Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Im Juni kamen drei junge Männer aus der Ronzeelenschule mit ihrem Lehrer Michael Haag zu mir. Dieses Team hat erst kürzlich für ihre Arbeit an der Schülerzeitung ‚Das Rhododendron-Blatt‘ im Bundesrat den Sonderpreis der Kategorie „EinSatz für eine bessere Gesellschaft“ des Bundesministeriums für Familie, Soziales, Frauen und Jugend erhalten. Die ausgezeichnete Ausgabe hatte den Schwerpunkt 'Wählen ab 16'.

Übrigens waren die drei Wahlhelfer bei den letzten Bürgerschaftswahlen und haben dort manchem Bürger das Panaschieren und Kumulieren erklärt.

Sie waren gut vorbereitet und brachten 30 Fragen mit, von der leichten Sprache bis hin zur Visumsproblematik, dem Türken- und Kurdenkonflikt, Syrien und natürlich zum Wahlalter 16.

Die Schüler haben mir gestattet, ihr Interview in voller länge auf meiner Homepage mit Ihnen zu teilen. Ich danke ihnen dafür:

Yusuf Kale erklärt einleitend:

"Ich rufe meinen Lehrer als Telefonjoker an: Wie formuliert man einen Einleitungs-Text bei einer Bundestagsabgeordneten? Höfliche Sätze! Wer? Wann? Wo? Warum? Ergebnis?
Also: Marieluise Beck hat uns zu einem Interview eingeladen. 2 der Schülerzeitungsredakteure waren in Berlin – Mesut und Murat. Sie hatten sie gefragt, ob sie ein Interview mit uns für das Rhodendron-Blatt machen würde. Es hat in Berlin leider nicht geklappt, weil sie abreisen musste. Sie hat uns daher freundlich zu sich nach Hause in Bremen eingeladen. Sie hat uns herzlich begrüßt und wir haben auf dem Flur ihren aufgeklappten Koffer gesehen, weil sie nach dem Interview nach Berlin reisen musste.
Sie war vertrauensvoll, weil: am Ende hat sie uns das Haus übergeben, weil das Taxi schon vor der Tür stand. Sie hat hektisch ihre Sachen gepackt und ist los gerannt. Vorher haben wir noch schnell ein Foto geschossen. Wir sind in Ruhe nach draußen gegangen und haben hinter uns die Tür zu gemacht.
Für uns war es ein Erfolgserlebnis, unsere Fragen los zu werden. Wir haben ja auch politische Fragen gestellt. Ein Schritt in die richtige Richtung."

__________________________________________________

„In der Politik gibt es wenig Zeit und wenig Geduld“
Interview mit Marieluise Beck, GRÜNE
9. Juni 2012

Fragen: Yusuf Kale, Murat Alpaslan, Mesut Alpaslan, Yvonne Blendermann, Jan Frerichs

Murat Alpaslan: „o.k., erst mal wollen wir uns ganz herzlich bedanken, dass Sie uns zu sich nach Hause eingeladen haben und dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Wir wollten mit Ihnen ein Interview machen. Wir haben die Fragen auch aufgeschrieben, da können Sie reingucken.“
Marieluise Beck: „Aha, Informationen über mich haben Sie auch  aufgeschrieben. Quelle: Wikipedia. Sie sind im Internet? Europa-Union ist nicht ganz richtig. Ich bin Abgeordnete des Europa-Rates. Die Europäische Union sind 27 Länder von Europa. Und im Europa-Rat sind 48 Länder. Auch Armenien, Aserbeidschan, Ukraine, also wirklich das ganze geografische Europa. Die treffen sich 4 mal im Jahr in Straßburg. Im alten Gebäude des Europäischen Parlaments. Das Europa-Parlament hat sich ein schickes neues Gebäude gebaut. O.k., ich bin bereit.“
Murat Alpaslan: „Sie wissen ja, wir sind eine Schülerzeitung, das Rhododendron-Blatt. Wir sind ein Förderzentrum.
