Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Reisebericht: XII. Minsk Forum

Am 5. und 6. November 2009 reiste ich zur Teilnahme am XII. Minsk Forum in die belarussische Hauptstadt. Das diesjährige Forum widmete sich unter dem Titel „Belarus und die Östliche Partnerschaft“ den Perspektiven der Zusammenarbeit von Belarus und EU im Rahmen der neuen EU-Ostpolitik. Es bot zudem die Möglichkeit, ein Resümee der ca. einjährigen Dialogpolitik der EU gegenüber Belarus zu ziehen. Das Dialogangebot der EU folgte im Oktober 2008 der Freilassung politischer Gefangener, aber auch Parlamentswahlen, die von der OSZE als weder fair noch frei bewertet wurden und von deren Verlauf zuvor die Aufhebung von Sanktionen von der EU abhängig gemacht worden war. Der Schritt der EU stieß daraufhin auch wegen mangelhafter öffentlicher Kommunikation bei vielen Oppositionellen in Belarus auf Unverständnis. Befürchtet wurde, die EU könne ihre Forderungen nach Demokratie und Menschenrechten in Belarus hinter geopolitische Interessen zurückstellen, die mit dem Georgienkrieg im August 2008 an Aktualität und Gewicht gewonnen hätten.

Dagegen betonten die Vertreter der EU auf dem diesjährigen Minsk Forum, namentlich der Leiter der Kommissiondelegation in Belarus, Jean-Eric Holzapfel, der Osteuropa-Beauftragte im Auswärtigen Amt, Hans-Dieter Lucas, und der schwedische Botschafter in Belarus, Stefan Eriksson, zu allererst die Bedeutung von Demokratie und Menschenrechte für die Östliche Partnerschaft. Dem zugrunde liegt wohl eine weitgehende Unzufriedenheit der EU mit der Entwicklung in Belarus in diesem Bereich. Denn die EU hatte die Aussetzung der Sanktionen und die Verlängerung dieser Maßnahmen zuvor immer wieder an demokratische Fortschritte gebunden.

Seit erneuter Sanktionsaussetzung im März und der folgenden Aufnahmen von Belarus in die Östliche Partnerschaft Anfang Mai 2009 hat es nahezu keine Fortschritte gegeben. Einzig die Umsetzung von Vorschlägen der OSZE zur Änderung der Wahlgesetzgebung ist angekündigt worden. Allerdings geschah dies erst vor kurzem, wenige Tage vor der anstehenden Sanktionsentscheidung der EU Mitte November und nach einer deutlichen Unmutsäußerung wegen mangelnder Kooperation des Minsker Regimes durch Janez Lenarcic, dem Direktor des Büros für Demokratie und Menschenrechte der OSZE (ODIHR). Die Arbeitsgruppe aus ODIHR und Regimevertretern hatte bereits seit Mai nicht mehr getagt.

Auch der Gesamtrückblick auf die demokratischen Fortschritte des vergangenen Jahres der Dialogpolitik der EU gegenüber Belarus ist wenig befriedigend. Zwar ist die Bürgerbewegung des ehemaligen oppositionellen Präsidentschaftskandidaten, Aljaksandr Milinkewitsch, registriert, der Menschenrechtsorganisation „Nascha Wjasna“ (Unser Frühling), der Christlich-Demokratischen und weiterer Parteien eine Registrierung jedoch verweigert worden. Zwei kritische Tageszeitungen sind wieder für den staatlichen Zeitungsvertrieb zugelassen. Die vereinbarten Auflagen sind jedoch äußerst gering und weitere 13 Zeitungen wurden nicht zugelassen. 11 Jugendaktivisten stehen derzeit wegen der Teilnahme an einer friedlichen Demonstration im Januar 2008 unter Hausarrest. Sie wurden im Mai 2009 von Amnesty International als politische Häftlinge anerkannt. Artiom Dubski, einer der verurteilten Jugendaktivisten, wurde im Juli 2009 wegen Strafvereitelung durch Fortgang ins Ausland zu einem Jahr Haft verurteilt. Im Januar 2009 wurden drei Unternehmer aus der Region Grodno, die sich zuvor aktiv an Protesten der Kleinunternehmer beteiligt hatten, unter fadenscheinigen Anschuldigungen verhaftet. Nach monatelanger Untersuchungshaft und Hungerstreik eines der Verhafteten wurde im Juli das Verfahren eröffnet. Einer der Angeklagten wurde im August entlassen, das Verfahren gegen ihn eingestellt. Die Menschenrechtsorganisationen Nascha Wjasna und das Belarus Helsinki Komitee werten die Prozesse als politisch motiviert. Im Oktober 2009 wurde ein ehemaliger unabhängiger Kandidat der Parlamentswahlen im Oktober 2008 wegen Wirtschaftsdelikte zu sieben Jahren Haft verurteilt. Auch hier wird von einem fadenscheinigen, offensichtlich politischen Prozess gesprochen.

Trotz dieser unbefriedigenden Bilanz sprach der Leiter der belarussischen Präsidialadministration, Wladimir Makej, bei der Eröffnung des Minsk Forums von „gemeinsamen Werten“, die man mit Europa teile und warnte vor der Wiedereinsetzungen der Sanktionen. Nur eine Annäherung ohne Vorbedingungen werde Fortschritte für ein Europa ohne Trennlinien bringen. Der stellvertretende Leiter der Europaabteilung des belarussischen Außenministeriums, Sergej Malinowski, meinte andernorts auf dem Forum, die Zeiten, in denen die EU Vorbedingungen für die Zusammenarbeit gestellt habe, seien nun vorbei. Gleichsam als Warnung war scheinbar Makejs Ankündigung gedacht, das belarussischen Parlament werde in der kommenden Woche über die seit Monaten mit massivem Druck von Russland geforderte Anerkennung der georgischen Provinzen beraten. Hierauf reagierten Lucas und der anwesende Abgeordnete Karl-Georg Wellman entsprechend, sprachen von einer eindeutigen Position, die die EU hierzu habe, und von offensichtlichen Schwierigkeiten, die ein solcher Schritt auch wegen der Beteiligung Georgiens an der Östlichen Partnerschaft hervorriefe.

