Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Reisebericht Moskau und Kiew

Vom 1. bis 5. September 2008 waren die Obleute des Auswärtigen Ausschusses in Moskau und Kiew, unter ihnen auch Marieluise Beck. Die Gespräche der lang geplanten Reise waren deutlich von jüngsten Ereignissen in Georgien geprägt.

Kernpunkte der Gespräche in Moskau

Insbesondere in den Gesprächen mit der Vertretern der Staatsduma, des russischen Förderationsrates und dem Außenministerium (stellv. Außenminister Titow) wurden offensichtlich abgestimmte Haltungen zur Intervention der russischen Armee in Georgien vertreten:

1. Russland habe die Verpflichtung zum Eingreifen gehabt, denn es habe ein Genozid in Südossetien und Abchasien stattgefunden und deshalb seien die Friedenstruppen zum Handeln gezwungen gewesen. Außerdem seien russische Staatsbürger bedroht gewesen.

2. Der Kaukasus sei unbestreitbar Teil der russischen Einflusssphäre.

3. Die Anerkennung von Abchasien und Südossetien als eigenständige Staaten sei unumkehrbar.

4. Die russische Außenpolitik werde den fünf außenpolitischen Prinzipien folgen, die Präsident Medwedjew am 31.09.08 formuliert habe.

5. Diese Auseinandersetzung sei weniger eine zwischen Russland und Georgien, sondern mehr eine mit den USA.

6. Das Vorgehen Russlands entspreche exakt dem der Westmächte in Bezug auf Belgrad und das Kosovo.

7. Eine Osterweiterung der Nato werde als unfreundlicher Akt gegen Russland angesehen und von Moskau nicht akzeptiert.

Diese Kernaussagen wurden in einer Mischung aus gedemütigtem Nationalstolz und der triumphalen Rückkehr von Größe vorgetragen.

Bewertung

Es ist bei den Gesprächen schwer auszumachen, inwieweit es sich bei dieser Mischung um echt empfundene Gefühle oder um zynisch eingesetzte Rechtfertigungen handelt. Zumindest ist festzuhalten, dass aus der Propaganda der staatlich gelenkten Medien deutlich hervorgeht, dass das Projekt der Rückkehr zur imperialen Macht, in die Putin seinen Dienst gestellt hat, einen großen Schritt vorangekommen ist. Manches deutet darauf hin, dass sich Medwedjew, selbst wenn er gewollt hätte, der von Putin vorgegebenen aggressiven Strategie nicht entgegenstellen konnte. Dazu ist seine Stellung im Machtapparat des Kremls zu schwach.

In den von Medwedjew formulierten Fünf Prinzipien zur Außenpolitik geben insbesondere Punkt vier und fünf Anlass zu Besorgnis. In Punkt vier reklamiert Medwedjew, dass Russland weiterhin russische Bürger auch außerhalb des Staatsgebietes schützen werde. In Punkt fünf reklamiert der Präsident das Fortbestehen russischer Einflusssphären. Beide Aussagen öffnen die Tür zu einer Politik, die aggressiv über die jetzigen Grenzen Russlands hinausführen. Der Schutz russischer Staatsbürger könnte gelten in der Ukraine oder anderen Staaten, in denen nach diesem Prinzip Russland die staatliche Integrität in Frage stellen könnte, wenn es die Bedrohung seiner Bürger dort feststellt respektive diese Bedrohung selbst konstruiert. Vom Prinzip der inneren Nichteinmischung kommt Russland zu einem Prinzip der inneren Einmischung.

Es wird mit großem Nachdruck immer wieder darauf verwiesen, dass der Westen mit der Intervention in Belgrad und der Anerkennung des Kosovo sich doch selber auf diesen Weg begeben habe. Das erklärt allerdings nicht, weshalb Russland sich der Anerkennung des Kosovo mit Verweis auf die Unverrückbarkeit von Staatsgrenzen hartnäckig verweigert hat, während es diese Prinzipien nun innerhalb von Tagen selber als nicht mehr gültig betrachtet.

> > > siehe Exkurs zu Kosovo am Ende des Textes

Ein Treffen mit den bürgerrechtlich engagierten NGOs führte sehr eindrücklich vor Augen, dass der Krieg in Georgien ihre Situation dramatisch verschlechtert hat. Vor der Folie "ein Angriff, ein Mann, ein Volk" gibt es angesichts breiter gesellschaftlicher Zustimmung zu Putins und Medwejews Waffengang kaum Raum für kritische Stimmen. Es ist davon auszugehen, dass im Zuge der Konsolidierung der Macht des Kreml die Spielräume für freie Stimmen noch einmal enger gezogen werden. Die Stimmung unter den NGOs ist demgemäß düster.

Es bleibt in diesem Zusammenhang anzumerken, dass zeitgleich in Inguschetien ein kritischer Journalist in einem Polizeiauto erschossen wurde, anders als bei Anna Politi-kowskaja also nicht einmal mehr eine Camouflage für die „Exekution“ für nötig befunden wurde.