Wir waren auch in Berlin zu einer Preisverleihung. Wir haben vom Bundesministerium von Kristina Schröder einen Preis bekommen. Als wir mit Ihnen ein Interview machen wollten, waren wir in der Bundespressekonferenz eingeladen. Deswegen hatten wir keine Zeit. Aber jetzt haben Sie uns ja in Bremen eingeladen.“
Marieluise Beck: „Bei der Bundespressekonferenz? Das ist schon was! Kriegt man da so ein bisschen Gänsehaut?“
Murat Alpaslan: „Das war einmalig! Wir haben Fragen von Schülern unserer Redaktion mitgebracht. Dann fange ich mal an. Wir finden, dass Leichte Sprache sehr gut ist, damit wir das verstehen. Und Sie?“
Marieluise Beck: „Uns fällt es oft schwer in der Politik, eine Leichte Sprache zu finden. Politik hat ja oft sehr schwierige Sachverhalte. Und das in einfache Worte zu kleiden, ist eine große Herausforderung. Aber ich werde mir ganz viel Mühe geben, Euch nicht allzu sehr voll zu quasseln, sonst müsst Ihr nachher ganz viel streichen.“
Unsere Frage: „Wieso sprechen die Politiker die Politiker-Sprache schwierig? Es gibt so viele Leute, die das nicht verstehen. Beispiel: Ausländer oder ältere Leute. Wieso kann man die Politiker-Sprache nicht in Leichter Sprache sprechen, damit es auch alle verstehen können?“
Marieluise Beck: „Ja, warum ist es so schwer, das, womit Politik sich beschäftigt, in einfache Sätze zu bringen? Vielleicht weil wir uns nicht genug Zeit nehmen zum Sprechen. Wenn man das, was ganz schwierig ist, erklären will – wenn man zum Beispiel erklären möchte, wie eine Rakete gebaut ist und es sehr einfach sagen will – braucht man Zeit und Geduld. Und in der Politik gibt es wenig Zeit und wenig Geduld. Auch bei den Zeitungen gibt es wenig Zeit. Und noch viel weniger Zeit gibt es in Rundfunk und Fernsehen. Am schlimmsten ist das Fernsehen. Das Fernsehen denkt in Abschnitten von 30 Sekunden. Es ist vollkommen unmöglich, einen schwierigen Sachverhalt in 30 Sekunden zu packen. Und dann noch so von A nach B zu erklären, dass es auch wirklich eine Leichte Sprache ist.
Das hat auch damit zu tun, dass Politik sehr  international ist. Dass es inzwischen viele Fremdwörter gibt, die aus dieser internationalen Welt in unsere politische Welt eindringen.
Wenn man zum Beispiel an die Bankenkrise denkt, hat man es zu tun mit der Finanzwelt, die uns auch eher unbekannt ist. Zu erklären, was Derivate sind oder ein Hedge Fond ist - das sind alles Begriffe aus dem internationalen Finanzmarkt ... Ich glaube, dafür gibt es gar keine Übersetzung in die Deutsche Sprache.“
Unsere Frage: „Wie können wir schaffen, dass wir mehr junge Wähler kriegen können? Wie kann man junge Leute überzeugen, dass Politik etwas gutes ist für sie selber?“
Marieluise Beck: „Erstens geht das natürlich nur, wenn die Politik es schafft, sich so auszudrücken, dass junge Menschen sie verstehen.
Ich glaube, dass Politiker zu den jungen Menschen hin gehen müssen. Damit die jungen Menschen ein Gefühl dafür kriegen: Was sind das für Menschen, die Politiker? Wie ticken die?
Dann muss die Politik die Formen benutzen, die junge Menschen sehr stark nutzen: das Internet, wo viel mit Bildern gearbeitet wird, mit kurzen Nachrichten, mit Schnelligkeit im Austausch von Information. Zum Beispiel Radio Bremen 4, wo es viel Musik gibt und zwischendurch mal ein kleines bisschen Politik. Ich glaube, dass junge Leute keine Lust haben, seitenlang Zeitung zu lesen. Man braucht eine eigene Sprache. Es ist nicht so leicht, sie zu finden."
Mesut Alpaslan: "Kurz und knapp."
Marieluise Beck: "Kurz und knapp, ja! Aber manchmal kann man das, was in der Gesellschaft passiert oder in anderen Ländern kaum kurz und knapp ausdrücken. Ich glaube, wir brauchen auch die Hilfe von den Schulen. Ob es denen gelingt zu vermitteln, dass die Politik "da oben" mit dem Leben der Menschen in der Stadt, im Dorf, in der Schule wirklich etwas zu tun hat. Das können wir alleine nicht vermitteln."
Unsere Frage: "Wir haben im März Ihrer Partei einen wichtigen Brief geschrieben weil wir Ihnen etwas wichtiges empfehlen möchten. Wir empfehlen, dass in Deutschland alle Leute ab 16 wählen dürfen, damit junge Leute entscheiden können, was ihre Zukunft ist, auch bei der Bundestagswahl. Ihre Partei hat uns lange keine Antwort geschrieben. Vielleicht können Sie das vor Ort beantworten.“
Marieluise Beck: „Gibt es inzwischen eine Antwort? Seit gestern? (sie lacht laut) Dem Himmel sei Dank! Da haben wir ja noch mal Glück gehabt. Der arme Cem Özdemir kriegt mehr Briefe, als er beantworten kann, das ist das Problem. Wir kriegen auch mehr E-mails, als wir beantworten können.
