2016 übernimmt Deutschland den Vorsitz in der OSZE. Im 40. Jahr nach Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte in Helsinki und 25 Jahre nach der Charter von Paris steht die Organisation vor erheblichen Herausforderungen. Mit der Annexion der Krim und dem Krieg im Donbass sind wichtige Grundsätze der Sicherheitsordnung in Europa verletzt worden. Auch die menschliche Dimension der OSZE und hier vor allem das Instrument der von ODIHR durchgeführten Wahlbeobachtung ist seit vielen Jahren Ziel vielen autoritären Regierungen ein Dorn im Auge und entsprechend unter Druck.
In der Bundestagsdebatte am 12. November 2015 lagen Anträge der Koalition, der Linken und von Bündnis 90/Die Grünen zur Abstimmung vor.
Sehe Sie hier die Rede von Marieluise Beck:
Lesen Sie heir den Redetext nach:
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Generalsekretär! Lieber Frank-Walter Steinmeier! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für mich ist Helsinki immer verbunden mit dem Gesicht von Ludmilla Alexejewa. Die große Dame der russischen Menschenrechtspolitik ist jetzt 88 Jahre alt, die davon erzählen kann, wie sie aufgrund der durch die in Helsinki getroffenen Vereinbarungen anfangen konnte, in Moskau zu arbeiten, und dass es damals einen ganzen Tag dauerte, um sieben Unterschriften zusammenzubekommen, weil das Telefonieren zu gefährlich war und man deshalb mit der U-Bahn durch die große Stadt fahren musste. Dass das möglich wurde, ist tatsächlich dem Geist von Helsinki und der Sprengkraft, die Helsinki entfaltet hat - womit vermutlich auch ein Herr Honecker nicht gerechnet hatte -, zu verdanken. Dass daraus dann tatsächlich die Überwindung von Polizeistaat und Repression in den Ländern werden konnte, die auch Europa sind, aber durch Jalta von dem freien Teil Europas abgetrennt worden waren, das ist wirklich eine großartige Geschichte, die eng mit der OSZE verbunden ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)
Nachdem mit der Überwindung der Folgen von Jalta sich Freiheit und Demokratie auch in Osteuropa ausdehnen konnten, wurde ein weiterer Schritt möglich, und die Charta von Paris folgte den Helsinki-Verträgen. Da gab es noch einmal die Hoffnung, dass wir nun ganz und vollständig zusammenwachsen würden. Das ist schon 2008 durch den Krieg in Georgien und die faktische Abtrennung zweier Gebiete sehr stark erschüttert worden. Aber noch viel größer war der Schock dann in der Ukraine durch die gewalttätige Abtrennung und später sogar Annexion der Krim und die Aggression im Donbass durch Russland. Das heißt, dass wir uns in der OSZE trotz aller Feierlichkeiten grundsätzlichen Fragen stellen müssen: Warum haben die Regeln nicht gegriffen? Wie können wir es schaffen, dass solche Regelverletzungen in Zukunft vermieden werden? Wie gehen wir mit Teilnehmerstaaten um, die diese Regeln verletzen? - Für mich folgt daraus, dass wir auf der Einhaltung von Recht und Regeln beharren müssen; denn allein die Einhaltung von Regeln und Recht garantiert Sicherheit, Schutz und Vertrauen.
Ein großer Abrüstungsschritt, den es hier in Europa gegeben hat - er ist vielleicht zu wenig beachtet worden -, war, dass nach dem Zerfall der Sowjetunion sowohl Kasachstan als auch Belarus als auch die Ukraine unter der Assistenz des Westens und bei Zusicherung der Integrität ihrer Grenzen bereit waren, ihre Atomwaffen abzugeben und zu akzeptieren, dass die Russische Föderation ihre behielt. Dass dieses Vertrauen nun gebrochen worden ist, ist ein großer Schlag, auch gegen das Regelwerk. Das aber ist die einzige innere Kraft der OSZE-Politik; denn wir haben keine Soldaten, sondern wir haben Ideen und ein geistiges Fundament, auf dem wir stehen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Gerade für uns beide, für das wiedervereinigte Deutschland, das nun größer geworden ist, aber auch für die Russische Föderation, die zu verarbeiten hat, dass sie nicht mehr die Sowjetunion ist, ist es als große Länder sehr wichtig, zu verstehen, dass OSZE bedeutet, eingebunden zu sein. Es kann nicht um eine Achse Berlin–Moskau gehen in dem Sinne - das wäre ja gleichsam eine Rückkehr zu Bismarck -, dass wir uns schon wieder einigen werden. Vielmehr geht es um die kleineren Staaten, die zwischen diesen beiden großen Ländern liegen und immer wieder mit Argwohn auf Berlin, Moskau und diese mögliche Achse schauen. Es geht vor allen Dingen auch um die kleineren Staaten, die auf ihrem Weg zu Demokratie und innerer Freiheit durchaus mit der Bedrohung einer Rückkehr zu autoritären Systemen und mit Bedrohungen von außen zu kämpfen haben. Dabei brauchen diese Staaten und ihre Bürgerinnen und Bürger die OSZE und den Schutz durch andere Teilnehmer.
Ein Wort sei mir noch erlaubt zum Kernstück der OSZE, und das ist ODIHR.
Vizepräsident Johannes Singhammer:
Frau Kollegin Beck, darf ich Sie trotzdem an die Redezeit erinnern?
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja. - ODIHR ist massiv unter Druck, manchmal auch aus Deutschland. Das dürfen wir nicht zulassen. Wir müssen ODIHR als Kernstück der OSZE mit Haut und Haaren verteidigen.
Schönen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)