Am 24. Februar 2011 lud Marieluise Beck im Namen der grünen Bundestagsfraktion zu einem Fachgespräch mit Menschenrechtlern über die Lage der Zivilgesellschaft in Belarus in den Bundestag ein. Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Medien diskutierten mit Aleh Hulak, Vorsitzender des Belarus Helsinki Komitee, Waljanzin Stefanowitsch, Jurist des Menschenrechtszentrums „Wjansa“, und Stefanie Schiffer, Geschäftsführerin des Europäischen Austauschs.
Der Europäische Austausch hatte mit den belarussischen Organisationen eine einheimische Beobachtungen der Präsidentschaftswahl am 19. Dezember 2010 organisiert, deren Abschlussbericht sie den Gästen vorstellten. Die beiden Menschenrechtsorganisationen verfügen landesweit über lokale Organisationen und konnten so flächendeckend mit 600 Beobachtern am Wahltag Stimmabgabe und –auszählung überprüfen. Während der Wahlkampf deutlich liberaler als bei vorangegangenen Wahlgängen verlaufen sei, hätten die Beobachter erneut deutliche Hinweise auf Manipulationen bei der Stimmabgabe und –auszählung gefunden. Auch seien die Wahlkommissionen wie bei vorangegangenen Wahlen fast ausschließlich mit Regimevertretern besetzt gewesen. Die einheimische Wahlbeobachtung diene neben der Dokumentation von Manipulation und Rechtsverstößen auch dazu, einen Teil der Bevölkerung, der durch Lukaschenko aus den politischen Institutionen gedrängt wurde, durch Beteiligung weiter politisch aktiv zu halten.
Die belarussischen Menschenrechtler berichteten zudem über die massiven Repressionen gegen Zivilgesellschaft und Opposition seit den Protesten gegen die Wahlfälschung am 19. Dezember. Rund 50 Personen seien unter Anklage wegen Aufrufs zu Massenunruhen. Die ersten politischen Prozesse hätten begonnen. Ein erstes Urteil zu vier Jahren Lagerhaft wegen Teilnahme an den Protesten sei ergangen. Bereits vier Anwälte hätten ihre Lizenz verloren, nachdem sie die Verteidigung von Angeklagten übernommen hatten. Im ganzen Land seinen unabhängige Organisationen unter Druck. Auch das Belarus Helsinki Komitee und Wjasna seien vom KGB durchsucht, verhört und Ausstattung konfisziert worden.
Beide Menschenrechtsorganisationen kündigten dennoch eine Beobachtung der politischen Prozesse an. Die ersten Prozesse zeigten bereits gravierende Mängel des juristischen Verfahrens und der Beweisführung. Offensichtlich versuche man, mit diesen Prozessen gegen einfache Teilnehmer der Proteste Beweislast für einen versuchten Umsturz aufzubauen, auf deren Basis die Oppositionskandidaten später als Anführer zu langen Haftstrafen verurteilt werden könnten.
Derartige politische Massenprozesse seien einmalig in der Geschichte des Landes seit der Erlangung seiner Unabhängigkeit vor 20 Jahren. Jedoch hätte die Gewalt des Regimes zu einer Solidarisierung der Gesellschaft mit den Repressionsopfern geführt. Die Hilfsbereitschaft für die Inhaftierten sei enorm. Lukaschenko habe durch das brutale Vorgehen gegen friedliche Demonstranten zudem den Rückhalt in der Bevölkerung verloren, die bislang mehrheitlich die Einschränkung der Freiheitsrechte zugunsten relativer Stabilität in Kauf nahm. Er werde von nun an seinen Machterhalt auf Basis von Repression und Angst sichern. Die vorsichtige Öffnung der vergangenen zwei Jahre habe die Machtbasis Lukaschenkos gefährlich ins Wanken gebracht. Das harte Durchgreifen gegen die Opposition am 19. Dezember sei daher offensichtlich von langer Hand geplant gewesen. Die Opposition habe dies im Voraus nicht erkannt und sei von den Ereignissen überrascht worden.
Die aktuellen Vorgänge in Nordafrika würden in den staatlichen Propagandamedien stark verzerrt dargestellt. Allerdings hätte die Bevölkerung die Chance, über das weitgehend noch unzensierte Internet sich ein objektives Bild von den Geschehnissen zu machen. Gleichwohl sei auch die Internetzensur rechtlich und technisch vorbereitet und werde zu einzelnen Anlässen, wie am Wahltag, eingesetzt. Oppositionsseiten und soziale Plattformen seien an diesem Tag nur eingeschränkt erreichbar gewesen.
Die Menschenrechtler aus Belarus formulierten zwei wesentliche Forderungen an die EU zur Unterstützung der Zivilgesellschaft in Belarus. Zum einen betonten sie die Notwendigkeit von Reiseerleichterungen für die Menschen aus Belarus, die derzeit als einzige in Europa die volle Visumsgebühr zu zahlen haben. Zwar würden ca. 30 bis 40 % der Visa bereits gebührenfrei erteilt. Allerdings stellten auch die Antragsformalitäten und der Nachweis der Rückkehrbereitschaft gerade für junge Menschen eine Hürde dar. Reisefreiheit hingegen wäre die bestmögliche Informationskampagne für die EU und ihre demokratischen Werte. Dieses offene Fenster in die EU sei nötig, um der antiwestlichen Propaganda des Staatsfernsehens etwas entgegensetzen zu können. 70 % der Bevölkerung sei noch nie in der EU gewesen. Marieluise Beck berichtete den Gästen von der Kontroverse zwischen den Bundestagsfraktionen über die von den Grünen geforderte Abschaffung der Visumspflicht für Belarus . Dieser Forderung stünden die auf Sicherheitsfragen fokussiert Innenpolitiker vor allem der konservativen Parteien entgegen.
Weiterhin baten die Menschenrechtler um eine international Beobachtung der politischen Prozesse . Vertreter der deutschen Botschaft etwa seien bereits bei den ersten Prozessen präsent gewesen. Es sei wichtig, dies fortzuführen und durch weitere Vertreter aus der EU und möglichst auch durch die OSZE auszuweiten. Die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in Belarus am und nach dem 19. Dezember durch die International Observation Mission, einem Zusammenschluss europäischer Menschenrechtsorganisationen aus GUS- und EU-Staaten, sei im Gange. Jedoch solle sie durch weitere Untersuchungen internationaler Organisationen wie dem Europarat, OSZE und den Vereinte Nationen ergänzt werden. Diese internationalen Untersuchungen seien auch für die Entkräftung der Anklagen in den politischen Prozessen von Bedeutung.
In der Diskussion wurde zudem die Verantwortung Russlands für die politischen Häftlinge angesprochen. Das Nachbarland hatte die Opposition im Wahlkampf ermutigt und unterstützt. Russland als Europaratsmitglied dürfe man daher nicht aus der Verantwortung für die Inhaftierten entlassen.