Also: unsere Partei ist dafür, dass ab 16 gewählt werden kann. Dafür haben wir auf der Ebene der Bundestags-Wahl nicht genug Unterstützung. Dafür gibt es noch keine Mehrheit. Aber hier in Bremen ist das Wahlalter auf 16 abgesenkt worden mit dieser roten und grünen Regierung.“
Murat Alpaslan: „Mein Bruder und ich waren da 17 und haben auch zum ersten mal gewählt. Und wir waren auch Wahlhelfer, zum ersten mal.“
Marieluise Beck: „Schön! Sehr gut!“
Mesut Alpaslan: „Ich möchte etwas sagen. Wir hatten eine Einladung bei „Demokratisch Handel“ und da haben wir uns überlegt, dass wir an die Ministerpräsidenten unsere Empfehlung schreiben. Wie sie das so sehen. Ob die dafür sind oder ob die eine andere Meinung haben. Das haben wir auch gemacht. Das war gut und das ist auch in der Zeitung drinne. Dann wollten wir das noch mal an die Bundestagsparteien sagen. Und die Meinung wissen. Nur die FDP hat noch nicht geantwortet.“
Marieluise Beck: „Und die GRÜNEN mit Ach und Krach. Jetzt hab ich mal eine Frage: Fanden Sie die Wahlzettel kompliziert? Dass man 5 Stimmen mischen konnte?“
Murat Alpaslan: „Für mich nicht, aber für andere war das schwer. Manche haben sogar gesagt: schon wieder eine neue Regel. Wir waren in Oberneuland Wahlhelfer. Da wussten manche nicht, wie man wählt. Da haben wir geholfen.“
Marieluise Beck: „Großartig! Weiter geht’s.“
Yusuf Kale: „Die nächste Frage würde ich Ihnen gerne stellen, und zwar: wie kann man bei einer Partei beitreten?“
Marieluise Beck: „Eigentlich sehr einfach mit einem einfachen Formular. In der Regel machen die Parteien die Aufnahme in einem Kreisverband. Man wird also nicht in Berlin, sondern in dem Stadtteil in die Partei aufgenommen, in dem man wohnt. Dort können Sie anrufen. Sie erhalten dann ein Formular. Dort schreiben Sie Ihren Namen auf und wie viel Einkommen Sie haben. Weil man als Parteimitglied ja auch einen Beitrag bezahlt. Der Beitrag ist ein kleiner Teil des Gehalts.“
Murat Alpaslan: „Und wie ist das bei Schülern?“
Marieluise Beck: „Da bin ich jetzt ehrlich gesagt überfragt, ob Schüler gar keinen Beitrag bezahlen oder den niedrigsten.
Einfach anrufen!“
Unsere Frage: „Warum interessieren Sie sich für Politik? Wann haben Sie sich entschieden, Politikerin zu werden?“
Marieluise Beck: „Ich interessiere mich für Politik, weil ich ein ganz großes Interesse an Menschen habe. Weil ich spannend finde, wie die Menschen zusammen leben, wie unterschiedlich sie sind. Politik ist ein Beruf, wo man ganz viel mit Menschen zu tun hat.
Ich habe mich nie wirklich bewusst entschieden, Politikerin zu werden. Das ist Schritt für Schritt passiert. Ich bin zunächst einer Partei beigetreten, den GRÜNEN, vor 32 Jahren. Ich war gleichzeitig Lehrerin. Dann haben die GRÜNEN jemand gesucht für den Vorstand. Dafür bin ich vorgeschlagen worden und habe das neben meinem Beruf gemacht.
Und dann kamen die Bundestagswahlen 1983. Ich bin als Kandidatin für die GRÜNEN angetreten. Wir haben diese 5% bekommen und ich war auf einmal Bundestags-Abgeordnete.
Ohne dass ich geglaubt hätte, dass jemals ein solches Leben auf mich zukommen würde. Und jetzt ist es 29 Jahre später und ich bin seit 29 Jahren Berufspolitikerin. Geplant hab ich das nie!“
Unsere Frage: „Wie machen Sie das mit Bremen und Berlin? Weil Sie ja in Bremen leben und in Berlin arbeiten.“
Marieluise Beck: „Ich habe hier in Bremen nach wie vor das Familienhaus. Das ist jetzt zum Teil leer, da wohnen Studenten drin in den ehemaligen Kinderzimmern. In Berlin habe ich eine Wohnung, in der ich in den Sitzungswochen und auch zwischendrin lebe, und ich fahre mit dem Zug hin und her. Und zwar viel!“
Murat Alpaslan: „Das ist ja anstrengend!“
Marieluise Beck: „Ja, das ist anstrengend. Es gibt Tage, da fahre ich morgens von Berlin nach Bremen und abends zurück. Dann bin ich 8 Stunden im Zug und habe hier noch mal 8 Stunden gehabt.“
Unsere Frage: „Seit wann sind Sie Abgeordnete? Was genau machen Sie? Was genau machen Sie für Bremen?“
Marieluise Beck: „Ich bin Abgeordnete in Berlin seit 1983, da war die Hauptstadt aber noch nicht Berlin, sondern Bonn. Denn Deutschland war noch geteilt.
