Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

12 Jahre Srebrenica

Ende Juni war Marieluise Beck auf einer Reise durch Bosnien und Herzegowina sowie in Serbien. Für Marieluise Beck gehört zu solch einer Reise auch immer ein Besuch bei den Müttern von Srebrenica. Diesmal konnte Sie Spendengeldern überreichen, die der Bremer Verein Brücke der Hoffnung e.V. für Mütter von Srebrenica gesammelt hatten, um ihre Arbeit vor Ort zu unterstützen. Lesen Sie hier den Bericht von Marieluise Beck über den Besuch bei den Müttern von Srebrenica:

Über viele Jahre hinweg haben die Bürger und Bürgerinnen der Stadt Bremen den geschundenen Menschen auf dem Balkan geholfen. Die  Städte Tuzla und Lukavac hatten nicht  den Bekanntheitsgrad von Sarajevo, aber auch sie waren über Monate hinweg von jeglicher Versorgung abgeschnitten. Der erste Konvoi mit 180t  Mehl, Zucker und Öl, der  nach acht Monaten des Eingeschlossenseins diese beiden Städte erreichte, kam aus Bremen. In dem kleinen Städtchen Lukavac gibt es seither einen Platz mit dem Namen Bremen Platz und auch in Tuzla ist die Hilfe aus Bremen nicht vergessen.

Es hat viele Begegnungen gegeben in jener Zeit - und als der Krieg endlich beendet war, kam es zu einer Reise des Bremer Domchores, die zusammen mit der Philharmonie von Sarajevo an drei Orten das Mozart Requiem aufführten. In Tuzla konnte man spüren, wie tief verwundet die Menschen durch diesen Krieg waren. Ein Mozart Requiem auf solch einem Boden entfaltet eine tiefe Erschütterung bei Sängern und Zuhörern.

Marieluise Beck trifft mit Dragoslav Dedovic, Leiter des Belgrader Büros der Heinrich Böll Stiftung, auf Hatidza Mehmedovic von den Müttern von Srebrenica vor der Gedenkstätte in Srebrenica.

Beide Städte sind seither wieder im Aufbau.  Das Abkommen von Dayton macht das Regieren und die Planung schwerfällig. Kein Wunder, in einem Land, das zwei Entitäten, keine gemeinsame Polizei, keine Finanzverfassung, aber 180 Minister hat.  Insbesondere Tuzla beharrt darauf, dass es immer multireligiös gewesen sei und sich nicht von den Ethnonationalisten auseinandertreiben lassen werde. Die Stadt ist damit eher in der Minderheit. Die Ideologen der Macht beherrschen die Klaviatur des Ethnonationalismus perfekt - und schwächen deswegen gezielt alle staatlichen Ebenen, die das Land regierbar machen würden. Regierbarkeit ist aber eine zentrale Voraussetzung für den Wiederaufbau des Landes.

Nach der Intervention im Kosovo und mit den Kriegen in Afghanistan und im Irak ist Bosnien Herzegowina immer mehr aus dem Blick geraten. Und das, obwohl seit Jahresbeginn 2006 Christian Schwarz-Schilling  die UN als  hoher Kommissar vertreten hat und die Bonn powers ausübte.

Als im Jahr 1995 die Enklave Srebrenica unter den Augen der UNO zum Schauplatz eines Völkermordes wurde, war die Brücke der Hoffnung schnell involviert. Frauen und Kinder nämlich, die das Massaker überlebt und von Potocari aus deportiert wurden, suchten Schutz in Tuzla. Viele von ihnen wurden zunächst einmal in kleinen Dörfern rund um Lukavac angesiedelt, die von serbischen Bewohnern verlassen worden waren.

Ich werde das Grauen nicht vergessen, das in den Gesichtern der Frauen zu lesen waren, die nach der Deportation aus der "Schutzzone" Potocari am Flughafen von Tuzla in Zelten untergebracht waren. Alle warteten noch darauf, dass ein Wunder geschehen möge und Ehemänner, Väter, Söhne und Brüder noch nachkommen würden. Zurückgegeben von den Generälen Mladic und Krstic und ihren Tschetniks. Einige wenige kamen tatsächlich  lebend an: es waren die, die der UNO von vornherein misstraut hatten und dem Aufruf nicht gefolgt waren, sich nach Potocari zu begeben, weil die UNO dort für sie sorgen würde.

