Zur Entscheidung des Obersten Gerichts Russlands zur Reduzierung der elfjährigen Gefängnisstrafe für Michail Chodorkowski um zwei Monate erklärt Marieluise Beck, Sprecherin für Osteuropapolitik: Wer das Berufungsverfahren gegen Michail Chodorkowski im Zusammenhang aller bisheriger Verfahren betrachtet, dem müssen alle Alarmglocken klingeln.
Die im Juli vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof festgestellten Mängel im Verfahren gegen Chodorkowski betrafen nur das erste, nicht jedoch das zweite Verfahren gegen den Kremlkritiker.
Das zweite Verfahren gegen Chodorokowski, mit einer dem ersten Verfahren widersprechenden Anklage, ist im Auftrag des ehemaligen Präsidenten Medwedjew aus dem Rat zum Aufbau der Zivilgesellschaft (ein von Präsident Putin eingesetztes Gremium) juristisch analysiert und als skandalös bezeichnet worden. Nebenbei sei bemerkt, dass die Gutachter dieses Rats jetzt scharfer politischer Repression (Hausdurchsuchungen etc.) ausgesetzt sind. Es sei außerdem erinnert an die Flucht von Sergej Gurijew, dem angesehenen Ökonomen, der kürzlich nach Paris flüchten musste, weil er sich vor Chodorkowski gestellt hatte.
Auf Grund dieses zweiten Verfahrens werden Michael Chodorkowski und Platon Lebedjew nach wie vor in Lagerhaft gehalten und von der Außenwelt vollständig isoliert. Selbst die Übertragung des familiären Besuchsrechts durch die Eltern Chodorkowskis, das nach russischer Strafprozessordnung möglich ist, wurde Michail Chodorkowski verwehrt und damit Kontakt über Anwälte und Familie hinaus unterbunden.
Wenn jetzt in einem Berufungsverfahren der Eindruck eines scheinbar rechtstaatlichen Vorgangs erweckt, das Strafmaß um zwei Monate verkürzt, und als Entlassungszeitraum der August 2014 in Aussicht gestellt wird, ist dies alarmierend. Zu diesem Zeitpunkt wird die Winterolympiade in Sotschi, auf der Präsident Putin sich von der Welt feiern lassen möchte, bereits vorbei sein. Zudem gibt es Hinweise, dass momentan nach der Blaupause Timoschenko ein drittes Verfahren gegen Chodorkowski vorbereitet wird.
Bleibt zu hoffen, dass weder Politik noch Sportler sich so leicht Sand in die Augen streuen lassen.