Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede im Europarat zur Menschenrechtslage in der Ostukraine und auf der Krim

Am 12. Oktober 2016 debattierte die Parlamentarische Versammlung des Europarats über den von Marieluise Beck vorgelegten Resolutionsentwurf und Bericht mit dem Titel „Rechtsbehelfe bei Menschenrechtsverletzungen in den ukrainischen Gebieten, die sich außerhalb der Kontrolle der ukrainischen Regierung befinden“. Die von einer überwiegenden Mehrheit der Abgeordneten angenommene Resolution stellt fest, dass die Russische Föderation die de-facto-Kontrolle auf der Krim und in den selbsternannten "Volksrepubliken" in der Ostukraine ausübt. Deswegen muss Russland die Menschenrechte der unter seiner Kontrolle lebenden Bevölkerung schützen. 

Marieluise BECK, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 14139, Antwort der Berichterstatterin)

Recht schönen Dank!

Mein Bericht bezieht sich ja auf Rechtsfragen, aber ich möchte doch auf die Debatte antworten und auf einige politische Grundsatzfragen eingehen, die hier geäußert worden sind.

Wenn man in die Ukraine fährt, wird einem häufig gesagt: „Seht ihr nicht, dass wir für euch in Europa kämpfen?“

Ich merke, dass das häufig bei uns nicht so gesehen wird. Es wird vielmehr als einen Konflikt betrachtet, den die Ukraine mit ihrem Nachbarn Russland austragen muss. Ich möchte die Tatsache, dass es immer auch um unseren europäischen Zusammenhalt, um unsere Glaubwürdigkeit und unsere Werte geht, noch einmal unterstreichen.

Wir müssen sehen, dass wir jetzt schon erleben, dass innerhalb der Europäischen Union rechte und linke Kräfte gemeinsam dabei sind, sich von diesen Werten zu entfernen. Nicht umsonst haben sie gemeinsam die illegitimen Wahlen auf der Krim beobachtet und nicht umsonst besuchen sie auch beide diese selbst ernannten Republiken DNR und LNR.

Zweitens, atomare Abrüstungspolitik. Wir sollten uns klarmachen, dass 1994 die Ukraine bereit gewesen ist 1000 atomare Sprengköpfe gegen die Zusicherung von territorialer Integrität abzugeben. Nun ist diese Zusicherung gebrochen worden und es gibt große Debatten, welche Verpflichtung wir nun gegenüber der Ukraine haben, nämlich ihr beizustehen. Welches Land wird noch bereit sein, sich atomar abzurüsten, wenn es sieht, dass die Ukraine letztlich doch sehr schutzlos dagestanden hat?

Drittens, die Menschenrechtsfrage. Die Tatsache, dass die Krimtataren in den vierziger Jahren auf grausame Weise und unter großen menschlichen Verlusten von Stalin deportiert wurden und dass sie erst 1989 unter Gorbatschow zurückkehren konnten und dass sie jetzt ein zweites Mal erleben, dass ihre Identität als Volk, ihr Zusammenhalt zerbrochen wird, dass ihre Repräsentation, die sie hatten, zerschlagen worden ist – das alles spricht eine Sprache, die uns ungeheuer alarmieren muss, weil das unter Menschenrechtsgesichtspunkten vollkommen inakzeptabel ist und an das historische Verbrechen von Stalin erinnern muss. Wir benötigen genügend Respekt, damit diese Verbrechen nie wiederholt werden.

Viertens, die Situation in den besetzten Gebieten. Wir heben das sehr deutlich hervor: Diese Gebiete sind besetzt, denn die faktische Macht in diesen Gebieten liegt in der Russischen Föderation.

Wenn wir dort die Situation haben, das 10.000 Menschen vermutlich in Sinne einer Sklavenarbeit, ohne jegliche Rechtsgrundlage missbraucht werden können, Menschen die aus Haftanstalten kommen und eigentlich in die ukrainische Republik zurückgeführt werden müssten, dann ist das etwas dermaßen Unvorstellbares mitten in Europa, dass wir uns noch sehr viel lauter als bisher und sehr viel geschlossener gegen diese groben Menschenrechtsverletzungen stemmen sollte.

Natürlich ist dann die richtige Konsequenz, dass wir den Menschen in den besetzten Gebieten, die keine Möglichkeit haben, ihr Recht vor Gerichten einzuklagen, alles in unserem Rahmen Mögliche bieten, damit sie sich direkt an den Europäischen Menschrechtsgerichthof wenden können. Es ist in dieser Debatte auch zu Recht darauf hingewiesen worden, dass in der Ukraine selbst Reformen nicht in dem Tempo umgesetzt werden, wie dies gewünscht ist. Es gibt auch offene Fragen in Bezug auf Minsk.

Das Problem hier ist, dass Minsk und dessen Erfüllung Vertrauen voraussetzt. Bei dem Minsk-I-Abkommen haben die sogenannten Separatisten das Abkommen genutzt, um ein Territorium in der Größe von Hamburg zu erobern. Ein solcher Vertrauensbruch ist natürlich eine schlechte Grundlage, um in einer zweiten Runde zu sagen, dass man bereit ist, die Waffen zurückzuziehen. Das müssen wir klar benennen.

Wir haben keine Alternative zu Minsk, das ist richtig. Das darf aber nicht bedeuten, dass wir aus Ratlosigkeit und weil wir endlich diesen schwierigen Punkt von der Tagesordnung haben wollen, nicht mehr die Wahrheit benennen. Die Wahrheit ist, nicht die Ukraine hat Russland angegriffen, sondern Russland hat die Ukraine angegriffen und es stehen nach wie vor russische Ausrüstung, russische Berater, russische Freiwillige in dem Gebiet der Ukraine und verletzen somit seine Souveränität.

Wenn wir nach vorne schauen, dann geht es natürlich um Vertrauen, um Dezentralisierung und um Wahlen. Aber es war klar festgelegt, – und davon sollten wir um unser selbst Willen nicht zurückweichen – dass Wahlen erst dann stattfinden können, wenn die OSZE nach ihren Kriterien feststellt, dass im Donbass faire und freie Wahlen möglich sind.

Wir beide haben als Berichterstatterinnen die OSZE gebeten, uns in die besetzten Gebiete des Donbass zu begleiten. Die OSZE hat uns erklärt, dass sie sich nicht in der Lage sieht, für unsere Sicherheit zu sorgen. Wenn die OSZE nicht einmal zwei Berichterstatterinnen Sicherheit geben kann, wie kann sie dann die Grundlage für eine politische, freie und faire Auseinandersetzung schaffen, die Wahlen vorausgehen muss.

Es darf auf keinen Fall passieren, dass wir unsere eigenen Grundsätze so dehnen und strecken, dass zum Schluss von unseren eigenen Überzeugungen nichts mehr übrigbleibt.

Insofern möchte ich zusammenfassen: Es geht nicht nur um die groben Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten der Ukraine, sondern es geht darum, dass wir nicht bereit sind, scheibchenweise die Grundsätze zu opfern, die uns nach 1945 Sicherheit gegeben haben.

Ich sage das bewusst als deutsche Staatsbürgerin, die genau weiß, dass im vergangenen Jahrhundert dieses Europa zweimal durch deutsche Aggression in fürchterliche Katastrophen getrieben wurde.

Schönen Dank.