanistan mit den Terroristen nicht allein gelassen werde.

Die Taliban hätten eine Frühjahrsoffensive angekündigt, die vom pakistanischen Rückzugsraum aus vorbereitet werde. Es sei notwenig und auch wegen der Sicherheit von Helfern, NGO-Vertretern und Soldaten richtig, diesen Aufmarsch zu verhindern. Dabei sei auch die Geschlossenheit des Westens ein unverzichtbares Signal an die Terroristen. Nach Jahrzehnten der Zerstörung und der Willkür brauche das Land Zeit. Aber es dürfe nicht zugelassen werden, dass das Erreichte zerstört und die Menschen Afghanistans wieder dem mittelalterlichen Terror ausgesetzt werde.

Er – Rangin Spanta – sei ein Humanist. Er stehe auch für linke Politik. Am liebsten streite er mit den Freunden von der PDS und sage ihnen, dass die Unterdrückung der Frau, dass die Zerstörung von Kultur und Bildung, dass ein mittelalterliches Justizwesen mit drakonischen Strafen, dem Abhacken der Hände, dem Steinigen, dass all das mit allen Kräften, mit zivilen aber auch durch den Einsatz von militärischen Mitteln bekämpft werden müsse. Die Wiederkehr eines archaischen Systems zu verhindern, das sei linke Politik.

In diesem Zusammenhang befürwortete Rangin Spanta auch eine Entscheidung von deutschen Linken und Grünen, die Anfrage der Nato nach Aufklärungsflugzeugen positiv zu beantworten. Aufklärung diene der Verhinderung von Angriffen auf unschuldige Menschen und schütze die eigenen Soldaten vor Angriffen. Er stehe für alle Formen des zivilen Aufbaus und der Entwicklung, aber auch ein militärisch abgesicherter Schutz sei in der Situation, in der sich Afghanistan befinde, unverzichtbar.