Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Intervention in der Debatte zur Antisemitismus-Resolution

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Lieber Herr Kollege Jung,

es käme niemand hier in diesem Haus auf den Gedanken, sich aus dem Konsens auszuklinken, dass wir alle den Antisemitismus mit ganzer Kraft bekämpfen wollen. Die Schwierigkeit, mit der wir uns auseinanderzusetzen haben – ich finde, dies sollten wir hier nicht unter den Tisch fallen lassen –, besteht darin, dass die an sich klare Definition von Antisemitismus im Alltag nicht immer greift. Vor einigen Tagen ist eine sehr saubere linguistische Analyse „Die Sprache der Judenfeindschaft im 21. Jahrhundert“ von der Technischen Universität Berlin vorgestellt worden, wo über 15 000 Blog-Einträge, journalistische Einträge und Kommentare auf die Frage hin analysiert worden sind: Wo gibt es Stereotype, die in den Grenzbereich zum Antisemitismus hineinreichen? Wo handelt es sich ganz offensichtlich um Antisemitismus? Dass wir uns mit dieser Grenzziehung schwertun, das zeigen doch die Debatten um Martin Walser, Günter Grass und auch Jakob Augstein, alles gut Gebildete und Intellektuelle unserer Gesellschaft, sogar Meinungsführer. Ich würde mir wünschen, dass wir uns auch diesen offensichtlich schwierigen Herausforderungen, dieser Facette des Antisemitismus, die davon geprägt ist, dass die Definition von Antisemitismus bzw. eine Grenzziehung so klar nicht vorzunehmen ist und dass Antisemitismus nicht nur den Ungebildeten zugewiesen werden kann oder denen, die noch nicht in Yad Vashem waren, sondern dass er offensichtlich sogar, wie diese Studie belegt, bei Akademikern und Gebildeten ganz besonders ausgeprägt ist, mit aller Hingabe zuwenden.

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