Hatidza berichtet von Ereignissen 1995 in Srebrenica

Unter dem Dach der Gesellschaft für bedrohte Völker hat sich eine Gruppe gebildet, die dem Vergessen entgegenwirkt und für Gerechtigkeit kämpft: Das sind die Mütter von Srebrenica. Ein Teil dieser Frauen arbeitet in Sarajevo. Es werden Namen gesucht, es werden Listen aufgestellt, von Opfern, aber auch von Tätern. Die Mütter von Srebrenica sind wichtige Zeugen vor dem internationalen Strafgerichtshof in  den Haag. Ein kleiner Teil der Frauen ist zurückgekehrt nach Srbrenica, einem Ort, der nun tief in der Republik Srpska liegt und in dem sie nach der Vertreibung und dem Massaker die Minderheit sind. Viele von ihnen haben kaum ein Auskommen. Die Stadt bietet keine Arbeitsplätze, der Aufbau findet kaum statt. Wer sollte bauen - die Männer fehlen doch.

So hat sich eine Zahl von etwa 300 Frauen in Srebrenica und in den umliegenden Dörfern angesiedelt, deren Leben vor allem der Suche nach den Verlorenen gewidmet ist - oder für die nichts als die Trauer geblieben ist.  Über 6400 Tote sind bisher exhumiert worden - die Identifikation ist mühselig. Es kann ein Feuerzeug sein, das den Namen des Getöteten preisgibt, ein bunter Schnürsenkel oder die Schnalle eines Gürtels. Das Morden ging über viele Tage, wie man der Chronik entnehmen kann. Und es wurden sogar Massengräber noch einmal aufgemacht und die Toten neu begraben - nur deswegen werden auch zwölf Jahre danach immer und immer wieder neue Gräber gefunden.

In der Ausstellung über den Genozid in Srebrenica

Schon im vergangenen Jahr traf ich Hatidza Mehmedovic, eine Frau mit einem ganz klaren Gesicht und einer großen Kraft. Keinen einzigen hat ihrer Söhne hat sie bisher gefunden, auch nicht ihren Mann. Bei jeder Exhumierung ist sie dabei - und sie kämpft, sie kämpft gegen das Vergessen. Wer Hatidza besucht, der muss Zeit mitbringen. Der muss sie erzählen lassen, denn jeder Schritt und jede Geste dieser schrecklichen Tage auf dem Gelände der Batteriefabrik Potocari sind in ihr Gedächtnis eingebrannt. Wie in einem Film kann sie schildern, wie General Mladic zu ihnen aufs Gelände kam und ihnen sagte, es werde ihnen nichts passieren und dann Schokolade in die Menge warf. Wenige Stunden, bevor die Männer und männlichen Kinder abgeführt wurden, den Frauen und Müttern entrissen. Man fühlt sich schlecht, wenn man Hatidza zuhört, denn es gibt eine Ahnung, dass nicht nur die Tschetniks schuld sind an diesem großen Verbrechen, sondern dass eine unfähige, unentschiedene Weltgemeinschaft, die zudem noch ihre eigenen Machtspiele trieb, an diesem Verbrechen auch ihren Anteil hat.

Hatidza Mehmedovic zeigt Marieluise Beck die Namen ihrer Angehörigen in der Gedenkstätte in Srebrencia  

An diesem 11. Juli jährt sich dieser schwarze Tag zum 12. Mal. Wieder wird es zu einer großen gemeinsamen Grablegung kommen von etwa 400 Toten, die im vergangenen Jahr identifiziert werden konnten. Und es wird eine endlose Liste von Namen vorgelesen werden, endlos, weil die Zahl der Ermordeten so unvorstellbar groß ist.

Überleben kann eine Pein sein - viele Frauen in Srebrenica kämpfen sich von Tag zu Tag. Trösten kann man da nicht. Aber zeigen, dass sie nicht vergessen sind - und das vor allem das Verbrechen nicht vergessen wird. Da -sein und Wiederkommen. Das Weinen ertragen und dem Grauen zuhören. Das ist das Wenige, das Mindeste, das wir tun können.

Lesen Sie hier eine Chonologie der Ereignisse in Srebrenica von 1995 .

Lesen Sie hier die Pressemitteilung vom 4. Juni 2007  zur Klage der Mütter von Srebrenica gegen die UN und Holland wegen Billigung des Genozids in Srebrenica 1995.