Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede zur Ukraine: Das dürfen wir nicht hinnehmen!

Angesichts der anhaltenden Kämpfe in der Ostukraine beschäftigte sich am gestrigen Nachmittag der Bundestag in einer aktuellen Stunde mit dem Konflikt.

Marieluise Beck war eine der RednerInnen.

Zusammenfassend beschreibt sie das Dilemma der Regierung in Kiew so: Wenn sie die schleichende Machtübernahme der bewaffneten Sturmtrupps hinnimmt, verliert sie vollends die Kontrolle über den Südosten. Wenn sie jedoch gewaltsam dagegen vorgeht, riskiert sie eine Eskalation der Gewalt und eine russische Intervention.

Ihre Rede ansehe können Sie hier:

Die komplette Rede ist im Folgenden nachzulesen:

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Bundestagsrede von Marieluise Beck | 07.05.2014

Aktuelle Stunde "Ukraine"

Vizepräsident Peter Hintze: Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Kollegin Marieluise Beck, Bündnis 90/Die Grünen.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Jetzt geht der Kalte Krieg weiter!)

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute Morgen hat Staatssekretär Ederer mit uns eine Debatte unter dem Titel „Wie verändert sich die europäische Sicherheitsarchitektur unter dem, was jetzt stattfindet?“ geführt. Ich glaube, es gibt eine Erschütterung, deren Ausmaß wir noch gar nicht ganz begriffen haben; denn es ist nach 1945 zum ersten Mal unter Anwendung von Gewalt von außen ein Landesteil eines souveränen Landes annektiert worden.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was war in Jugoslawien?)

Darüber hat heute niemand gesprochen. Ich meine, wir dürfen das nicht innerhalb von vier Wochen als quasi gegeben hinnehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir haben es jetzt mit folgenden Eckpunkten zu tun: Ein Land, von dem wir uns alle gewünscht haben, wir könnten mit ihm eine gemeinsame Sicherheit von Lissabon bis Wladiwostok schaffen, kehrt zu geostrategischem Denken zurück und ist bereit, Gewalt einzusetzen, um geostrategische Ziele zu verfolgen. Das stellt uns in der Tat vor eine vollkommen neue Situation. Ich glaube, wir alle sind noch damit überfordert, zu wissen, welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind.

Leider verändert sich nicht nur etwas im Osten, sondern auch im Westen. Wir alle ahnen, dass das nächste Europäische Parlament anders als das jetzige aussehen wird. Es wird in ihm beunruhigend starke rechtspopulistische Kräfte aus vielen Ländern – in Frankreich ist es vielleicht sogar die stärkste Kraft überhaupt – geben.

Es ist schon atemberaubend, dass Marine Le Pen derzeit ständig nach Moskau pendelt, dass die Parlamentarier der Lega Nord Russland als „Modellgesellschaft“ preisen, wenn es um nationale Identität und Schutz der Familie geht, wenn westliche Rechtspopulisten sich darauf berufen, dass sie mit Russland und Putin einig sind gegen einen multikulturellen Bundesstaat Europa, dass der Vorsitzende der griechischen Partei „Goldene Morgenröte“ von einer natürlichen Allianz zwischen der „Seemacht“ Griechenland und der „Landmacht“ Russland spricht und dass das einigende Band zwischen Putin und diesen Rechten der ethnische Nationalismus und die Abwehr von allem ist, was als „westliche Dekadenz“ bezeichnet wird. Doch da sind unsere Werte, die auch die Werte vieler, vieler Menschen in Russland sind, betroffen: Feminismus, die Gleichstellung von Frauen, auch die Gleichstellung von Homosexuellen, eine liberale Einwanderungspolitik und eine multikulturelle Gesellschaft. All das wird auch in Russland derzeit bekämpft. Die Zivilgesellschaft in Russland stirbt mit der zunehmenden gewalttätigen Auseinandersetzung in der Ukraine.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

Der Kollege Juratovic und ich sind, wie ich glaube, diejenigen, die am persönlichsten erfahren haben, wohin die Mutation des KP-Mannes Milosevic zu einem erbarmungslosen Nationalisten geführt hat. Sein Wahlspruch war ja: Wo ein Serbe lebt, ist Serbien. – Putin beansprucht jetzt, dass die russische Nation dort ist, wo Russen leben. Wir erleben jetzt, dass das Gleiche, was in Bosnien passierte, nämlich dass der Hass erfolgreich von außen in eine Gesellschaft, die es selber nicht glauben konnte, hineingetragen wird, in der Ukraine passiert. Ich verehre Herrn Lukin; ich kenne ihn nämlich noch als Menschenrechtsbeauftragten. Aber wo hat er angerufen? Er hat bei Igor Strelkow, Offizier des russischen Auslandsgeheimdienstes GRU, angerufen, der sich selbst als militärischer Anführer der Separatisten in Slawjansk fühlt und bezeichnet. Das heißt, es wird derzeit in der Ukraine von Kräften aus dem Inneren, aber eben auch mit geheimdienstlichen

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Wie beim BND!)

und sogar gewaltunterstützenden und gewalttätigen Mitteln an der Destabilisierung des Landes von innen gearbeitet.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Sie meinen die NATO-Staaten? Richtig verstanden?)

Wenn wir dann sagen: „Das Land befindet sich im Bürgerkrieg“, dann müssen wir auch dazusagen: „Dieser Bürgerkrieg ist von außen in das Land hineingetragen worden“. Erstaunlich ist – das kann man gar nicht fassen –, wie schnell Hass in einer Gesellschaft dazu führen kann, dass dann wirklich alle aufeinander losgehen und auch alle Schuld auf sich laden. Wir müssen uns deshalb anschauen, was derzeit passiert.

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie schauen immer und sehen nichts!)

Herr Minister, wir unterstützen Sie bei der ernsthaften und wirklich bis zur Erschöpfung gehenden, da sie nicht aufgegeben werden darf, politisch-diplomatischen Mission. Ich hoffe, dass es Ihnen und uns allen, obwohl wir sehen, dass Russland derzeit an einer Stabilisierung dieses Landes eher – ich sage: eher – nicht interessiert ist, trotzdem gelingt, Russland auf einen Weg zu ziehen, damit diese Ukraine nicht vor unseren Augen zerstört wird. Wir haben vor 20 Jahren gesagt: Mit Bosnien stirbt Europa. – Ich hoffe, wir müssen nicht ein zweites Mal sagen: Mit der Ukraine stirbt Europa.

Der verehrte Fraktionsvorsitzende Kauder hat im April auf einer Veranstaltung zur Ukraine gesagt: Die Flamme der Freiheit leuchtet heller als die von Gazprom. – Herr Kauder, ich hoffe, diese Sache sehen alle Ihre Außenpolitiker so wie Sie.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)

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