Seit 2005 bin ich Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Das sind die Politiker, die sich um die Beziehungen von Deutschland zu anderen Ländern kümmern. Ich konzentriere mich auf Russland, die Ukraine und den West-Balkan. Dafür bin ich in einem zweiten Parlament, eben diesem Europa-Rat. Da treffen Abgeordnete aus 48 Ländern in Straßburg ( das ist in Frankreich, die Redaktion ) zusammen. Damit Deutschland gute Beziehungen hat zu den anderen Ländern und damit in anderen Ländern die Menschen, die für Menschenrechte und für Demokratie eintreten, Unterstützung bekommen.
Das ist nicht nur für Bremen, sondern das ist für ganz Deutschland. Aber es gibt immer Ereignisse in Bremen, die auch mit anderen Orten in dieser Welt zu tun haben. Zum Beispiel hat Bremen gesagt: wir wollen unsere Häfen nicht mehr dafür hergeben, dass dort Atommüll verschifft wird. Ich forsche danach, wo würde der Atommüll denn hin gehen?  Ich habe herausgefunden: Atommüll würde durch die Bremischen Häfen nach Sibirien in Russland geschickt werden. In eine Wiederaufbereitungsanlage, wo es 1957 einen ganz schweren Atom-Unfall gegeben hat, wo die Menschen noch sehr unter der radioaktiven Verseuchung leiden. Viele haben Krebserkrankungen, es gibt Fehlgeburten, die Menschen haben ein ganz ganz schweres Leben. Für die ist es total wichtig, dass es hier in Bremen eine Initiative gibt, die sie unterstützt und sogar dafür sorgt, dass nicht noch mehr Müll in ihre Region gebracht wird und dort wieder aufbereitet wird. Denn die Wiederaufbereitungs-Fabrik arbeitet nach wie vor und schüttet nach wie vor ständig verseuchtes Wasser in den Fluss, der dort fließt. Ich finde, das ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass das, was wir hier in Bremen machen und entscheiden, die Menschen woanders in der Welt auch betrifft. Und dass es gut ist, über Grenzen hinweg ein Netzwerk zu haben, wo man sich gegenseitig unterstützt.“
Unsere Frage: „Wer in Bremen hat mehr Einfluss? Sie oder Bürgermeister Jens Böhrnsen?“
Marieluise Beck: „Das ist ganz einfach zu beantworten: das ist Bürgermeister Jens Böhrnsen.“
Unsere Frage: „Wie viele Stunden arbeiten Sie an einem Tag und: macht Ihre Arbeit Spaß?“
Marieluise Beck: „Ich weiß nicht, wie viel ich an einem Tag arbeite. Ich gehe morgens in der Regel um halb 9 Uhr aus dem Haus und komme abends um 10 oder um 11 wieder. In diesen Zeiten ist aber auch drin, dass ich mal mit meinem Büro Essen gehe, wo wir 2 Stunden zusammen sitzen und reden. Wir reden zwar meist über´s Büro, aber es ist auch Pause.
Ich bin zu Hause ganz viel im Internet, lese Artikel nach. Das ist Beschäftigung mit Politik. So dass ich das kaum messen kann, aber schon sage, dass es ziemlich rund um die Uhr geht. Ich weiß auch warum: weil meine Kinder erwachsen sind. Früher brauchte ich richtige freie Zeiten mit den Kindern: an der Weser entlang fahren, auf den Spielplatz gehen, später dann Karten spielen oder vorlesen. Die Kinder sind erwachsen und das führt dazu, dass ich jetzt eigentlich rund um die Uhr und grenzenlos mit Politik beschäftigt bin.
Ob mir meine Arbeit Spaß macht? Ja, sie macht mir viel Spaß! Deswegen kann ich auch gar nicht so richtig trennen, was Arbeit und was Freizeit ist.“
Unsere Frage: „Also haben Sie Kinder?“
Marieluise Beck: „Ich habe 2 Töchter. Meine große Tochter ist 27, sie lebt jetzt in Schottland. Und meine kleine Tochter lebt in Israel. Kennen Sie Skypen? Ich liebe Skypen! Wir skypen wie die Weltmeister.“
Unsere Frage: „Haben Sie sich tatsächlich für Migranten eingesetzt? Sie waren ja mal Ausländer-Beauftragte in der Regierung Schröder.“
Marieluise Beck: „Ja, das kann ich sagen. Und zwar haben wir damals nicht nur dafür geworben, dass Migranten ihren gleichberechtigten Platz bekommen hier in Deutschland. Dass sie anerkannt werden, nicht als die anderen, sondern als die, die anderswo her kommen, aber die gleichen Rechte haben. Wir haben auch ein Gesetz gemacht, das für mich sehr wichtig ist. Ich glaube, für die Einwanderer hier auch. Nämlich ein neues Staatsangehörigkeits-Recht. Bisher war es so: wenn die Eltern hier eingewandert waren, oder sogar die Großeltern, und sie waren türkischer Herkunft, oder iranischer oder tunesischer Herkunft, die Kinder blieben Iraner, Tunesier, Türken, obwohl sie schon in Deutschland geboren waren und diese anderen Länder nie gesehen hatten. Dieses Gesetz sagt: wer hier geboren ist, bekommt auch den deutschen Pass.“
Murat Alpaslan: „Also, ich bin ja hier geboren, ich hatte den türkischen Pass, aber ich habe jetzt die deutsche Staatsangehörigkeit.“
Marieluise Beck: „Sie sind eingebürgert worden. Mit dem neuen Recht hätten Sie nicht warten müssen, bis Sie 12 sind und Ihre Eltern den Antrag stellen, sondern Sie wären deutscher Staatsbürger gewesen und hätten die Staatsbürgerschaft der Eltern gehabt. Allerdings hätten Sie sich dann mit 23 entscheiden müssen für Deutschland oder die Türkei. Dieser Vorschlag kam nicht von uns, aber wir mussten einen Kompromiss machen, weil wir alleine nicht genug Stimmen hatten, um dieses neue Gesetz zu machen. Dafür brauchten wir die Stimmen von der FDP. Die FDP hat gesagt: wir stimmen nur zu, wenn man sich mit 23 dann entscheiden muss.“
Murat Alpaslan: „Aber wieso? Wieso muss man?“
Marieluise Beck: „Die haben gesagt, man muss den Menschen abverlangen, klar zu entscheiden, zu welchem Land sie sich am meisten zugehörig fühlen. Ich finde das Unfug. Ich glaube, man kann sich sehr wohl 2 Ländern zugehörig fühlen. Dem der Eltern, zum Beispiel, weil da Traditionen sind oder auch die Religion, und trotzdem zu dem Land, in dem man geboren ist und in dem man lebt.
Aber solche Fragen sind immer ein großes Tauziehen, in jeder Gesellschaft. Nicht nur in Deutschland, sondern in anderen Ländern auch. Das ist immer sehr umstritten.“
Unsere Frage: „Jetzt so ähnlich: warum geht es nicht ohne Visum, nach Deutschland zu kommen?“
Marieluise Beck: „Deutschland ist ein sehr attraktives Land. Der Wohlstand in Deutschland ist groß im Vergleich zu vielen anderen Ländern. Vor allem in Ländern des Südens. Und es gibt die Befürchtung, wenn eine Einreise ohne Visum möglich wäre, dann sehr viele Einreisende hier bleiben würden. Und irgendwo im Arbeitsmarkt verschwinden würden. Bei der Antragstellung für so ein Visum versuchen die Botschaften, eine Sicherheit zu bekommen, dass die, die den Antrag gestellt haben, nach spätestens 3 Monaten auch wirklich wieder zurück reisen.“
Yusuf Kale: „Natürlich geht die Sicherheit vor, aber wenn was Dringendes vorgefallen ist, könnten die das ein bisschen einfacher machen, dass es ein bisschen schneller geht?“
Marieluise Beck: „Sie haben vollkommen recht. Es gibt zwischen der Abschaffung der Visa und der Art, wie es jetzt gehandhabt wird, Zwischenschritte und die heißen Visum-Liberalisierung. Freiheitlicher machen. Und dazu gehören genau solche Vorschläge: Einreichen der Unterlagen per Internet. Dass man nicht persönlich vorsprechen muss. Es gibt Länder, wo man 2 Tage unterwegs ist, ehe man zu einer Botschaft kommt. Dass das Visum dann auch wieder auf dem Weg über das Internet erteilt wird.
