Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Europarat: M. Beck fordert Visa-Erleichterung und EU-Verantwortung für den Balkan

Im Rahmen der "allgemeinen politischen Debatte zur Lage auf dem Balkan" äußert sich Marieluise Beck auf der Parlamentarischen Versammlung des Europarats vom 2. bis 6. Oktober 2006 in Strasbourg:

Sehr geehrter Herr Präsident,

ich finde, dass Herr Eörsi einen sehr guten Bericht vorgelegt hat für die kurze Zeit, die ihm zur Verfügung stand, und die Komplexität und Vielschichtigkeit, mit der Sie es in dieser Region zu tun hatten. Es ist sicherlich gegenüber dem Rückblick vor zehn Jahren wunderbar, dass die Waffen jetzt schweigen, und deswegen ist ein großer Schritt nach vorne gemacht worden; die Länder entwickeln sich. Trotzdem müssen wir sicherlich sehen, dass die Anspannung in der Region nach wie vor groß ist – in unterschiedlicher Weise in den Ländern –, und dass das Eis der Friedlichkeit, die wir im Augenblick haben, dünn ist.

Nach wie vor ist der extreme Nationalismus immer präsent. Er ist ein Problem und hindert diese Region, sich so rasch zu erholen, wie sie es sonst könnte. Deswegen möchte ich auf Ihren Punkt 6 eingehen, Herr Eörsi, in dem sie auf den Anteil verweisen, den auch Europa an der Tatsache hat, dass es immer noch an demokratischen Strukturen in Teilen des westlichen Balkans fehlt. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass in Dayton die internationale Gemeinschaft mit denen verhandelt hat, die später das ICTY unter Anklage gestellt hat, und dass Dayton auch zu Wahlen und zu Gesetzen für Wahlen geführt hat, die jetzt wie in Bosnien – und ich war in Sarajewo – den Wählern abverlangen, sich ethnisch zuzuordnen.

Ich kann bis zum heutigen Tag nicht verstehen, ob eigentlich Serben und Kroaten, Katholiken oder Serbisch-Orthodoxe, religiöse Kategorien sind; was ist denn, wenn ein Kind mit einem serbischen Vater und einer kroatischen Mutter auf die Welt kommt? Sind das Halbserben oder Halbkroaten? Ich möchte hier ganz offen sagen, dass mir als Deutscher bei solchen Überlegungen immer der kalte Schauer über den Rücken läuft. Ist es wirklich demokratisch, wenn Europa, und das haben sowohl die OSZE als auch wir hier akzeptiert, einem Land ein Wahlsystem zugrunde legt, in dem nicht jeder Bürger und jede Bürgerin passiv wählbar ist? Ein Jude oder eine Jüdin in Bosnien-Herzegovina kann nicht Teil des Staatspräsidiums werden. Eigentlich werden damit fundamentale demokratische Rechte verletzt, die wir so nicht stehen lassen sollten. Wir sollten uns nicht mit dem, was jetzt in Bosnien an zwar friedlichen und auch freien Wahlen stattgefunden hat zufrieden geben. Demokratischen Prinzipien, finde ich, genügen diese Wahlen nicht. Und das ist eine Forderung auch an uns, nicht nur an diese Länder.

Konkret noch zu Punkt 14: Sie weisen auf die Dringlichkeit der Erleichterung von Reisen, von Visa-Erteilung hin. Dies ist extrem wichtig. Wir sind uns als Außenpolitiker in der Regel einig, gerade auch für die Bekämpfung von Nationalismus, dass wir der jungen Generation die Möglichkeit zur Begegnung, zur Erfahrung im Ausland, zum Reisen, zum Studieren, zum Lernen geben müssen, wenn wir ihr kosmopolitische Zeichen setzen und sie aufgeschlossen machen wollen. Aber bestimmen tun dann die Innenpolitiker. Und die Innenpolitiker denken in sicherheitspolitischen Kategorien. Damit werden Visa-Regime errichtet, die häufig für diesen Gedanken der Offenheit und der Liberalität absolut kontraproduktiv sind. Wenn man weiter denkt, dass möglicherweise mit unterschiedlichem Zeitlimit Staaten des Balkans Mitglieder in der Europäischen Union werden, und wir dann vollkommen unterschiedliche Reisemöglichkeiten haben, und dann möglicherweise das Land, das zurückbleibt, eingesperrt ist und auch seine jungen Menschen einsperren muss, weil die Visa-Regimes sehr hart sind und Schengen dann regiert, dann haben wir nicht den Teil zur Überwindung des Nationalismus beigetragen, den wir beitragen müssten.

Und damit zur Frage der europäischen Perspektive für Europa: Es ist in der Tat so, dass natürlich auch die Menschen im Westbalkan spüren, dass Europa, die Europäische Union, in sich selbst unsicher ist, dass wir uns in der Krise befinden. Sie spüren, dass die eigentlich große Kraft, den Nationalismus zu überwinden – und damit auch schwierige Statusfragen, wie jetzt beim Kosovo, oder die innere Zerrissenheit des Landes Bosnien-Herzegovina –, dass diese eigentliche Kraft in einer wirklichen, ehrlichen Perspektive liegt, auch Teil der Europäischen Union zu werden. Ich finde den Begriff der road map hervorragend und schlage vor, dass wir ihn uns zu eigen machen. Vielen Dank.

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