Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Weserkurier: Es geht um Weißrussland

Über Lehren aus der Wahl

Aus dem Weserkurier, 14. Otober 2015

Zeitgleich mit der Würdigung von Swetlana Alexijewitsch durch das Nobelkomitee ließ „der letzte Diktator Europas“ in seinem Land Wahlen abhalten. Von außen betrachtet sahen die so schlecht nicht aus. Anders als nach den Wahlen 2010 gab es keine Proteste, keine Polizeiübergriffe und keine Verhaftungen. Doch es ist nicht die Zunahme von Recht und Freiheit, die zu dieser Ruhe führten. Der tief in die Gesellschaft eindringende Machtapparat des Präsidenten Alexander Lukaschenko hat jeglichen Widerspruch im Keim erstickt.

Staatliche Betriebe, Hochschulen und das Militär führten ganze Belegschaften kollektiv zur vorfristigen Stimmabgabe an die Urne. Auch die Medien sind fest in staatlicher Hand. Ernst zu nehmende Kandidaten wurden zur Wahl nicht zugelassen. Ein politischer Wettstreit ist unmöglich. So haben OSZE und der Europarat diese Wahlen zurecht als nicht fair und frei bewertet.

Repression und „gelenkte Demokratie“ à la Lukaschenko setzen bei der allgegenwärtigen Staatswirtschaft an. Wer sich nicht unterordnet, verliert den Arbeitsplatz. In einem Land, das sich nach wie vor eine Staatswirtschaft mit 80 Prozent der Betriebe leistet, ist das eine existenzielle Bedrohung, die jeder versteht. Und so erinnert Weißrussland an eine DDR, in der der Widerspruch auf den kleinsten privaten Zirkel beschränkt blieb.

Dabei musste Lukaschenko diese Wahlen nicht wirklich fürchten. Die Bürger Weißrusslands sind in Sorge vor einem gleichen Schicksal wie in der Ukraine. Lukaschenko steht für Stabilität und Sicherheit. Noch lässt sich ein bescheidener Wohlstand aufrechterhalten.

Doch die ökonomischen Risse im System lassen sich nicht mehr verbergen. Es droht eine Implosion der Wirtschaft, die nichts herstellen kann, was der Weltmarkt braucht. Im Gegenteil, weißrussische Frauen kaufen ihre Mode aus westlichen Katalogen – die Autos stammen von westlichen Märkten.

Diese Wahlen waren nicht fair und frei und verdienen keine Belohnung. Dennoch verdient das Land keine Isolation. Es geht nicht um den Präsidenten – es geht um die Menschen. Und die haben die Öffnung des Landes allemal verdient.

Es ist politisch klug, mit einem Präsidenten im Dialog zu sein, der Wladimir Putin bei der Annexion der Krim und im Krieg im Donbass die Gefolgschaft verweigerte. Es ist vernünftig, den Menschen im Land eine Perspektive zu bieten, indem das Angebot zur Modernisierung der Wirtschaft erneuert wird. Es ist anrührend und wunderbar zugleich, mit großer Herzenswärme und Freundlichkeit in einem Land aufgenommen zu werden, in dem die Deutsche Wehrmacht einst so gnadenlos wütete.

 

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