Marieluise Beck: Deutsch-russische Krise noch nicht vorbei
Aus dem Weser-Kurier vom 09.10.08 von Dietrich Eickmeier
BERLIN. Moskau zieht seine Truppen aus der Pufferzone Georgiens ab und gibt sich auch rhetorisch versöhnlicher. Beim Treffen mit Präsident Dimitri Medwedew in Sankt Petersburg war auch Kanzlerin Angela Merkel um Deeskalation bemüht. Doch die durch den Georgien-Konflikt ausgelöste tiefe Krise in den Beziehungen zwischen Berlin und Moskau ist noch längst nicht überwunden, analysiert die Russland-Expertin der Grünen, Marieluise Beck. Sie sieht auf der Krim den nächsten Gefahrenherd.
Die Gefahr jedenfalls sei "sehr groß", dass Russland nach der "faktischen Annektierung" Südossetiens und Abchasiens auch die zur Ukraine gehörende Halbinsel unter dem Vorwand des Schutzes dort lebender russischer Staatsbürger im Visier hat. Vor dem Hintergrund des Georgien-Konflikts, so die Bremer Abgeordnete, "kann ich mir einen friedlichen Abzug der russischen Schwarzmeerflotte nur sehr schwer vorstellen". Nicht die einzige bedrückende Erkenntnis, die Marieluise Beck als regelmäßige Teilnehmerin des "Petersburger Dialogs" aus den Treffen gewonnen hat.
Das Treffen in der letzten Woche habe endgültig die Gewichte von einem zivilgesellschaftlichen Diskussionsforum zur Stärkung demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen in Russland hin zu einer Honoratiorenveranstaltung verschoben, gespickt mit viel Kultur. Motto: "Der Kongress tanzt". Zudem, kritisiert die Grünen-Politikerin, hätten maßgebliche deutsche Vertreter im Petersburger Forum wie Manfred Stolpe oder Lothar de Maizière mehr ein Interesse daran, ein freundliches Russlandbild zu zeichnen als Bürgerrechtlern und Nichtregierungsorganisationen ein Forum zu geben. Das wiederum spiele den Interessen der Moskauer Führung in die Hände, die "jedes Podium mit ihren Propagandisten besetzt", um Russlands Rückkehr zu alter Stärke zu demonstrieren.
Wie ratlos der Westen gegenüber dem neuen Russland ist, zeigt sich für Beck auch darin, dass die deutsche Kanzlerin die Gespräche über ein Partnerschaftsabkommen mit der EU wieder aufnehmen will und, gedrängt vom Ostausschuss der deutschen Wirtschaft, auf eine "Innovationspartnerschaft" vor allem in der Energiepolitik setzt. Wenngleich die Grünen-Politikerin kritisiert, dass die Bundesregierung in dieser Frage wie schon bei der umstrittenen Ostsee-Pipeline nicht auf ein gemeinsames Vorgehen der EU drängt, um mehr politisches Gewicht gegenüber Moskau zu gewinnen, für den außenpolitischen Kurs der Kanzlerin hat sie schon ein gewisses Verständnis.
Angela Merkel habe in Sankt Petersburg die Probleme, die das Verhältnis Russlands zu seinen europäischen Nachbarn so massiv belasten, ungeschminkt angesprochen. Wenn auch ohne Androhung von Konsequenzen. Das sei in der derzeitigen Phase wohl auch nicht anders möglich. Man dürfe die "Kritik nicht überziehen", so Beck, sonst spiele man den Hardlinern im Kreml in die Hände und treibe Russland "in einen gefährlichen Isolationismus". Und damit gerate auch das Konzept in Gefahr, dass die Verhältnisse in Russland verändern könne. Nämlich der Schüler-, Studenten- und Wissenschaftsaustausch, der der "auf den Westen neugierigen jungen Elite die Tür öffnet". Beck: "Das dauert, aber dass lohnt."
© Copyright Bremer Tageszeitungen AG, Datum: 09.10.2008