Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Ein neuer Mann im Kreml

Der neue russische Präsident Dmitri Medwedew gilt als liberal, wirtschaftsfreundlich und pro-westlich. Dagegen spricht sein steiler Aufstieg im Regierungsapparat. Sind durch seinen Amtsantritt Veränderungen in der russischen Innen- und Außenpolitik zu erwarten? Wie wird die Machtkonstellation mit Putin als Ministerpräsidenten funktionieren? Lesen Sie hier eine erste Einschätzung:

Medwedew hat es im Putinschen System weit gebracht: Er war Leiter der Präsidialadministration und Aufsichtsratschef von Gazprom. Allerdings ist nicht bekannt, dass er Verbindungen zum Geheimdienst hat. Seine Wahl zum neuen Präsidenten stellt für die Hardliner im System einen Rückschlag dar.

Innenpolitik:

Medwedew hat sich in öffentlichen Auftritten die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit auf die Fahnen geschrieben. Putin selbst startete 2000 mit der härteren Devise von der „Diktatur des Gesetzes.“ In seiner Rede in Krasnojarsk am 15.02. stellte Medwedew Respekt vor dem Eigentum als Kern einer erfolgreichen Wirtschaftsentwicklung dar. Allerdings scheint er einer eher engen Definition des Begriffs „Rechtsstaatlichkeit“ anzuhängen, die vor allem auf eine effiziente Verwaltung abzielt. Problematisch ist auch, dass er den von ihm mehrfach kritisierten „Rechtsnihilismus“ und die Anfälligkeit für Korruption in erster Linie bei der Bevölkerung zu verorten scheint.

Medwedew betont in seinen Reden soziale Themen, die Putin selbst immer wieder angesprochen hat. Vor seiner Kandidatur war Medwedew mit vier sogenannten „nationalen Projekten“ betraut: Gesundheit, Wohnungswesen, Bildung und Landwirtschaft. Spürbare Verbesserungen sind in diesen Bereichen allerdings nicht zu verzeichnen. Die nationalen Projekte wurden im Januar zu nationalen Programmen aufgewertet. Die Vermutung liegt nah, dass der neue Premier Putin sich dieser Themen annehmen wird.

Fazit: Medwedews Äußerungen unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von denen Putins, wenn man von einzelnen Aspekten, wie der Kritik an dem Konzept der „souveränen Demokratie“ absieht. Es ist nicht auszuschließen, dass sich im Bereich Rechtsstaatlichkeit etwas verbessern kann. Eine Öffnung des politischen Systems ist jedoch nicht zu erwarten. Zu sehr wird Medwedew damit beschäftigt sein, seinen Machterhalt zu sichern.

Außenpolitik:

Putin und Medwedew haben mehrfach betont, dass die Außenpolitik auch in Zukunft vom Präsidenten gestaltet werde.  Allerdings verfügt Medwedew außenpolitisch kaum über Erfahrung. Seine erste Auslandsreise nach der Nominierung (noch in Funktion des Stv. Ministerpräsidenten) führte ihn Ende Februar nach Belgrad, wo er Serbien Unterstützung in der Kosovo-Frage zusagte und den Vertrag über den Bau der Pipeline „South Stream“ abschloss. Seine ersten Reisen als Präsident sollen nach Kasachstan und China gehen.

Einige Kommentatoren sehen mit dem Amtsantritt Medwedews ein günstiges Zeitfenster für die EU, ihre Beziehungen mit Russland auf eine neue Basis zu stellen und einige Konfliktthemen zu lösen. Bisher konnte sich die EU intern noch auf kein Verhandlungsmandat für das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PKA) mit Russland einigen. Bis zum EU-Russland Gipfel am 26./27. Juni in Sibirien soll das Mandat verabschiedet werden.

Fazit: Medwedews außenpolitischer Kurs ist schwer prognostizierbar. Es ist unwahrscheinlich, dass er wesentlich von seinem Vorgänger abweichen wird in den entscheidenden Fragen. Eine Veränderung im Tonfall und in der Rhetorik ist vorstellbar, aber es ist zu erwarten, dass Medwedew Russlands Interessen ebenso nachdrücklich vertreten wird wie Putin. Einen weicheren Kurs wird er sich innenpolitisch nicht leisten können.

