Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Letzte Chance für Bosnien und Herzegowina?

In ihrer Ausgabe vom 6. November 2009 veröffentlichte die Frankfurter Allgemeine einen Namensartikel von Marieluise Beck zu die sich zuspitzende Lage in Bosnien und Herzegowina und die Notwendigkeit eines konzertierten und entschlossenen Vorgehens der internationalen Gemeinschaft zur Überwindung von Dayton. Lesen Sie hier den Artikel:

Bosnien und Herzegowinas bisher größter außenpolitischer Erfolg als unabhängiger Staat war das Erreichen der Relegationsspiele zur Fußballweltmeisterschaft 2010. Auf politischem Gebiet im engeren Sinne hat das Land deutlich weniger vorzuweisen. Zu den äußeren Anzeichen dieses Mangels gehört ein gewaltsam zu Tode gekommener Zuschauer eines – diesmal lokalen – Fußballspiels zwischen Mannschaften aus ethnisch verschiedenen Orten.

Die innere Verfasstheit des Staates und deren Interpretation sind die Ursache der Zuspitzung nicht allein der Konflikte zwischen Fußballfans. Die Deutungshoheit über den Vertrag von Dayton, aus dem diese Verfasstheit Bosnien und Herzegowinas hervorgeht, beanspruchen sowohl die internationale Gemeinschaft als auch die jeweils regierenden nationalistischen Parteien der bosnischen „Entitäten“.

Das Ergebnis der mittlerweile dreizehn Jahre andauernden Entwicklung ist ein Desaster. Die ethnisch bestimmte administrative Gliederung des Landes verhindert eine wirkungsvolle Regierung und blockiert die wirtschaftliche Entwicklung. Nationalisten aller Couleur jedoch sehen in dieser Struktur die internationale Anerkennung ethnischer Kriterien bestätigt. Die internationale Gemeinschaft, vertreten durch den Hohen Repräsentanten, ist gezwungen, immer wieder mit zum Teil brachialen Mitteln – den sogenannten „Bonn Powers“ – die destruktiven Entscheidungen bosnischer, kroatischer und vor allem serbischer Entscheidungsträger für unwirksam zu erklären. Damit hat sie sich deren Zorn und den Vorwurf undemokratischen Vorgehens eingehandelt. Die EU und die Vereinigten Staaten als Hauptträger des internationalen Engagements in Bosnien und Herzegowina, dieser unerfreulichen Lage und der offenbaren Blockade längst überdrüssig, treibt sichtlich nur noch eines: Sie wollen diese Verantwortung loswerden.

Hinzu kommt Druck aus den Entsendeländern der im Land stationierten internationalen Truppen. Das Ganze soll ein Ende haben. Seit Jahren wird in Brüssel und anderen Hauptstädten über Bosnien debattiert: Wann endlich kann der Hohe Repräsentant abgeschafft und durch einen normalen Leiter einer EU-Delegation ersetzt werden?

Wenig überraschende Folge dieser anhaltenden öffentlichen Debatte ist die politische Schwächung der internationalen Institution des Hohen Repräsentanten. Dieses politische Signal bedrückt zunehmend all jene in Bosnien, die auf die Einrichtung eines EU-fähigen Gesamtstaats setzen, und ruft zunehmende Aggressivität der Gegner eines solchen Gesamtstaats hervor. Hier tut sich besonders der einst vom Westen als demokratische Hoffnung hofierte bosnisch-serbische Ministerpräsident Dodik hervor. Er droht mit einem Abspaltungs-Referendum. Sein Ziel ist die De-facto-Unabhängigkeit der Republika Srpska.

Vor diesem Hintergrund versuchen die EU und die Vereinigten Staaten nun, da das Kind fast schon im Brunnen liegt, mit großem Druck zu Verhandlungsergebnissen zu kommen. Diese sollen den Status von Dayton überwinden und so die Voraussetzungen für den Beginn von EU-Beitrittsverhandlungen schaffen. Dies ist – zu Recht – erklärtes Ziel der internationalen Gemeinschaft und der einvernehmlich bekundete Wunsch aller bosnischen Politiker einschließlich Dodiks. Der Hohe Repräsentant übrigens, nach wie vor formal höchster Vertreter der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, ist an diesen Verhandlungen nicht beteiligt. Wieder werden die selbstgeschaffenen Institutionen unterlaufen. Die langjährige Vernachlässigung Bosniens durch die internationale Gemeinschaft, ihre Gedankenlosigkeit gegenüber seiner Vorgeschichte und seines Zustands zeigen sich auch an einem weiteren Punkt. Begründet mit der Erfüllung ausdrücklich „rein technischer“ Kriterien, will die EU von 2010 an zwar Serbien und anderen Staaten des westlichen Balkans Visafreiheit für ihre Bürger gewähren, nicht aber Bosnien und Herzegowina. Der Umstand, dass so vor allem die muslimischen Einwohner Bosnien und Herzegowinas benachteiligt werden, da nur sie nicht über die Möglichkeit doppelter Staatsbürgerschaften verfügen, wird ignoriert. So können in Zukunft zwar die Parteigänger von Karadzic, Mladic und Milosevic frei in die EU reisen, nicht aber die Mütter von Srebrenica.

Dass Bosnien und Herzegowina auf diese Weise reif für einen Beitritt zur EU wird, ist nicht zu erwarten. Damit Dayton überwunden werden kann, müssen die Gegner eines Gesamtstaats Bosnien und Herzegowina ihren Einfluss verlieren. Die internationale Gemeinschaft muss endlich aus ihren Fehlern lernen. Vielleicht brauchen wir eine „Post-Dayton“Konferenz.


Die Verfasserin ist Mitglied des Bundestages (Grüne) und war Parlamentarische Staatssekretärin.
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