Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede beim Europarat zum Missbrauch des Staatsgeheimnisses im Antiterrorkampf

Am 6. Oktober 2011 diskutierte die Parlamentarische Versammlung des Europarats über einen Bericht des Schweizer Abgeordneten Dick Marty zur Einschränkung des Rechtsstaats im Antiterrorkampf. Der Bericht Martys sieht vor allem die parlamentarische und juristische Kontrolle von Menschenrechtsverletzungen durch Verweise auf Staatsgeheimnisse und nationale Sicherheit gefährdet. In der Debatte sprach auch Marieluise Beck.

Sehen Sie hier die Rede als Video.

Lesen Sie hier ihren Redetext:

Schönen Dank, Herr Präsident!

Lieber Kollege Dick Marty,

Ihre Kompetenz und vor allem auch Ihre Beharrlichkeit wird diesem Parlament sehr fehlen. Es ist sehr schade, dass Sie ausscheiden und ich glaube, wir müssen uns alle sehr anstrengen, um in diese Schuhe zu steigen.

Der 10. Jahrestag des 11. Septembers gibt Anlass, über ein Jahrzehnt nachzudenken, das sowohl von zahlreichen grausamen Terroranschlägen, als auch von einem weltweiten Kampf gegen den Terrorismus geprägt wurde.

Die Terroristen hatten es bei ihren brutalen Anschlägen, egal ob in Madrid, London, New York, Djerba oder Moskau, nicht nur auf die Ermordung Unschuldiger, sondern auch auf die Erschütterung unserer politischen Grundbegriffe abgesehen. Die Angriffe der Terroristen waren damit auch Angriffe auf unsere Freiheit, unsere Demokratien und unsere rechtsstaatlichen Prinzipien, und um die geht es in diesem Bericht.

Deshalb dürfen wir niemals unsere Prinzipien verändern oder vergessen. So wie wir auch die Gewalt von Extremisten nicht tolerieren können. Der 11. September stellt bis heute ein großes Trauma für die westliche Welt dar. Es ist verständlich, dass dieser Tag Angst und Wut hervorrief. Auch in Deutschland führte dies dazu, dass wir entgegen unseren Idealen und Traditionen gehandelt haben.

Viele Entscheidungen wurden getroffen, die mit rechtsstaatlichen Prinzipien nicht vereinbar sind. Deren Konsequenzen bleiben in ihrem Ausmaß zum Teil bis heute ungewiss. Die Antiterrorgesetze, die als Reaktion auf die Anschläge in Deutschland verabschiedet worden sind, haben zum Teil zur Abschottung und Einschränkung von Bürgerrechten geführt. Wenn es also um das Spannungsfeld von staatlicher Geheimhaltung und Rechtsstaatlichkeit geht, brauchen wir um so dringender starke Parlamente, deren Kontrolle und die „checks of balance“, die Balance, von der Dick Marty gesprochen hat, sowie gute Verfassungsgerichte.

Die letzten Jahre haben uns gelehrt, dass wir mehr Transparenz im Sicherheitsbereich benötigen, statt weniger. Etwa starke Auskunftsrechte der Betroffenen gegenüber Nachrichtendiensten und Sicherheitsbehörden, sowie eine effiziente richterliche Kontrolle zum Schutz des Privaten. In diesem Zusammenhang müssen auch die Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit in ihrer Arbeit unterstützt und gestärkt werden.

Stärkere Kontrollmöglichkeiten gegenüber den Geheimdiensten durch eine schnelle und vollständige Unterrichtung des Parlaments sind dabei unerlässlich. Das ist der notwendige und auch vertretbare Zwischenschritt zwischen der Öffentlichkeit allgemein, was unter Sicherheitsgesichtspunkten nicht opportun sein kann, aber parlamentarische Kontrollgremien müssen einbezogen sein.

Die Grund- und Menschenrechte sind unser Kompass für eine moderne Politik der inneren Sicherheit, die echte Sicherheitslücken konsequent schließt. Panikmache und grenzenlose Überwachung dürfen die Freiheit jedoch nicht gefährden, denn dann hätten die Terroristen in ihren Zielen gesiegt.

Noch eine kurze Anmerkung: Es wird positiv auf die WikiLeaks-Veröffentlichungen Bezug genommen. Das ist in Teilen richtig, doch haben diese durch die – zwar nicht geplante – Öffentlichmachung von Passwörtern auch dazu geführt, dass in verschiedenen Ländern Whistleblower gefährdet worden sind. Auch das müssen wir benennen und die, die sich das Recht der Veröffentlichung nehmen, dazu verpflichten, auch die Verantwortung dafür zu übernehmen, jene zu schützen, deren Geheimnisse sie über das Internet weltweit veröffentlichen. Wir dürfen keine Menschen und damit Whistleblower gefährden, die wir in unserem Europarat schützen wollen, weil wir wissen, wie wichtig sie gerade in diktatorischen Regimes sind.

Zum Zweiten: Kollege Dick Marty hat bei der Verletzung von rechtsstaatlichen Prinzipien insbesondere die USA hervorgehoben. Das ist insoweit richtig, als die alten Demokratien sich einer besonderen Herausforderung stellen müssen, rechtsstaatliche Prinzipien einzuhalten, denn wir haben Vorbildcharakter. Nur dann können wir in Transformationsländern, in denen der Weg bis zum Einhalten von rechtsstaatlichen Prinzipien oft noch recht weit ist, diese Einhaltung auch einklagen.

Schönen Dank.

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Hier finden Sie den Bericht von Dick Marty und die verabschiedete Resolution udn Empfehlung .

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