Es ist wünschenswert, die Verhandlungen über ein neues PKA mit Russland zu beginnen, um die Beziehungen auf eine neue Basis zu stellen. Probleme und Konfliktfelder dürfen in den Verhandlungen nicht ausgespart werden. Solange sich die EU nicht auf ein Mandat einigen kann, wirkt sie nicht handlungsfähig.

Machtwechsel und Doppel-Spitze:

Professor Hans-Henning Schröder zeigt auf (Russlandanalysen Nr. 160), dass der Machtwechsel 2008 viele Parallelen auf zum Jahr 2000 aufweist: die Auswahl des Nachfolgers durch die Präsidialadministration, der Elitekonsens und schließlich der Akt plebiszitärer Zustimmung für die formale Legitimität. Ein wichtiges Novum ist, dass Putin sich nicht wie Jelzin im Jahre 2000 aus der Politik zurückzieht. Das wird es schwerer machen für Medwedew, seine Position zu konsolidieren. Die erste Zeit wird er vermutlich auf Putins Rückhalt angewiesen sein.

Ein potentielles Spannungsmoment ergibt sich nach Ansicht von manchen Experten aus der Tatsache, dass Medwedew zwar über die formale Macht, Putin aber über die historische Legitimität verfüge. Die Doppelspitze ist für Russland ungewöhnlich und birgt Konfliktpotential. Andere Experten sehen jedoch keine Aussicht auf einen Kurswechsel durch Medwedew.

Putins „Wahl“ zum Parteichef von „Einiges Russland“ (ohne der Partei beizutreten) verleiht ihm über das zukünftige Amt des Ministerpräsidenten hinaus zusätzliche Legitimität. Er kontrolliert damit vollständig die Legislative. Eine Stärkung des Parlamentarismus, wie sie von manchen Kommentatoren vermutet wird, scheint wenig plausibel, eher eine Instrumentalisierung der Duma durch Putin. Der Präsident kann den Ministerpräsidenten zwar jederzeit entlassen. Ein neuer Ministerpräsident muss aber von der Duma akzeptiert werden. Mit der verfassungsgebenden Mehrheit von „Einiges Russland“ ließe sich sogar ein Amtsenthebungsverfahren des Präsidenten initiieren.

Kurz vor der Amtsübergabe ließ Putin noch die Bewertung der Gouverneure in die Kompetenz des Ministerpräsidenten überführen, was seinen Einfluss auf die Regionen stärkt.

Lilia Schewzowa, Analystin am Moskauer Carnegie-Zentrum, beschreibt in einem Artikel (Internationale Politik, Ausgabe Februar 2008) als mögliche Szenarien, dass entweder „Russland von einem ungewöhnlichen Tandem aus Präsident Medwedew als Senior- und Premier Putin als Juniorpartner regiert werde. Aber selbst wenn es Putin gelingt, seinen Ehrgeiz zu zügeln und sich mit dem Kleinkram des Regierens zu beschäftigen, wird er trotzdem immer noch als Zentrum der Macht betrachtet werden. Das wird letztlich sowohl die Gesellschaft als auch die politische Klasse ratlos machen, weil sie nicht wissen, wem sie gehorchen sollen. Diese Lage würde bittere Kämpfe innerhalb der Elite auslösen und letztlich zu einer Lähmung der Macht führen.“ Alternativ arbeiten „Putin und Medwedew als ein Team, und es gelingt ihnen, den auf dem hohen Ölpreis basierenden Status quo zu erhalten. Wenn diese Kontinuität beinhalten würde, die Mega-Staatsfirmen (Gazprom, Rosneft, Rosobomexport, Rosatom) weiter auf Kosten der Regierung aufzublasen, dann würde sich jedoch die Frage stellen: Werden Putin und Medwedew in ein paar Jahren nur noch eine leere Hülle regieren?“

Fazit: Aufgrund der Intransparenz des politischen Systems sind sämtliche Vermutungen, wie die zukünftige Machkonstellation aussehen wird, reine Spekulation. Problematisch sind eben diese Intransparenz und die Tatsache, dass kein „normaler“ Machtwechsel in diesem System vorgesehen ist. Die Konzentration auf die Exekutive und auf wenige unersetzliche Personen birgt Instabilität. Viele Ressourcen gehen in den Erhalt der prekären Balance des Machterhalts, die fehlen bei der Lösung dringender wirtschaftlicher und sozialer Probleme.

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