Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede zum Stabilisierungsabkommen mit Serbien

Auf dem Gipfel 2003 in Thessaloniki sagte die EU allen Ländern des Westbalkan die Perspektive des EU-Beitritts zu. Vor Aufnahme der Beitrittsverhandlungen schloss die EU mit allen Ländern Stabilisierungs- und Assioziierungsabkommen, die die Länder für die Verhandlungen vorbereiten sollen. Bestandteil der Abkommen sind Handelserleichterungen mit der EU, Einführung eines Teils der EU-Gesetzgebung und die Stärkung der regionalen Zusammenarbeit.

Die Ratifizierung des im April 2008 unterzeichneten Abkommens mit Serbien durch die Parlamente der EU-Staaten wurde von den Niederlande bisher blockiert, da zunächst die Festnahme und Auslieferung der serbischen mutlmaßlichen Kriegsverbrecher Ratko Mladic und Goran Hadzic erfolgen sollte. Trotz mangelnder Bereitschaft der serbischen Regierung, diese Forderung zu erfüllen, beschloss die EU im Juni 2010, den Ratifizierungsprozess zu beginnen. Zuvor war die Bewertung der Zusammenarbeit Serbiens mit dem Haager Tribunal durch dessen Chefankläger Serge Brammertz vom Rat der EU-Außenminister als positiv beschrieben worden. Brammertz äußerte später öffentlich sein Unverständnis über diese Darstellung der EU, da seine Bewertung Serbiens deutlich kritischer als zuvor ausgefallen sei. Offensichtlich suchte die EU mit ihrer Entscheidung die pro-europäischen Kräfte in Serbien durch konkrete Fortschritte bei der Annäherung an die EU zu stärken.

Marieluise Beck ging in ihrem Debattenbeitrag zum Stabilisierungsabkommen mit Serbien auch auf diesen Vorgang ein. Da die Tagesordnung des Plenums zum Jahresende bereits sehr voll war, konnten die Debattenbeiträge, wie in solchen Fällen üblich, nur als Redetext zu Protokoll gegeben werden.

Lesen Sie hier den Redetext von Marieluise Beck:

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und Serbien ist ein wichtiger Schritt für beide Seiten. Er bringt das Land der EU näher und er trägt dazu bei, im noch immer glimmenden Krisenherd mitten in Europa die Voraussetzungen für eine sich dynamisch entwickelnde Region zu schaffen. Das ist jedenfalls die Hoffnung, die wir sicher hier im Bundestag und in der EU alle gemeinsam teilen. Deshalb begrüßen wir dieses Abkommen als Chance und nicht zuletzt als Signal an Serbien.

Wir tun dies, obwohl nach wie vor eine der lange Zeit geltenden Bedingungen für sein Zustandekommen nicht erfüllt ist: die Überstellung von Ratko Mladic und Goran Hadzic nach Den Haag. Mehr noch: Der jüngste Bericht des Chefanklägers zur  Bewertung der Zusammenarbeit Serbiens mit dem Internationalen Gerichtshof ist deutlich kritisch. Er formuliert es natürlich diplomatisch, aber es ist zu verstehen: nach wie vor fehlt der politische Wille in Serbien, diese Bedingung zu erfüllen. Brammertz fordert zugleich – wiederum verklausuliert - anhaltenden Druck seitens der EU, ohne den eine Auslieferung der Beschuldigten wohl kaum zu erwarten wäre.

Es steht also noch viel Arbeit bevor, die eigentlich vor der Geltung des Stabilisierungsabkommens zu leisten gewesen wäre. Aber auch das Abkommen selbst ist zugleich ein Katalog zu erfüllender Aufgaben – und auch dies für beide Seiten. Denn es verpflichtet die EU zu dauerhaftem und verstärktem Engagement, und es verpflichtet Serbien zur Erfüllung der Bedingungen, derer es zur Aufnahme von Beitrittsverhandlungen bedarf. Dabei geht es nicht allein um innenpolitische Entwicklungen, sondern auch um intensivierte regionale Kooperation.

Denn trotz aller Fortschritte ist die ganze Region im Südosten Europas nach wie vor eine ernsthafte Herausforderung für die europäische und nicht zuletzt deutsche Politik. Deutschland als größter Staat der EU und Verursacher eines Teils der historischen Lasten in Südosteuropa in den großen Kriegen des vergangen Jahrhunderts hat hier besondere Verantwortung.

Es gibt ein miteinander verflochtenes Dreieck aus Serbien, Bosnien-Herzegowina und dem Kosovo. Sie alle wollen in die EU und sie alle sollen in die EU. Ein schwarzes Loch in ihrer Mitte kann sich die EU auf Dauer nicht leisten. Dazu müssen  jedoch die Beziehungen zwischen diesen drei Nachbarn verbessert werden. Was sie stattdessen entwickeln müssen ist konstruktive Zusammenarbeit.

Vor einigen Wochen habe ich hier im Plenum eine falsche Information verbreitet. Dafür möchte ich mich entschuldigen und das heute richtigstellen. Die serbische Regierung war trotz vorheriger Ankündigung nicht geschlossen zur Amtseinführung des neuen serbischen Patriarchen in das kosovarische Pec gereist, und Serbien beansprucht auch nicht diese Stadt, wie es das im Fall von Nord-Mitrovica tut. In Pec steht das Patriarchatskloster, dessen Schutz Serbien beansprucht und auch erhält.

Aber Serbien beharrt auf dem Kosovo als Teil seines Staates und erschwert so die Stabilisierung des Kosovo. Verschiedene internationale Institutionen agieren deshalb dort nebeneinander und stehen sich oft genug im Weg. Eine dynamische Wirtschaft kann so kaum entstehen.

Problematisch bleibt auch die Entwicklung Bosnien-Herzegowinas. Noch immer ist das Land blockiert durch das Fehlen einer modernen Verfassung. Der Vertrag von Dayton bleibt Grundlage und Hürde zugleich. Und der serbische Präsident Tadic tritt  im Wahlkampf mit dem härtesten Blockierer einer Verfassungsreform, dem Präsidenten der serbischen Teilrepublik Dodik, und der früheren Vertrauten des Serbenführers Karadzic, Biljana Plavsic auf.

Die beiden Staaten, die Hauptopfer der Kriege waren, bleiben auch heute zurück, und Serbien tut sich schwer mit seiner Vergangenheit und Gegenwart. Deutschland und die EU, involviert in die Geschichte der Kriege und mitverantwortlich für ihr Ende, sind angesichts des Reformstaus in den Ländern des Balkans müde geworden. Jetzt werden auch die Mittel zur Unterstützung der Region gekürzt. Aber wir brauchen Dynamik und Anstrengungen. Wir brauchen ständiges und anhaltendes, ernsthaftes Engagement. Das aber fehlt, teils in der Region selbst, teils in der EU.

Außenminister Westerwelle hat mit seinem ersten und bisher einzigen Besuch zur Entspannung im serbisch-kosovarischen Verhältnis beigetragen. Vor Zeiten gab es Außenminister, die in anderen Regionen monatelange Pendeldiplomatie betrieben, um Einigungen zu erzielen, Verhandlungen voranzubringen. Ich wünschte mir einen deutschen Außenminister, der heute dasselbe auf dem westlichen Balkan tut. Und der für die Anerkennung der staatlichen Realitäten auch in der EU wirbt, um dort  endlich Geschlossenheit zu erzielen.

Vielen Dank.

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