Lucas, Eriksson und Wellmann verwiesen nachdrücklich auf die Notwendigkeit rechtsstaatlicher und demokratischer Reformen auch als Voraussetzung für die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Der dringend notwendige marktwirtschaftliche Umbau der schwer angeschlagenen Staatswirtschaft sei ohne Fortschritte bei Demokratie und Rechtsstaat nicht zu leisten. Westliche Investoren brauchten Sicherheit durch Rechtsstaatlichkeit. Diese Forderung erhält besonderes Gewicht durch den Kredit des Internationalen Währungsfond in Höhe von 3,6 Mrd. USD, der seit Januar in mehreren Tranchen nach Belarus überwiesen wird. Er markierte zum einen die dramatischen Haushaltssituation des Landes und führte zum anderen zu einer faktischen Teilung der politischen Macht zwischen dem Minsker Regime und IWF. Letzerer hatte seine Kreditzahlungen an Reformschritte geknüpft, die auch tatsächlich umgesetzt werden. So kam es Anfang Januar zu einer Entwertung des belarussischen Rubel um 20% bei gleichzeitiger Öffnung des Wechselkurses, zu einer Abschaffung der staatlichen Einzelhandelspreisbindung mit wenigen Ausnahmen und zur Gründung einer Privatisierungsagentur für Staatsbetriebe. Die Forderung nach Erhöhung der Mehrwertsteuer um 4% und Senkung der Unternehmensbesteuerung steht noch im Raum. Diese Entwicklung macht deutlich, warum Makej und Vertreter des belarussischen Außenministeriums mehrfacht und nachdrücklich den Willen zu einer stärkeren wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der EU äußerten.

Kontrovers diskutiert wurde auf dem Minsk Forum, ob ein Szenario vorstellbar sei, in dem Belarus sich lediglich entlang einzelner Sektoren an der Östlichen Partnerschaft beteilige könnte, um unangenehme Bereiche auszuklammern. Hans-Dieter Lucas wies diese Vision als nicht realistisch zurück.

Anwesende Vertreter von Oppositionsparteien fragten, wo ihr Platz in der Östlichen Partnerschaft sein werde. Das Zivilgesellschaftsforum sei den Nichtregierungsorganisationen vorbehalten und damit für die Oppositionsparteien kein geeigneter Ort. Daraufhin wurde eine mögliche Beteiligung der Opposition an den interparlamentarischen Treffen des Europäischen Parlaments mit den Parlamenten der Länder der Östlichen Partnerschaft im Rahmen von EURONEST diskutiert.

Der Vorsitzende des Internationalen Konsortiums „EuroBelarus“, Wlad Welitschko, äußerte die Befürchtung, das Zivilgesellschaftsforum könne letztlich dem Ausschluss der Zivilgesellschaft dienen. Es bestünde die Gefahr, dass die Regierungen ihnen unliebe Fragen dorthin aussonderten, dem Zivilgesellschaftsforum aber keinen Zugang zu den Plattformen der Östlichen Partnerschaft gewährten. Die Zivilgesellschaft könnte dann ohne Einfluss auf die Ausgestaltung der Partnerschaft bleiben.

Die Gespräche des diesjährigen Minsk Forums machten deutlich, dass nach einem Jahr Dialogpolitik der EU noch nicht viel Fortschritt bei der Öffnung von Belarus erreicht worden ist. So richtig eine Dialogpolitik gegenüber dem Regime in Minsk und die Einbeziehung von Belarus in die Östliche Partnerschaft auch ist – eine ehrliche Analyse des Erreichten ist notwendig anstatt die Lage im Land im Interesse von Erfolgsmeldungen zu beschönigen. Nur so gewinnen die Forderungen der EU nach Demokratie und Menschenrechten Glaubwürdigkeit und Substanz. Die finanz-, fiskal- und wirtschaftspolitischen Zugeständnisse von Belarus gegenüber dem IWF zeigen, wie dramatisch die wirtschaftliche Lage im Land ist. Die EU kann auf diesem Gebiet ein starker Partner von Belarus werden. Dem Regime in Minsk ist aber klarzumachen, dass eine bloß wirtschaftliche Kooperation oder nur sektorielle Zusammenarbeit in Rahmen der Östlichen Partnerschaft nicht funktionieren wird. Zum einen ist die EU auch Wertegemeinschaft, zum anderen benötigen auch Investoren rechtsstaatliche Verhältnisse. An die EU geht zudem die Forderung, bei der Ausgestaltung der Östliche Partnerschaft der Zivilgesellschaft und Opposition den nötigen Raum zu geben. Das bedeutet, über das Zivilgesellschaftsforum hinaus Zugang zu den thematischen Plattformen der Östlichen Partnerschaft zu gewähren mit dem Recht, angehört oder Themen und Fragen hinein zu geben. Hier gilt es dann, offen über politische Paragraphen, Unabhängigkeit der Justiz, Mediengesetzgebung, Wahlgesetze, Registrierungsbestimmungen für NGOs und Parteien, über politische Gefangene und Todesstrafe zu sprechen.

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