Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Ein fauler Kompromiss mit Serbien

In einem Namensbeitrag für die Frankfurter Allgemeine vom 10.12.2008 kommentiert Marieluise Beck den Start der EULEX-Mission im Kosovo. Lesen Sie hier den Artikel:

Fremde Federn: Marieluise Beck

Ein fauler Kompromiss mit Serbien

Als der BND verdächtigt wurde, einen Anschlag auf das Büro des EU-Repräsentanten in der Hauptstadt des Kosovo verübt zu haben, wurde tagelang über die Hintergründe spekuliert. Schließlich wurden die drei in Prishtina festgenommenen, nunmehr öffentlichen Geheimagenten des Bundesnachrichtendienstes freigelassen und nach Hause geschickt.

Untergegangen ist in der Aufregung die Frage, wer den Sprengstoffanschlag gegen die oberste Instanz der EU im Kosovo tatsächlich verübt hat. Niemand interessierte sich hierzulande für das Bekenntnis einer „Armee des Kosovo“ und ihr Motiv. Zwar ist außer Sachschaden diesmal nichts passiert. Für eine Öffentlichkeit, die sich fast täglich Terroranschlägen mit Toten und Verletzten gegenübersieht, sind zerbrochene Fensterscheiben kaum der Beachtung wert.

Aber die Bekenner kündigten ausdrücklich den Beginn eines Krieges gegen die Europäische Union an. Die EU aber startet im Kosovo gerade ihre bislang größte zivile Unterstützungsmission. 2000 Eulex-Mitarbeiter sollen im jüngsten Staat Europas helfen, den Rechtsstaat aufzubauen.

Dieses Vorhaben und seine Institutionen sind Folge des vom Westen begrüßten Konstrukts für die Trennung des Kosovo von Serbien, des vom damaligen UN-Vermittler Ahtisaari entwickelten Plans. Bisher unterstützten die Regierung und die gesamte albanische Bevölkerung des Kosovo diesen Plan und damit auch die Anwesenheit der EU im Lande. Denn der Ahtisaari-Plan ermöglichte die wenn auch eingeschränkte staatliche Unabhängigkeit, die Hilfe der EU und den Weg zum Beitritt.

Das russische Vetorecht verhinderte jedoch die Anerkennung dieses Plans durch die Vereinten Nationen. Eine völkerrechtlich unumstrittene Legitimation für Eulex war deswegen nicht möglich. Um auch in den serbisch dominierten Teilen des Kosovo arbeiten zu können, wurde eine Einigung mit Serbien gesucht. Serbien forderte jedoch, die Unabhängigkeit des Kosovo als rechtliche Voraussetzung für Eulex zu ignorieren. Das Ergebnis ist eine institutionelle Zweiteilung: Im albanischen Teil des Kosovo assistiert Eulex der Regierung, in den serbisch beherrschten Teilen untersteht die Mission hingegen den Vereinten Nationen. Damit hat die EU jetzt zwei diametral entgegengesetzte Positionen zu vertreten: die Unabhängigkeit des Kosovo und zugleich deren Leugnung in Nord-Mitrovica und den südlicheren Enklaven. Dort hat die Regierung keine Institutionen – nicht die Justiz, nicht die Polizei, nicht den Zoll und damit nicht die Finanzhoheit. Eine institutionelle Teilung des Kosovo entlang ethnischer Mehrheitsgrenzen ist damit festgeschrieben. Das Ziel eines multiethnischen Kosovo, wie es Ahtisaari vorsah, ist aufgegeben.

Nicht nur die ominöse „Armee des Kosovo“, auch die kosovarische Regierung in der Hauptstadt Prishtina hat deshalb die Bedingungen für den Einsatz von Eulex umgehend abgelehnt. Um der Unabhängigkeit des ganzen Kosovo willen hatten sie und fast die gesamte albanische Bevölkerung zähneknirschend den Bedingungen des Ahtisaari-Plans und der Aufsicht der EU zugestimmt. Schon fanden mehrfach Demonstrationen gegen die Regierung statt, der Verrat an der Unabhängigkeit und zu weit gehende Zugeständnisse an den Westen vorgeworfen werden. Und anders als früher geht nicht mehr nur eine kleine ungeduldige Minderheit auf die Straße. Die blutigen Unruhen des Jahres 2004 sind noch in lebhafter Erinnerung.

Der Aufbau eines funktionierenden Staatswesens, die Durchsetzung des Rechtsstaats waren die Gründe für die völkerrechtlich umstrittene Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo. Indem sie jetzt die Konsequenzen aus ihrer Politik seit 1998 scheut, untergräbt die EU ihre eigenen Ziele. Eulex wird im Kosovo keine Anerkennung finden. Die Mission droht zu scheitern, bevor sie begonnen hat. Die EU riskiert die Unterstützung im albanischen Kosovo zugunsten eines faulen Kompromisses mit Serbien. Nun fordert der serbische Präsident bereits öffentlich die Rückkehr serbischer Truppen in das Kosovo.

Der Westen wiederholt ohne Not den strategischen Fehler von Dayton aus dem Jahre 1995. Der damalige Kompromiss mit dem serbischen Kriegsherrn Slobodan Milošević beendete jedoch immerhin den Krieg in Bosnien. Jetzt herrscht kein Krieg im Kosovo. Aber der neue Kompromiss mit Serbien – und Russland – wird einen neuen dauerhaften Konflikt erzeugen.

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Die Verfasserin ist Bundestagsabgeordnete der Grünen und Mitglied des Auswärtigen Ausschusses.

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Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10.12.2008 Seite 10

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