Ich arbeite an diesem Feld, weil ich ja Außenpolitik mache. Ich habe gerade zusammen mit unserem Juristen einen Antrag zur Visum-Liberalisierung fertig gemacht. Der wird nächste Woche eingereicht in den Deutschen Bundestag. Da sind alle diese Vorschläge aufgenommen. Das schwierige ist, dass Deutschland das gar nicht mehr alleine machen kann, sondern zusammen mit den europäischen Ländern machen muss, die sich zusammengeschlossen haben. Nicht zum Euro, sondern zu etwas, das heißt „Schengen“. Schengen ist eine holländische Stadt. Dort sind diese Vereinbarungen getroffen worden, dass die ( 10 oder 12 ) Länder in Europa untereinander keine Grenzkontrollen mehr machen. Nach Holland oder nach Polen kann ich ohne Grenzkontrollen fahren.“
Murat Alpaslan: „In die Schweiz nicht!“
Marieluise Beck: „In die Schweiz  nicht, genau. Und dann müssen sich diese Länder aber untereinander absprechen, wenn sie etwas ändern wollen. Wobei Deutschland aber besonders kleinkariert ist bei der Vergabe von Visa. Wenn zum Beispiel die Russen zur finnischen Botschaft gehen, geht es ganz schnell und einfach. Obwohl Finnland auch ein Schengen-Staat ist. Deutschland ist besonders ängstlich.“
Mesut Alpaslan: „Mehr Sicherheit.“
Marieluise Beck: „Sie haben vollkommen recht. Wir Außenpolitiker sagen: Ihr seid verrückt! Macht die Grenzen auf, dann kommen die jungen Menschen her. Die sehen, wie man in Deutschland lebt. Die nehmen Ideen mit aus Deutschland: wie Freiheit geht, wie Demokratie geht. Wie Toleranz geht. Da haben wir ja durchaus was zu zeigen in Deutschland.
Und dann kommen die Innenpolitiker und sagen: Um Himmels Willen! Dann kommen die ganzen Terroristen zu uns und die Schlepper-Banden mit den Prostituierten! Und wir sagen dann wieder: die Schlepper-Banden gehen sowieso nicht zur Visum-Stelle. Die besorgen sich die Visa, indem sie irgend jemanden bestechen oder wie auch immer. Es ist genau der Streit zwischen den Innenpolitikern und den Außenpolitikern.“
Unsere Frage: „Dankeschön! Herr Özdemir hat ein Thema angesprochen mit doppelter Staatsbürgerschaft. Wann kann ein Mensch ohne Probleme die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen?“
Marieluise Beck: „Wenn er Vater und Mutter hat, die beide einer unterschiedlichen Nationalität angehören. Also wenn Sie Kinder wären einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters, hätten Sie ein ganzes Leben lang 2 Staatsbürgerschaften. Weil beide Staaten sagen: den Kindern geben wir unsere Staatsbürgerschaft. Das kann Ihnen niemand weg nehmen. Aber wenn Ihnen die Staatsbürgerschaft verliehen worden ist, wir Ihnen abverlangt, die Staatsbürgerschaft aus dem Land, aus dem Sie kommen, abzugeben. Den Deutschen übrigens auch.
Als wir das Staatsbürgerschafts-Recht gemacht haben, wollten die Türken gerne die doppelte Staatsbürgerschaft haben. Die haben es uns ganz übel genommen, dass wir das nicht durchgesetzt haben. Wir konnten das nicht durchsetzen, weil die Bundesländer das nicht mitgemacht haben.
Dann haben die Türken gesagt: wir werden schlechter behandelt als die anderen. Wir haben immer versucht, über den „Hürriyet“ ...“
Murat Alpaslan: „Die türkische Zeitung“
Marieluise Beck: „ ... den türkischen Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, dass wenn ein Deutscher nach Argentinien ausreist, und dort die argentinische Staatsbürgerschaft annimmt, verliert er die deutsche. Also, es ist kein Anti-Türken-Gesetz, wie gerne in der türkischen Community gesagt wird.“
Mesut Alpaslan: „Kann man, wenn man aus Argentinien wieder in Deutschland ist, wieder die deutsche bekommen?“
Marieluise Beck: „Das geht, aber das ist nicht so leicht. Ich habe in meiner Zeit als Ausländerbeauftragte dramatische Fälle erlebt, wo Leute nicht mehr zurück wandern konnten, weil sie ihre Staatsbürgerschaft aufgegeben hatten. Die dann zum Beispiel im Irak fest saßen. Oft wirklich eine Katastrophe.“
Yusuf Kale: „Muss man denn seine Staatsbürgerschaft aufgeben, wenn man eine andere annehmen will?“
Marieluise Beck: „In Deutschland ja. Nicht in allen Ländern. Das kann jedes Land für sich regeln. In Deutschland ist es so geregelt: wer die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt, muss sich vorher entlassen lassen aus der alten Staatsbürgerschaft. Es gibt wenige Ausnahmen.“
