Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede zur Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Bosnien und Herzegowina

Am 18. Dezember 2009 debattierte der Bundestag in abschließender Lesung über die Verlängerung des Mandats der Bundeswehr für den Einsatz in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der EU-Mission ALTHEA.

Die Rede als Video

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Manche von Ihnen wissen, dass ich seit 1992 mit dieser Region sehr verbunden bin. Solch ein Beitrag macht mich einfach fassungslos.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

[Lesen Sie hier die Rede von Sevim Dagdelen , LINKE, die zuvor gesprochen hatte]

Frau Kollegin, es ist eine Tatsache: Die kroatische Stadt Vukovar wurde von der serbischen Armee überfallen, bevor Kroatien anerkannt worden war. Lesen Sie doch bitte ein bisschen in den Geschichtsbüchern nach.

(Beifall des Abg. Joachim Spatz (FDP))

Noch etwas: Srebrenica war keine Scheinwelt. Vielleicht sollte Ihre Fraktion einmal den Mut haben ‑ das möchte ich Ihnen wirklich nahelegen ‑ und nach Srebrenica fahren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP ‑ Jan van Aken (DIE LINKE): Sie haben das Völkerrecht gebrochen!)

Fahren Sie einmal dorthin! Schauen Sie sich das an! Der Genozid in Srebrenica ist sogar gefilmt worden. Sie können sich die Dokumente anschauen. Man kann sogar General Mladic auf dem Gelände der  ehemaligenBatteriefabrik in Potocari sehen, wo die Selektion der Männer und Jungen beginnt, die dann in die Wälder geführt worden sind, um dort ermordet zu werden.

(Jan van Aken (DIE LINKE): Jetzt erzählen Sie noch etwas zum Hufeisenplan!)

„Althea“ dient der Stabilisierung; es ist jetzt eigentlich ein Präventionseinsatz. Es geht um Prävention von Gewalt, was für UN-Missionen gut und richtig ist. Wir sollten jetzt weniger über Militär und mehr über Politik sprechen.

(Jan van Aken (DIE LINKE): Hufeisenplan, Frau Beck!)

Der Kollege Mützenich hat schon gesagt, dass sich hier auch an uns die Frage richtet: Welche Perspektive geben wir dieser Region? Um diese Region nicht zu einem schwarzen Flecken innerhalb Europas werden zu lassen, braucht die Region die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft.

(Beifall des Abg. Michael Brand (CDU/CSU) sowie des Abg. Joachim Spatz (FDP))

Wir alle wissen, dass dieser Passus in der Koalitionsvereinbarung ausgespart worden ist. Das offenbart, dass es diesbezüglich in der Regierung eine Differenz gibt und die CDU dieser Region diese Perspektive nicht aufzeigen will. Wenn der Fortschritt in dieser Region nicht mit dem Tempo kommt, das wir alle uns wünschen, hat das sehr viel damit zu tun, dass diese Perspektive nicht glaubwürdig und klar von uns und der Europäischen Union formuliert wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Die Dinge stehen nicht so gut, wie wir in diesem Hohen Haus das gerne sagen; darüber haben wir hier schon diskutiert, Herr Außenminister. Es wird häufig geschrieben, dass die zentrifugalen Kräfte in Bosnien eher zunehmen und bosnische Politiker sich mit nationalistischen Parolen und der Obstruktion von Reformen, die für die Schaffung eines Gesamtstaates erforderlich sind, profilieren können. Aber auch da haben wir eine Verantwortung. Wir haben mit dem Dayton-Abkommen eine Verfassung schreiben und unterschreiben lassen, in der die Zugehörigkeit zu einer Ethnie ‑ man müsste eigentlich sagen: Religionsgruppe ‑ Voraussetzung für den Zugang zu Ämtern ist. Der jetzige bosnische Außenminister kann nicht für das Staatspräsidium dieses Landes kandidieren, weil er sich keiner der Gruppen, die benannt worden sind, zuordnen kann. Junge Menschen, die aus einer kroatisch-bosnischen Ehe hervorgegangen sind, müssen sich einer sogenannten Ethnie zuordnen, bevor sie für das Amt des Repräsentanten dieses Staates kandidieren können. Das kann in Europa nicht sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn wir über unsere Werte sprechen, muss uns klar sein, dass wir eine Bringschuld haben; denn so können wir dieses Land gar nicht in Europa aufnehmen. Unsere Aufgabe ist die Überwindung von Dayton. Das ist eine sehr große Aufgabe.

Man muss auch den Mut haben, sehr deutlich zu benennen, wo der Hauptstörenfried sitzt. Wir alle wissen es. Ministerpräsident Dodik kann schadlos das Entitätenveto nutzen. Er setzt dieses Veto ein, wenn es darum geht, diesen Staat zu bauen und endlich zentrale Institutionen einzurichten, um ihn überhaupt arbeitsfähig zu machen. Dann knickt auch noch der OHR ein bzw. muss einknicken, weil er keine Rückendeckung von den europäischen Staaten bekommt und immer mehr zur Lame Duck gemacht wird; das setzt sich durch die ganze Reihe der Hohen Repräsentanten fort. Auch das ist eine Verantwortung, die auf uns zeigt und nicht nur nach Bosnien selbst.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Menschen haben ein tiefes Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Das ist auch in Bosnien so. Ich sage noch einmal: Es ist nicht nachvollziehbar, dass ein kleines Land wie Serbien, das ja keinen großen Dschungel hat, nicht in der Lage ist, General Mladic auszuliefern. Wenn wir in dieser Region Frieden und Gerechtigkeit herbeiführen wollen ‑ dabei geht es nicht um Strafe oder Rache, sondern nur um die Bennennung der Wahrheit ‑, muss mit großer Klarheit und Ernsthaftigkeit verlangt werden, dass General Mladic endlich in Den Haag landet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Es darf nicht darauf gesetzt werden, dass uns eines Tages die biologische Lösung von dieser Forderung, die schwer durchzusetzen ist und Konflikte mit Serbien bedeutet, befreit.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

---

Lesen Sie hier den Entschließungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen zum ALTHEA-Mandat, der bei der Abstimmung am 18.12.2010 keine Mehrheit im Parlament fand.

Kategorie: 
Thema: