Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Interview Weserkurier zu Sotschi: Kritiker werden mundtot gemacht

Weser Kurier, 6. Februar 2014

Russland-Expertin Marieluise Beck zu Wladimir Putin und den Olympischen Winterspielen in Sotschi

„Kritiker werden mundtot gemacht“

Mit gemischten Gefühlen sieht Marieluise Beck den morgen beginnenden Olympischen Winterspielen in Sotschi entgegen. Umweltschutz und Menschenrechte säßen bei den Spielen „auf der Strafbank“, so die osteuropapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag. Norbert Holst hat sich mit der Bremerin unterhalten.

Frau Beck, eine sehenswerte TV-Dokumentation von „Arte“ tituliert das Ereignis von Sotschi als „Putins Spiele“. Werden die Olympischen Spiele zur Bühne für den russischen Regierungschef?

Marieluise Beck: Die Spiele sind geplant als das große Fest und die Krönung von Wladimir Putins Aufstieg. Es ist ein Teil seiner Strategie, auf diese Weise den Eindruck zu erwecken, dass Russland nach den empfundenen Demütigungen beim Zerfall der Sowjetunion jetzt wieder Anschluss an die alte Größe gefunden habe.

Im Vorfeld der Spiele gab es alarmierende Meldungen: Ausbeutung von Fremdarbeitern, Zwangsumsiedlungen, Bausünden auf Kosten der Natur. Hat sich das IOC bluffen lassen, als es 2007 den Zuschlag für Sotschi gab?

Das IOC hat nicht einmal Zusicherungen für die Einhaltung von Menschenrechten und ökologischen Standards eingeholt. Es gibt auch einen äußerst fragwürdigen Vorgang bei der Vergabe der Spiele. Der Winterkurort Salzburg mit seinen zahlreichen vorhandenen Sportstätten stand eigentlich auf Platz eins der Liste. Doch dann rückte der Sommerkurort Sotschi, der keine einzige Sportstätte aufwies, auf den ersten Platz. Was diesen Sinneswandel im 100-köpfigen Vergabeteam herbeigeführt hat, bleibt der Fantasie überlassen.

Skirennfahrer Felix Neureuther oder der frühere Weltklasse-Skispringer Hans-Georg Aschenbach fordern eine Wiederbelebung der olympischen Ideale. Trifft diese Forderung den Kern?

Ja, ich teile diese Einschätzung aus vollem Herzen. Die großen Sportverbände, die im Laufe der vergangenen Jahre in Doping-skandalen und im Sumpf der Korruption versunken sind, müssen die Ideale des Sports retten. Sie müssen deswegen vor allem sich selbst reformieren.

Es heißt, Olympiagegner würden in Russland mundtot gemacht. Sie selbst setzen sich für den inhaftierten Sotschi-Kritiker Ewgenij Witischko ein. Haben sie neue Informationen zu diesem Fall?

Ewgenij Witischko ist ein angesehener Geologe und Umweltschützer. Er ist vor längerer Zeit unter fadenscheinigen Vorwürfen zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren verurteilt worden, die jetzt in eine Haftstrafe umgewandelt worden ist. Er hatte öffentlich gemacht, dass ein Gouverneur für seine Sommerresidenz einen Zaun mitten durch ein Naturschutzgebiet gebaut hat. Nun ist Witischko am Montag wegen sogenannten leichten Rowdytums in einem Blitzverfahren zu 15 Tagen Haft verurteilt worden. Er soll auf der Straße Schimpfwörter benutzt haben. Das bereitet die Umwandlung der Bewährungs- in eine Haftstrafe vor. Ganz offensichtlich werden russische Kritiker mundtot gemacht, während dem Westen mit der Freilassung von Greenpeace-Aktivisten, den Pussy-Riot-Frauen oder Michail Chodorkowski weisgemacht werden soll, Putin habe einen liberalen Kurs eingeschlagen.

Erwarten sie Proteste während der Spiele?

Es gibt einen massiven Druck auf Menschenrechts- und Umweltaktivisten im Umfeld von Sotschi. Auffallend ist, dass derzeit auch kritische Medien mundtot gemacht werden. So ist es dem TV-Sender Doschd ergangenen. Auf Druck des Kremls haben die Kabelbetreiber dem Sender gekündigt. So wird ein Szenario geschaffen, um Sotschi als einen Ort der glücklichen Spiele zu präsentieren.

Russland ist alles andere als eine lupenreine Demokratie. Aber können Großereignisse wie die Olympischen Spiele nicht helfen, die Zivilgesellschaft in einem autoritären System zu stärken?

Das IOC bemüht dieses Argument immer wieder. Es gibt dafür leider keine Bespiele. In China hat sich nach den Spielen 2008 die Menschenrechtslage nicht verbessert. In Südkorea ist 1988 die Demokratisierung ausgeblieben. Im Gegenteil, oft hinterlassen solche Sportereignisse sogenannte „weiße Elefanten“. Das sind Prachtbauten, die mit staatlichen Geldern finanziert werden und dann ungenutzt herumstehen, weil das Geld für den Betrieb fehlt. Diese Mittel fehlen dann für eine bessere Infrastruktur, die allen Menschen zugute käme. So ist es auch in Sotschi: Die erwarteten Kosten in Höhe zwölf Milliarden Dollar sind auf 50 Milliarden gestiegen.

Sollte man die Spiele denn boykottieren?

Ich finde es richtig, dass namhafte Politiker wie Frankreichs Präsident François Hollande oder Bundespräsident Joachim Gauck es vorziehen, Wladimir Putin bei der Eröffnungsfeier nicht mit ihrer Anwesenheit zu schmücken. Dabei geht es aber nicht nur um die Kritik an den politischen Verhältnissen in Russland. Ich denke auch an die zynische Unterstützung Assads in Syrien und den Machtpoker gegenüber der Ukraine.

Wie bewerten sie Gaucks Reaktion? Er will nicht zu den Spielen fahren, hat sie aber auch nicht klar kritisiert.

Der Kammerton gehört zur Diplomatie. Wir sollten nicht in einen Wettlauf der Boykottforderungen einsteigen. Die Spiele gehören den Sportlern, die haben schließlich viele Jahre lang für dieses Ziel trainiert. Aber eine politische Zurückhaltung, wie Bundespräsident Gauck sie übt, halte ich in Sotschi für angemessen.