Yusuf Kale: „Man muss gut begründen. Ich habe die doppelte Staatsbürgerschaft beantragt. Es gab ein paar Komplikationen  zwischen dem türkischen Konsulat in Hannover, dass sie gesagt haben: der ist noch nicht volljährig, daher können wir den jungen Mann noch nicht entlassen. Jetzt haben wir einen Anruf bekommen, dass man jetzt doch mit 17 die Staatsbürgerschaft wechseln kann. Dass es eine Regeländerung gibt.“  
Marieluise Beck: „Bei jungen Männern ist es zusätzlich schwierig, weil dann die Frage auftaucht: wo leisten sie ihren Wehrdienst ab? Niemand möchte gern zwei mal zum Militär eingezogen werden. Sie sehen, es ist nicht so einfach mit der doppelten Staatsbürgerschaft. Nur die, die sie über ihre Eltern erben, haben zwei.“
Unsere Frage: „Was war das Komplizierteste, das Schwierigste, das sie als Ausländerbeauftragte gemacht haben?“
Marieluise Beck: „Ich glaub´, das Schwierigste war die Kopftuch-Debatte. Die Debatte, ob eine deutsche Lehrerin Beamtin werden darf, wenn sie auch in der Schule darauf besteht, dass sie das Kopftuch tragen darf. Diese Debatte über das Kopftuch ist so unglaublich emotional in Deutschland, da habe ich so viel Prügel bezogen, das geht auf keine Kuh-Haut. Eine hasserfüllte Debatte ist das gewesen. Viel Ablehnung und viel Hass ist mir entgegen geschlagen.“
Yusuf Kale: „Ich habe in den türkischen Medien gehört, dass sie an der Uni die, die ein Kopftuch tragen, nicht zu den Prüfungen durch lassen.“
Marieluise Beck: „In der Türkei ist es ja so gewesen, dass es in den Universitäten ein Kopftuch-Verbot gab, aus der Zeit, bevor die religiös orientierte jetzige Erdogan-Partei, die AKP, an die Macht kam.
In Deutschland hatte das Bundesverfassungs-Gericht ein Urteil gesprochen: Der Staat kann ein religiöses Zeichen wie das Kopftuch verbieten – in der Schule zum Beispiel für Beamte – aber dann muss er alle Religionen gleich behandeln. Es sind also auch andere religiöse Zeichen nicht erlaubt.
Ich war dafür, religiöse Zeichen zu tolerieren. Dann ist mir immer gesagt worden: selbst in der Türkei ist es nicht erlaubt und Sie wollen das erlauben.
Wobei, es ist auch wirklich sehr sehr schwierig. Zum Beispiel in Berlin in Stadtvierteln, in denen es sehr viele Einwanderer gibt, haben Lehrerinnen gesagt: der religiöse Druck auf die Mädchen wird immer größer, dass sie ein Kopftuch tragen, weil es immer mehr konservative Gemeinschaften und Moscheen gibt. Und wenn die Lehrerin dann ein Kopftuch trägt, ist das schon fast das Zeichen: wer anständig ist, trägt Kopftuch. Und das erhöht den Druck auf diese Mädchen.
Also, es ist wirklich eine ganz ganz schwierige Frage. Das war die schwierigste Etappe, die ich gehabt habe als Ausländerbeauftragte.“
Yusuf Kales Frage: „Können Sie etwas beitragen, eine Einigung zu finden zwischen der Türkei und den Kurden und den anderen Ländern, die betroffen sind? Wie kann man das an der Wurzel anpacken? Zwischen der Türkei und den Kurden gibt es ja auch viel Zoff, weil die ein Stück Land haben wollen. Das tut mir in der Seele weh, wenn beide sich gegenseitig weh tun. Und das mit Waffen austragen.“
Marieluise Beck: „Ich glaube, dass man sagen muss, dass die Einwirkungs-Möglichkeiten ziemlich begrenzt sind. Ich bin schon froh, wenn es uns gelingt, wenn dieser Konflikt zwischen den Türken und Kurden sich nicht hier bei uns in Deutschland abspielt. Wir haben ja beide Gruppen, beide sind eingewandert. Deshalb bin ich schon sehr froh, dass es eine gewisse Toleranz gibt zwischen den Türken und den Kurden.
Der Konflikt in der Türkei ist schon sehr alt. Und hat dann unendlich viele Schichten, die schon übereinander liegen. Wie wenn man aus alten Zeiten etwas ausgraben möchte: da kommt man immer wieder auf eine neue Schicht.
Komisch ist, dass es das Gesetz von Nationen ist, dass wenn ihnen droht, dass ein Teil ihres Volkes einen eigenen Staat machen möchte, dass diese Nationen immer abdrehen. Die Kurden sind ja ein Volk, das über 3 oder sogar 4 Länder verteilt sind. Das würde bedeuten: aus 4 Ländern würde ein Stück des Machtbereiches herausgebrochen. Auch wenn die 4 Länder sich überhaupt nicht einig sind, in einem sind sie sich einig.  Dass das nicht passieren soll.
