Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Diplomatie gegen Nationalismus

In der taz vom 17. August 2007 schreibt Marieluise Beck über die Risiken der neuerlichen Verhandlungsinitiative zur Statusfrage des Kosovo durch die Troika aus Russland, EU und USA. Sie befürchtet, die Troika könnte die Fehler von Dayton wiederholen. Lesen Sie hier den Artikel:

In der deutschen Öffentlichkeit ist es üblich, die serbische parteipolitische Landschaft in demokratische und nichtdemokratische Parteien zu unterteilen. Nicht nur die Medien tun dies, auch professionelle Außenpolitiker bis hin zum Auswärtigen Amt freuten sich über die neue vermeintlich demokratische Koalition in Belgrad. Diese holzschnittartige Zuordnung aber ist irreführend und verleitet zu falschen Prognosen. Sie favorisiert ein untaugliches Kriterium. Denn die Respektierung demokratischer Wahlen unterstellt fälschlich ein positives Verhältnis zum Westen und seinen Erwartungen.Natürlich ist es zu begrüßen, wenn Wahlen nicht gefälscht werden. Aber es genügt nicht als Ausweis demokratischer Kultur und schon gar nicht der Fähigkeit, sich in supranationale Strukturen wie die EU zu integrieren. Entscheidend für das politische Handeln in Serbien – wie in seinen Nachbarstaaten – ist die nationalistische Grundhaltung der gesellschaftlichen Mehrheit. Es sollte also unterschieden werden zwischen westlich orientierten und nationalistischen Strömungen und Parteien. Dies ist das angemessene Koordinatensystem zur Bewertung politischer Ziele und Strategien.

Die nationalistischen Parteien haben keinerlei Anlaß für Wahlbetrug, denn sie repräsentieren die Mehrheit. Sie alle entstammen der Opposition zur Sozialistischen Partei, die vor sieben Jahren Milosevic an der Macht halten wollte. Nicht dessen aggressiver Nationalismus brachte die Gesellschaft gegen ihn auf, sondern die dramatischen wirtschaftlichen Folgen der verlorenen Kriege. Sie war enttäuscht vom vormaligen Volkstribun und wollte ihn nicht mehr.

Das Spektrum der Nationalisten reicht von der Radikalen Partei über die Monarchisten des bisherigen Außenministers Draskovic bis zur DSS von Kostunica. Dennoch haben sie alle bereits mit Milosevic koaliert oder sich tolerieren lassen. Das Bindeglied dafür war und ist die Ablehnung des Westens und seiner Forderungen. Wer heute in Serbien die Auslieferung von Ratko Mladic an das Tribunal in Den Haag fordert, beißt auf konsensualen Granit.

Auch die im Westen gerühmte Demokratische Partei schwankt traditionell zwischen westlicher und nationalistischer Orientierung – Personen wie Djindjic und jetzt Tadic sind nicht einfach repräsentativ für sie. Ähnliches gilt für eine Reihe kleinerer, darunter sozialdemokratischer Parteien. Indifferent in dieser Frage ist die wirtschaftsliberale Partei G17, die aber für ihr Reformprogram auf den Westen angewiesen ist. Den einzigen klaren Kontrapunkt bieten die mutige Liberaldemokratische Partei und ihre Verbündeten. Zwar sind sie immerhin ins Parlament gekommen. Aber fünf Prozent sind wahrlich keine Mehrheit.

Die Erwartung an die serbische Regierungskoalition, sowohl die Unabhängigkeit des Kosovo hinzunehmen als auch die Kooperation mit Den Haag ernsthaft zu betreiben, ist schlicht naiv, zumindest aber zu optimistisch. Diese Koalition stellt allenfalls eine Balance zwischen Nationalisten und Nicht-Nationalisten dar, deren Existenz an den Status quo in beiden Fragen gebunden ist. Die jüngste Auslieferung zweier Kriegsverbrecher war deshalb nicht mehr als ein Bauernopfer zur Vermeidung der Auslieferung von Mladic und Karadzic. Auch ein erkennbares Einlenken in der Kosovo-Frage wäre angesichts der Kräfteverhältnisse ziemlich sicher das Ende der Regierung zugunsten einer Machtübernahme der Radikalen, mit oder ohne Wahlen. Freundliche Angebote wie die Partnerschaft mit der NATO und die Wiederaufnahme der Verhandlungen über ein Assoziierungsabkommen mit der EU machen unter diesen Umständen wenig Eindruck.

Die EU-orientierten Kräfte sind zu schwach, als daß sie deren Angebote in eine entsprechende Politik umsetzen könnten. Im Gegenteil, diese Angebote stärken die Nationalisten, denn sie wirken als deren Sieg. Aus der Perspektive eines Kostunica heißt dies: Seht, der Westen akzeptiert unser Selbstbewußtsein, er bietet uns Verhandlungen an. Wahre Nationalisten jedoch sind – im Unterschied übrigens zu Milosevic - Überzeugungstäter und nicht käuflich.

Der Zielkonflikt in der serbischen Gesellschaft bleibt der des Bedürfnisses nach Wohlstand mit Hilfe der EU einerseits und der Pflege des Opferstatus des unverstandenen Serbentums andererseits. Eine positive Entwicklungsdynamik mit der Wirtschaft als Triebkraft wäre natürlich wünschenswert. Sie enthält allerdings keine Automatik zur Eindämmung eines nationalistischen Selbstverständnisses. Der Nationalismus aber muß sichtbar und fühlbar scheitern.

Dazu beizutragen ist Aufgabe auch der EU, will sie Serbien helfen und das Land schließlich integrieren. Wohlwollende Angebote mit zugedrückten Augen sind dafür das falsche Mittel. Die serbische Gesellschaft darf nicht darum herumkommen, sich selbstkritisch mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Sie braucht die Erkenntnis der selbstverschuldeten Niederlage, zu der sie bisher infolge der Politik des Westens nicht gezwungen war. Natürlich muß das prinzipielle Angebot der EU-Mitgliedschaft aufrechterhalten bleiben. Aber es darf zu keinen Zugeständnissen hinsichtlich der Bedingungen dafür verleiten.

Zum Eingeständnis der Niederlage des serbischen Nationalismus gehört auch die Hinnahme des Verlusts des Kosovo. Zwar kann die EU dort auch ohne Statusregelung schon agieren, solange dies auf der Basis der UN-Resolution 1244 oder einer modifiizerten Nachfolgeresolution geschieht. Auch KFOR kann ohne Statusregelung in EUFOR umgewidmet werden. Aber eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Dynamik wird so nicht entstehen. Allenfalls könnte eine neuerliche Gewalteskalation verhindert werden. Um nicht den Eindruck einseitig antiserbischer Rhetorik entstehen zu lassen: der albanische Nationalismus ist nicht weniger entwickelt als der serbische. Immerhin wird das Kosovo von durchaus zu Gewalt fähigen ehemaligen UCK-Kämpfern regiert. Historisch jedoch ist nun mal das Kosovo zum Opfer Serbiens geworden und nicht umgekehrt. Deshalb, aber auch mit Blick auf die Zukunft der nächsten Jahre und Jahrzehnte führt an der Anerkennung des Kosovo als unabhängigem Staat kein Weg vorbei. Nur über den Umweg der Selbständigkeit kann das Kosovo den Weg nach Europa finden, und nur über das Eingeständnis seiner Niederlage kann dasselbe Serbien gelingen.

So verständlich jetzt die verzweifelte Suche der Troika mit dem Dayton-erfahrenen Botschafter Ischinger nach einer Lösung ist: Er wie auch die anderen Mitglieder der Kontaktgruppe sollten gelernt haben, wohin Zugeständnisse an den serbischen – und jeden anderen - Nationalismus führen. Bestenfalls ergeben sie Stagnation wie in Bosnien-Herzegowina, schlimmstenfalls Krieg wie im Kosovo. Die EU kann sich jedoch ein solches Risiko auf Dauer nicht leisten.

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