Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Wo Wladimir Putin wirklich der Mut fehlt

Ein Text von Marieluise Beck, veröffentlicht am 16. Juni 2015 im Weser Kurier:

Schlechte Nachrichten aus dem Donbass. Und wieder die bange Frage: Hält „Minsk“ oder hält es nicht?

„Minsk“ ist bestenfalls eine Chiffre für den Versuch, eine militärische Auseinandersetzung zumindest einzuhegen. In der langen Nacht vom 11. auf den 12. Februar wurden viele Fragen nicht geklärt – ein Abkommen wäre sonst nicht zustande gekommen. Minsk war bestenfalls ein Patt, mit ungeklärten „Wenn/Dann“-Regeln, unklaren Linien, Grenzen, die Ortschaften zerschneiden. Es fehlte jegliche Autorität, die den kalten Frieden hätte überwachen können. Über die völkerrechtswidrige Annexion der Krim wurde gar nicht gesprochen.

In nur einem Jahr hat der Krieg in der Ostukraine nach offiziellen Angaben 6400 Menschen das Leben gekostet, Zehntausende sind verwundet, zwei Millionen haben ihre Heimat verlassen. Immer noch sterben täglich Soldaten und Zivilisten. Kontrolleure der OSZE, die selber schon Geiseln der sogenannten Separatisten geworden sind, können ihre Aufgabe nicht bewältigen. Die humanitäre Lage im Donbass ist katastrophal: In der Millionenstadt Donezk gibt es nur noch einen Zahnarzt und Familien, die seit Monaten die Keller nicht mehr verlassen haben, weil der Beschuss sie fast verrückt macht.

Wer sind die Herren des Donbass, die wir „Separatisten“ nennen? 30 000 Kämpfer sollen es nun in etwa sein. Den Kern bilden Reservisten der russischen Armee und Afghanistan-Veteranen der damaligen Sowjetarmee, die sowohl russisch als auch ukrainisch gewesen ist. Beteiligt sind auch Spezialeinheiten des russischen Militärs. Die organisierte Kriminalität hat ebenfalls ihre Finger im Spiel. Ob Wladimir Putin diese Herren noch steuert?

Teile der russischen Eliten sehen klar, dass ihr Land durch den Krieg in der Ukraine seiner Zukunft beraubt wird. Doch inzwischen ist Präsident Putin Gefangener seiner eigenen Propaganda. Das Volk in Russland glaubt daran, dass man sich wieder einmal dem „Faschismus aus dem Westen“ entgegenstellen müsse, egal welche Opfer dies fordert. So ist Putin eingeklemmt zwischen denen, die Russland zu einem europäischen Land mit Zukunft aufbauen wollen und denen, die – von nationalem Chauvinismus getrieben – den Amputationsschmerz nach Zerfall des Imperiums instrumentalisieren. Diese nehmen dem Kreml übel, dass Putin die Truppen vor Mariupol gestoppt hat. Die Frage, ob der russische Präsident gewillt ist, eine prosperierende Ukraine zuzulassen, hängt mit der Zukunft seines eigenen Landes zusammen. Nur wenn Putin den Mut hat, die Isolation aufzubrechen, die Chauvinisten zur Seite zu schieben und das Land nicht in den Krieg, sondern aus der Krise zu führen, nur dann werden die Fragen von Minsk zu klären sein. Europa muss weiterhin die Tür für diesen Weg weit offen halten. Nie war die Gefahr für Europa größer als jetzt.

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