Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede zum Antrag Serbiens auf Beitritt zur EU

Sämtlichen verbliebenen Länder des Westbalkan wurde von der EU der Beitritt nach Erfüllung der nötigen Voraussetzungen in Aussicht gestellt. Im Dezember 2009 stellte Serbien formell den Antrag auf Beitritt zur EU. Nach dem Einlenken Serbiens bei der Kosovo-Resolution der UN-Vollversammlung Anfang September will die EU nun im Gegenzug Serbiens Beitrittsgesuch zur Begutachtung an die Kommission weiterleiten. Diese muss in den nächsten Monaten die Bereitschaft Serbiens für mögliche Beitrittsverhandlungen überprüfen und eine Empfehlung über die Aufnahme von Verhandlungen an den Rat übermitteln. Um die Entscheidung der EU zur Weiterleitung an die Kommission zu unterstützen, brachten mehrere Fraktionen des Bundestags entsprechende Anträge ein. Auf einen gemeinsamen Antragstext konnten sich die Fraktionen jedoch nicht einigen. Am 8. Oktober 2010 debattierte der Bundestag über die eingebrachten Anträge.

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Lesen Sie hier den Redetext:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch wir Grüne begrüßen, dass Serbien die Tür in die Europäische Union noch ein Stückchen weiter aufgemacht worden ist. Wir erkennen die Schritte Serbiens an: die Srebrenica-Resolution im serbischen Parlament, die wirklich mit einem Risiko behaftet war, den Besuch von Präsident Tadic in Srebrenica in diesem Sommer - auch ich bin dort gewesen - und das Einlenken bei der UN-Resolution zum Kosovo. Zu diesem Erfolg hat der deutsche Außenminister beigetragen. Ich hoffe, dass er dranbleiben wird; denn es ist vollkommen klar, dass die Steine nur zu einem kleinen Teil aus dem Weg geräumt worden sind. Es werden noch viele Steine auftauchen. Insofern sollte sich das Außenministerium eher auf eine Art Pendeldiplomatie einstellen statt auf einen einmaligen Besuch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Differenz, die wir haben, ist, dass es in der Außenpolitik eine Unsitte gibt, nämlich unangenehme Wahrheiten unter den Teppich zu kehren, wenn politische Entscheidungen getroffen worden sind. Noch einmal: Wir halten es politisch für richtig, Serbien die Tür in die Europäische Union zu öffnen. Aber wir sollten nicht darüber hinweggehen, dass sich Serge Brammertz inzwischen wieder deutlich kritischer über eine weniger gute Zusammenarbeit mit der serbischen Regierung äußert, um die beiden letzten großen Kriegsverbrecher, nämlich Mladic und Hadzic, zu fassen. Man muss sagen, dass ein Staat, der in die Europäische Union will, doch nicht über Jahre hinweg behaupten kann - Serbien hat 7,5 Millionen Einwohner! -, dass er nicht in der Lage ist, diese beiden Kriegsverbrecher zu finden. Das stellt die Reife des Justizwesens und der Polizei dieses Landes infrage. Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass der serbische Arbeitsminister Rasim Ljajic vom Vorsitz des Nationalkomitees für Zusammenarbeit mit Den Haag zurückgetreten ist, weil er selbst nicht mehr von der Ernsthaftigkeit des Bemühens der serbischen Regierung überzeugt war, die Kriegsverbrecher Mladic und Hadzic zu finden. All das sollten wir durchaus ansprechen, auch wenn wir die Tür aufmachen wollen. Das schadet gar nicht. Wie gesagt: Es ist nicht besonders hilfreich, das unter den Teppich zu kehren.

Jetzt zum Kosovo. Man kann sich nicht darauf ausruhen, dass die Regierung in Belgrad Minister Westerwelle zugesagt hat: "Wir arbeiten an einer Lösung des Problems mit." Am 3. Oktober, also kurze Zeit nach dem Besuch von Westerwelle, ist der serbische Patriarch Irinej als Erzbischof von Pec eingeführt worden. Die gesamte serbische Regierung war bei diesem Festakt anwesend. Was hat sie dort formuliert? Sie hat dort ihre Forderungen für die Verhandlungen über die Zukunft des Kosovo formuliert. Dort wurde nicht nur die Abtretung des Gebiets von Nord-Mitrovica gefordert; wir kennen diese Forderung, sie überrascht uns nicht. Dort wurde auch die Abtretung des Gebiets der Stadt Pec gefordert. Pec ist mit etwa 170 000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt des Kosovo. Sie müssen auch solche Tatsachen zur Kenntnis nehmen, um ein realistisches Bild davon zu bekommen, was wir auf den nächsten Etappen von Serbien zu erwarten haben. Der Weg wird noch sehr lang sein.

Ganz kurz ein Wort zu den Einlassungen des verehrten Kollegen Stinner zu Bosnien. Ja, ich erwähne Bosnien, weil wir den Blick auf die gesamte Region des Westbalkans richten müssen. Noch einmal: Bei Serbien tendieren wir dazu, die Türen aufzumachen und Konditionen, die einmal aufgestellt worden waren, beiseitezuschieben, weil wir Serbien auf dem Weg in die EU unterstützen wollen. Bei Bosnien gibt es diese Sichtweise nicht, obwohl wir die Verantwortung für die Misere tragen, in der dieses Land aufgrund des Entitätenvotums steckt, das dem serbischen Präsidenten Dodik die Möglichkeit gibt, Bosnien in unverantwortlicher Weise zu blockieren. Das müssen wir, wenn wir noch einen Funken historisches Gedächtnis haben, bei unserer Politik berücksichtigen. Deswegen erwähne ich hier Bosnien immer wieder.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ein Satz noch. - Wenn jetzt Frankreich aus innenpolitischen Gründen die Visumliberalisierungen für Bosnien und Albanien blockiert, obwohl die EU-Kommission festgestellt hat, dass alle Forderungen erfüllt worden sind, ist das ein politischer Skandal, gegen den sich Deutschland mit aller Deutlichkeit wenden muss.Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)

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Lesen Sie hier den Antrag zum Beitrittsgesuch Serbiens von Bündnis 90/Die Grünen .

Lesen Sie hier den Antrag der SPD .

Lesen Sie hier den Antrag der Koalition .

Erwartungsgemäß wurden die Anträge von Bündnis 90/Die Grünen und SPD abgelehnt, während der Antrag der Koalition mit den eigenen Stimmen angenommen wurde.

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