Auf einem Treffen mit Vertretern der ‚think tanks’ wurde deutlich, dass der Wunsch, eine Anbindung an den Westen zu halten, sehr groß ist und für die Zukunft des Landes für unverzichtbar gehalten wird.

Fazit

Die Entscheidung der russischen Regierung, in Georgien von einer „Friedenstruppe“ zu einer Hilfstruppe für zwei Sezessionen zu werden, hat in Russland das Regime von Putin und Medwedjew gestärkt und eine triumphale Zustimmung bei großen Teilen der Bevölkerung hervorgerufen. Es ist davon auszugehen, dass diese Position der selbst empfundenen Stärke, Russland derzeit für Verhandlungen und Kompromisse eher unzugänglich macht. Den Machthabern im Kreml werden vermutlich erst in der kommenden Zeit die Konsequenzen ihres Handelns klar werden. Wenn den Abchasen und Osseten so umstandslos das Recht auf Sezession zugestanden worden ist und das Völkerrecht in dieser Weise geöffnet wird, wird in anderen Gebieten Russlands diese Frage möglicherweise schneller auf die Tagesordnung gesetzt werden, als dem Kreml lieb sein kann. Auf jeden Fall hat nun Russland keine Argumente in der Kosovodebatte mehr und muss sich selbst eine Politik der ‚double standarts’ vorhalten lassen.

Zu erwarten ist ein Kater nach der Intervention. Zwar mag dieser Krieg als Wiedergeburt einer großen Nation gesehen werden, objektiv aber begleitet ihn ein großer Schritt zurück in die Isolation und damit wird der dringend notwendigen Modernisierung des Landes zunächst einmal der Boden entzogen. Alle Instanzen, die für eine Modernisierung unverzichtbar sind - rechtsstaatliche Strukturen, eine Zivilgesellschaft, die staatliche Institutionen transparent macht, und freie Medien - sind in weitere Ferne gerückt. Der kritische Wettbewerb als Teil einer prosperierenden Gesellschaft ist ein weiteres Mal erstickt worden. Die Erstarrung des Landes als Petrodollarstaat droht sich festzusetzen und damit notwendige Reformaufgaben zu verzögern.

Kiew, Ukraine

Im Zentrum aller Gespräche in Kiew stand die Frage, wie der Krieg in Georgien in der Ukraine empfunden wird und die Bedeutung einer Beitrittsperspektive für die Nato.

Die innere ökonomische Reform der Ukraine ist noch nicht sehr weit fortgeschritten. In der Ukraine der Sowjetunion wurden 60% der sowjetischen Militärproduktion geschaffen und 30% aller anderen Industrieprodukte. Außerdem ist mit 44.000 km Pipeline das Land ein zentraler Durchgangskanal für Öl- und Gaslieferungen.

Mit großer Sorge wird in der Ukraine registriert, dass - ähnlich wie in Südossetien und Abchasien - Russland in großem Stil russische Pässe austeilt. Angeblich kann man sie auf der Krim auf dem Markt erwerben.

Den Einladungen zu den Treffen mit uns Abgeordneten folgten interessanterweise fast nur Befürworter einer Westbindung und des Nato-Beitritts. Politiker der Partei Janokowitsch suchen wenig Kontakt mit westlichen Politikern.

Hervorgehoben wurde in den Gesprächen mit Befürwortern des Nato-Beitritts, dass sie nur so den Schutz vor einem imperial agierenden Russland finden könnten. Die Passverteilung wird als Schaffung von Brückenköpfen für die Vorbereitung einer russischen Intervention gesehen. Das ENP Programm jedenfalls reiche in keinster Weise aus, um die Westeinbindung der Ukraine unumkehrbar zu machen. Es bleibt allerdings anzumerken, dass der Nato-Beitritt in der Bevölkerung sehr umstritten ist. Der überwiegende Teil der russischen Bevölkerung sieht sich zwar als der ukrainischen Nation zugehörig, kann sich aber eine Nato-Zugehörigkeit nicht vorstellen.

Zentral ist in der Ukraine auch der Poker um Pipelines, deren Verlauf zentral für die russische Steuerung der Lieferungen ist. Vorgeschlagen wird deswegen ein einheitlicher europäischer Energieraum unter Einbeziehung der EU.

Die ukrainische Regierung war über die Frage zerbrochen, wie das russische Vorgehen in Georgien zu bewerten sei. Hinter diesem Machtkampf verbirgt sich allerdings die Vorschau auf die Präsidentschaftswahlen 2010, zu denen Julia Timoschenko antreten wird.

Unumstritten jenseits der Frage des Nato-Beitritts ist allerdings der breit getragene Wunsch der Bevölkerung (auch der russischstämmigen), zur EU-Zone dazuzugehören und ihr eines Tages beizutreten. Insofern sei die zögerliche bis abweisende Haltung der EU für eine Beitrittsperspektive sehr frustrierend für die Bevölkerung. Es gebe nach Georgien die Sorge um einen Dominoeffekt mit

Transnistrien und Nagorny Karabach. In jedem Fall spüre die Ukraine ein großes Sicherheitsvakuum.

