Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rassistische Menschenhatz zur Ehre Russlands

70000 Skinheads machen Jagd auf dunkelhäutige Menschen - und die Opfer werden von den Behörden im Stich gelassen

Aus dem Sonntagskurier (WK)

von Doris Heimann

RJASAN. Es ist schon dunkel, als David Saltykow mit ein paar Freunden die Straße herunterschlendert. Mit seiner Clique kommt er gerade vom Einkaufen zurück. "Die anderen waren schon vorgegangen, mein Kumpel und ich liefen hinterher", erzählt der 16-Jährige.

Plötzlich kommt den beiden eine jodelnde Horde von Skinheads entgegen. David hört noch: "Eh, ein Neger!" Dann fallen 17 Kahlgeschorene über ihn her. Sie schlagen den dunkelhäutigen Jugendlichen nieder, malträtieren ihn mit ihren Springerstiefeln, brüllen "Sieg Heil!" und "Ehre sei Russland!" David verliert das Bewusstsein. Als er im Krankenhaus wieder zu sich kommt, klafft eine riesige Platzwunde neben seinem linken Auge, Gesicht und Körper sind übersät mit blauen Flecken. Die Ärzte diagnostizieren eine schwere Gehirnerschütterung.

Drei Monate später hockt David in der Stadtbibliothek von Rjasan. Ein fröhlicher Junge mit schwarzem Kapuzenshirt, Hängejeans und Strass-Steckern in den Ohren. David erzählt mit sanfter, leiser Stimme: vom Überleben in der russischen Provinz, wenn man braune Haut hat und schwarze Locken. Davids Mutter kommt aus Rjasan, der Vater aus Uganda. "Pöbeleien und Diskriminierung gibt es ständig. Das mit den Skins war eben nur einen Tick härter als alles andere." Der Gymnasiast versucht, den Überfall herunterzuspielen. Nicht aus falscher Bescheidenheit. David weiß: Er hat noch Glück gehabt. Denn der Rassismus in Russland nimmt immer gewaltsamere Formen an.

Zahl und Brutalität der Überfälle steigen

Allein in den ersten drei Monaten des Jahres 2008 wurden in Russland 41 Menschen bei rassistischen Übergriffen getötet, 113 schwer verletzt. Das ergibt sich aus einer Studie des Moskauer Zentrums "Sowa". Nicht nur die Zahl der Überfälle ist gestiegen, auch ihre Brutalität: Die Opfer werden oft gefoltert oder verstümmelt. "Mittlerweile gibt es in Russland rund 70000 Skinheads und Sympathisanten", sagt der Soziologe Aleksandr Tarasow. Sie machen organisiert Hatz auf alle, die in ihren Augen "nicht-slawisch" aussehen. Die Opfer sind meist dunkelhäutige Zuwanderer aus den ärmeren ehemaligen Sowjetrepubliken, Asiaten und Afrikaner. Als Zentren der Gewalt gelten Moskau, St. Petersburg und Woronesch. Aber auch in Provinzstädten wie in Rjasan finden die Skinheads und Neonazis verstärkt Zulauf.

"Die Atmosphäre ist so fremdenfeindlich, dass es für unsere farbigen Jugendlichen Lebensgefahr bedeutet", sagt Olga Pereira. Sie hat in Rjasan den Verein "International" gegründet, der sich um Kinder mit afrikanischen Vätern kümmert. Rjasan ist Standort für mehrere Militär-Akademien. Schon zu Sowjetzeiten wurden hier Soldaten und Offiziere aus afrikanischen Bruderstaaten ausgebildet. Doch die Völkerfreundschaft blieb schöne Theorie: Frauen, die sich auf eine Verbindung mit Afrikanern einließen, wurden diskriminiert, ihre Kinder beschimpft und gemieden. In Olga Pereiras Verein haben sich 70 betroffene Mütter zusammengeschlossen, die meisten von ihnen sind alleinerziehend. "Wir wollen unseren Kindern mehr Selbstbewusstsein geben", sagt Olga Pereira, die aus der Ehe mit einem Angolaner zwei Söhne hat.

Ruslan Mojsesch starrt vor sich hin, seine Antworten kommen stockend. Der 19-Jährige ist sichtlich traumatisiert. Eine Ausbildung als Elektromonteur musste er abbrechen, weil er in der Berufsschule wegen seiner dunklen Haut gemobbt und bedroht wurde. "Bastard" und "Schwarzfresse" hätten ihn die Mitschüler genannt, und das seien noch die harmlosesten Ausdrücke, sagt Ruslan. Nun jobbt er als Lagerarbeiter, geht aus Angst vor Skinheads in Rjasan nur noch in Begleitung auf die Straße. Eine Zukunft in Russland sieht er nicht mehr. "Mein Onkel will mich nach Angola holen - vielleicht wird es da besser", hofft Ruslan, obwohl er Afrika nur aus Erzählungen kennt und zudem kein Wort Portugiesisch versteht.

Offizielle Stellen sind keine Hilfe

Polizei und örtliche Verwaltung sind keine Hilfe. "Die Stadtverwaltung schließt vor dem Rassismus-Problem einfach die Augen", sagt Olga Pereira. Die Medizinhochschule in Rjasan, die gerne zahlungskräftige Studenten aus Ländern der Dritten Welt annimmt, reagierte auf die Situation auf ihre Weise: Sie ließ einfach Kneipen und Geschäfte auf dem Uni-Gelände einrichten, damit die Ausländer den Campus nicht verlassen müssen.

Studien machen die nationalistischen Äußerungen von Russlands Führung mitverantwortlich für das aufgeheizte Klima. Erst langsam erkennen die Mächtigen im Kreml, dass rassistisch motivierte Gewalt eine ernstzunehmende Gefahr darstellt. "Man kann nicht grundsätzlich sagen, dass der Staatsführung dieses Thema egal ist", sagt Tatjana Okruschnaja, Direktorin der Jugendbibliothek in Rjasan. Für ein gemeinsames Projekt mit dem Verein "International" zur Förderung der afro-russischen Kinder habe sie gerade bei einer Ausschreibung 5000 Euro aus dem Fonds des Präsidenten erhalten.

Anders sieht es auf der Ebene derer aus, die eigentlich für Ordnung sorgen sollten. "Die Polizei ist nicht unser Freund", das hat auch David Saltykow erfahren. Die russischen Uniformträger haben nämlich häufig selbst rassistische Vorurteile. Nach dem Skinhead-Überfall auf David wurde der Junge mit seiner Mutter auf die Wache gebeten und verhört, als sei er selbst der Täter gewesen.

Die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft verliefen im Sande. "So kann man nicht leben - sich nicht auf die Straße trauen", sagt David. Was mit ihm passieren könnte, wenn er in ein paar Jahren zum Wehrdienst in die für Gewalt berüchtigte russische Armee eingezogen wird, daran will David Saltykow am liebsten gar nicht denken.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: KAS Bremen Ost Seite: 3 Datum: 13.04.2008

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