Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede von Sevim Dagdelen (LINKE) zur Verlängerung des Mandats der Bundeswehr in Bosnien und Herzegowina

18. Dezember 2009

Sevim Dagdelen (DIE LINKE):

Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einem Schreiben des damaligen UN-Generalsekretärs Pérez de Cuéllar an Außenminister Genscher vom 14. Dezember 1991 warnte er - ich zitiere -, "dass verfrühte selektive Anerkennungen eine Erweiterung des Konflikts in jenen empfindlichen Regionen nach sich ziehen würden.? Weiter heißt es: "Solch eine Entwicklung könnte schwerwiegende Folgen für die ganze Balkanregion haben."

Wir wissen, welche unrühmliche Rolle die deutsche Außenpolitik dann auf dem Balkan gespielt hat und leider weiter spielt. Das setzt sich im Antrag der Bundesregierung fort. Im SPD-Antrag heißt es dagegen - ich zitiere - Für die Vereinigten Staaten und die EU gilt es, die Verantwortlichen in der Republika Srpska vor den verheerenden Folgen einer Sezession zu warnen.

"Bravo!" möchte man Ihnen zurufen! Plötzlich entdecken Sie das Völkerrecht wieder. Aber der Schein trügt.

(Beifall bei der LINKEN)

Die rot-grüne und die jetzige Bundesregierung unterscheiden sich in diesem Punkt leider gar nicht. Das Völkerrecht entdecken Sie immer nur dann, wenn es Ihnen genehm ist. Haben Sie denn irgendetwas getan, um Jugoslawien vor dem Zerfall zu bewahren?

(Michael Brand (CDU/CSU): Die Aggressionen kamen doch aus Belgrad! - Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das kann doch nicht wahr sein!)

Haben Sie nicht einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien geführt? Und waren Sie es nicht, die die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovos anerkannt und damit eine neue Lunte an das Pulverfass Balkan gelegt haben? Jetzt jammern Sie, wenn andere durch die Türen gehen, die Sie geöffnet haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Eine völkerrechtskonforme Politik auch dieser Bundesregierung würde etwas für den Zusammenhalt Bosnien-Herzegowinas bewegen;

(Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Althea!)

deutsche Soldaten auf dem Balkan haben es in der Vergangenheit nicht und werden es auch in Zukunft nicht. Aus der Debatte wird auch klar, dass Sie an einer ehrlichen Bilanz des Althea-Militäreinsatzes nicht wirklich interessiert sind. Sie bauen sich hier systematisch eine Scheinwelt auf, die dazu dient, den Militäreinsatz zu legitimieren.

(Zuruf von der FDP: Scheinwelten hat nur die Linkspartei!)

In der jüngsten Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik zur Bilanz der bisherigen EU-Militär- und Polizeieinsätze heißt es, dass sich die Stimmen mehren, die sagen, dass die Situation in Bosnien nach Dayton selten so verfahren und angespannt war wie im Jahr 2009. Ich frage Sie: Ist das das positive Ergebnis dieser Militärmission, das einen weiteren Verbleib in Bosnien rechtfertigt? Die Autoren der Studie haben doch recht, wenn sie konstatieren, dass dieser Konflikt weder durch politischen noch durch wirtschaftlichen oder militärischen Druck gelöst werden kann. Der EU-Militäreinsatz hat - selbst wenn man Ihrer Logik folgen würde - nichts, aber auch gar nichts Positives bewirkt. Im Gegenteil: Er hat mit verhindert, dass es zu einem wirklich nachhaltigen zivilen und sozialen Aufbau in Bosnien-Herzegowina kommt.

(Dr. Rainer Stinner (FDP): Unsinn!)

Man muss doch den Tatsachen ins Auge sehen. Dazu gehört, dass alle deutschen Bundesregierungen nach Dayton dabei halfen, dass auch in Bosnien-Herzegowina eine neoliberale Wirtschaftsordnung durchgesetzt wurde.

(Beifall bei der LINKEN - Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der SPD: Wer lebt denn hier in einer Scheinwelt?)

Schauen Sie sich doch einmal den Anhang des Dayton-Abkommens an. Die Privatisierung und damit die Verschleuderung öffentlichen Eigentums standen ganz oben auf der Agenda.

(Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Und die russischen Oligarchen, liebe Frau Dagdelen? - Thomas Oppermann (SPD): Sagen Sie doch mal was zu den russischen Oligarchen!)

Aber die erwarteten westlichen Investoren hielten sich aufgrund der Sicherheitslage zurück. So konnten sich an der Privatisierung vor allen Dingen diejenigen bereichern, die nach dem Krieg vor Ort genügend Kapital zur Verfügung hatten, nämlich ethnonationalistische Gewaltunternehmer, deren wirtschaftlich-politisch-kriminelle Netzwerke heute für die verarmte Bevölkerung das einzige soziale Netz darstellen.

Auch wenn Sie das nicht hören wollen: So schafft man keinen Frieden, indem man soziale Strukturen zerstört und die Leute damit in die Arme der Nationalisten treibt.

(Beifall bei der LINKEN)

   Und auch in puncto Rechtsstaatlichkeit haben Sie schlichtweg versagt. Der Hohe Repräsentant setzt per Dekret Recht, und somit haben wir es mit einem EU-Protektorat zu tun, das alle Züge einer Kolonialverwaltung trägt.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der FDP)

Es ist klar, dass Ihnen das nicht gefällt.

Die lokale Polizei wurde und wird von NATO und EU aufgebaut, ausgebildet und beaufsichtigt, und nach unabhängigen Angaben ist die Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina noch nie so schlecht auf diese Polizei zu sprechen gewesen wie im letzten Jahr. Auch das gehört zu Ihrer Bilanz.

Lassen Sie mich mit einem Appell schließen, auch wenn ich weiß, dass das bei Ihnen wahrscheinlich gar nichts nutzen wird: Ziehen Sie die Bundeswehr ab, deren Mission gescheitert ist! Kehren Sie zurück zur Politik! Lassen Sie Ihre imperialen Spielchen!

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP - Michael Brand (CDU/CSU): Wie oft waren Sie denn in dem Land, über das Sie gerade gesprochen haben?)

Achten Sie endlich wieder das Völkerrecht! Machen Sie Demokratie, Sozial- und Rechtsstaatlichkeit zur Maxime deutscher Außenpolitik, damit deutsche Außenpolitik Friedenspolitik werden kann!

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN - Hermann Gröhe (CDU/CSU): Sind wir denn hier im Warschauer Pakt?)

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Lesen Sie hier den folgenden Debattenbeitrag von Marieluise Beck .

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