Motto gegenüber Russland müsse sein: ‚Ohne Energie keine Sicherheit. Ohne Sicherheit keine Energie’.

Und zum Schluss: Das restriktive Visumsregime führt zu großer Bitterkeit und Frustration unter den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine. Eine deutliche Erleichterung des Visumsregimes könne wenigstens einen Teil des Zugehörigkeitsgefühls ersetzen, das durch die Verweigerung des Beitritts sonst nicht entstehen konnte

Exkurs: Zum Vergleich mit dem Kosovo

Der Kosovo-Konflikt hat eine lange Vorgeschichte. Er eskalierte Ende der 1990er Jahre mit dem Entstehen der UCK. Der jahrelange gewaltlose Widerstand unter Ibrahim Rugova hatte zuvor international keinerlei Beachtung gefunden. Das Daytoner Abkommen regelte 1995 den Status der ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken, nicht jedoch des Kosovo – ein folgenschweres Versäumnis.

Im Jahre 1999 versuchte die internationale Diplomatie, den serbischen Präsidenten Milosevic durch Verhandlungen von seiner Politik der Vertreibung und ethnischen Säuberungen des Kosovo abzubringen, jedoch ohne Erfolg. Ein UN-Mandat zur völkerrechtlichen Legitimierung einer Intervention kam wegen Widerstand Russlands nicht zustande. Die internationale Gemeinschaft lief Gefahr, ein zweites Srebrenica zuzulassen, wenn sie nicht agierte. Am 24. März 1999 begann die NATO-Bombardierung serbischer Stellungen im Kosovo und in Serbien. Die völkerrechtliche Grundlage für diesen Einsatz war prekär.

Nach jahrelangen ergebnislosen Statusverhandlungen, die mit der Ablehnung des Ahtisaari-Plans durch Serbien endeten, versuchte die aus USA, Russland und EU bestehende Kontaktgruppe weitere sechs Monate, eine Kompromisslösung zu finden. Nachdem deutlich wurde, dass kein weiterer Verhandlungsspielraum bestand und eine Verlängerung der Verhandlungen lediglich zu Instabilität in der Region führen würde, erklärte das Kosovo am 17.02.2008 seine Unabhängigkeit und wurde bisher von 47 Staaten anerkannt, darunter die USA und die meisten Mitgliedsstaaten der EU.

Südossetien und Abchasien streben seit Zerfall der Sowjetunion nach Unabhängigkeit bzw. nach einem An-schluss an Russland (Südossetien). Mit dem Vertrag von Sotschi vom 24.06.1992 wurden seit Januar 1991 an-haltende militärische Kampfhandlungen zwischen georgischen und südossetischen Truppen beendet. Die damaligen Präsidenten Jelzin und Schewardnadse unterzeichneten damals ein Waffenstillstandsabkommen. Den mili-tärischen Auseinandersetzungen vorausgegangen war die Unabhängigkeitserklärung Südossetiens im Rahmen der sich auflösenden UdSSR am 20.09.1990. Der damalige georgische Präsident Gamsachurdia widerrief den autonomen Status Südossetiens daraufhin am 11.12.1990 und erklärte den Ausnahmezustand in der Region. In den folgenden blutigen Auseinandersetzungen zwischen georgischen und südossetischen Truppen gab es etwa 1000 Tote sowie Flucht und Vertreibungen Hunderttausender auf beiden Seiten. Die südossetische Bevölkerung sprach sich in einem Referendum im Januar 1992 für eine Sezession von Georgien und Integration in die Russische Föderation aus. Bis zum Fünf-Tage-Krieg im August 2008 hatte niemand, auch nicht Russland, die abtrünnigen Republiken anerkannt. Das änderte sich am 25.08.2008.

Im Unterschied zum Kosovo gab es in diesem Fall kein Bemühen um eine Rückkehr an den Verhandlungstisch, keine Einschaltung der UN. Kosovo ist ein eingeschränkt souveräner Staat. In der kosovarischen Verfassung ist ein Anschluss an Albanien ausgeschlossen, die Minderheitenrechte sind weitreichend und präzise formuliert. Von all dem kann im Falle Abchasiens und Südossetiens keine Rede sein. Im Gegenteil: es gibt Hinweise auf andauernde Vertreibungen von Georgiern, die von den russischen Truppen geduldet, wenn nicht gar aktiv betrieben werden. Die Begründung Russlands, eine Anerkennung sei nötig gewesen, um die Sicherheit der Abchasen und Südosseten zu gewährleisten, ist wenig überzeugend. Die Tatsache, dass die anderen Staaten der Schanghaier Organisation (China, ZAS) Russland in der Anerkennung nicht unterstützt, sondern vielmehr das Prinzip der territorialen Integrität betont haben, verdeutlicht, dass sich Russland mit seinem unilateralen Vorgehen isoliert.

Mehr dazu können Sie im Artikel „ Kosovo – der falsche Vergleich " von Reinhard Müller in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 21.08.2008 lesen.

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