Dazu kommt, dass sich in den letzten 40 Jahren mit der PKK, dieser kommunistischen Partei, die ja den gewalttätigen Widerstand ausgerufen haben, eine Partei herausgebildet hat, die mit dafür verantwortlich ist, dass es zwischen dem türkischen Staat mit dem Militär und dieser Guerilla immer härtere Auseinandersetzungen gegeben hat. Ich glaube, dass es nur eine Chance gibt, wenn die Türken bereit sind, den Kurden Autonomie zu geben. Ein hohes Maß an Selbständigkeit - auf eigene Sprache, auf eigenen Schulunterricht, auf Bürgermeister, die Kurden sind. Aber zugleich sich diese kommunistische Organisation zurück zieht und diesen Kampf auf Staatsgründung aufgibt. Nur in diese Richtung kann es gehen : die gewalttätigen Kriegsformen aufzugeben.“
Yusuf Kale: „Das ist für die Türkei sehr schwierig.“
Marieluise Beck: „Das fällt der Türkei schwer, aber das fällt auch der PKK schwer. Ich habe in Bremen vor ein paar Wochen vor dem Bahnhof ein Zelt „Freiheit für Öcalan“ gesehen. Und habe gedacht: das darf nicht wahr sein. Öcalan hat wirklich Blut an den Händen.
Da kann man auch mal wieder sehen, wie tolerant unser Staat ist. Das Zelt ist nicht abgeräumt worden.“
Yusuf Kale: „Durch welches Land wird dieser Krieg, diese Auseinandersetzung unterstützt? Woher kriegen sie den Befehl?“
Marieluise Beck: „Ich glaube nicht, dass die PKK von irgend jemandem einen Befehl kriegt. Aber wenn man fragt, woher die Waffen kommen: Waffen gibt es auf dieser Welt überall. Die kann man scheinbar einkaufen wie Butter und Brot. Sprengstoff, Kalaschnikows ...
Eure Fragen sind sehr politisch und sehr komplex. Da sind wir wieder bei der Leichten Sprache. Und das in 30 Sekunden!“
Unsere Frage: „Noch mal so ein heikles Thema: Warum gucken die Politiker in Syrien tatenlos zu? Das ist jetzt ein bisschen heftig ausgedrückt!“
Marieluise Beck: „Das ist ein bisschen heftig. Tatenlos stimmt deswegen nicht: Man konnte ja jetzt sehen, dass die UNO, die Vereinten Nationen, ihren respektvollsten Mann geschickt haben, den alten Generalsekretär Kofi Annan. Er hat versucht, einen Friedensplan zu verhandeln zwischen dem Königshaus Assad und den Oppositionellen, der aber nie eingehalten worden ist. Ich glaube, dass Assad mit seinem Militär gar nicht bereit ist zu einem Kompromiss. Dass er Kofi Annan ins Gesicht gelogen hat. Auf der anderen Seite ist völlig unklar, wer alles in dieser Opposition steckt. Es sind nicht mehr die friedlich demonstrierenden Bürger, die für Freiheit gekämpft haben. Das Land zerfällt, auch in religiöse Gruppen. Die internationale Politik ist extrem ratlos.
Aber von außen mit Militär einzugreifen, ist völlig undenkbar.“
Unsere Frage: „Wir wollen für alle Menschen da sein, dass man niemanden ausgrenzt. Der Machtkampf zwischen verschiedenen Ländern soll aufhören. Es soll kein Blutvergießen geben. Was kann man da machen?“
Marieluise Beck: „Tja. Ich sage immer: den Himmel auf Erden kann nur der liebe Herrgott machen und nicht wir Menschen. Man kann nicht mehr tun, als mit diesen kleinen begrenzten Kräften, die der einzelne hat - selbst wenn man sich zusammen tut, in eine Partei geht - zu versuchen, möglichst viel Ausgleich und anständigen Umgang zwischen den Menschen zu schaffen. Der Mensch ist nicht von vornherein gut. Der Mensch ist offensichtlich ein aggressives Wesen, der sich auch verrennt in extremes Denken. Das kann Religion sein. Menschen, die sich aus religiösen Gründen gegenseitig bekämpfen. Manchmal sogar innerhalb einer Religionsgruppe. Im Irak sind es Sunniten uns Schiiten, die sich gegenseitig bekämpfen.
Ich komme zu dem Schluss, dass die Aggressions-Bereitschaft hoch ist im menschlichen Wesen. Und es unglaublich viel Erziehung, Aufklärung, Bewusstsein braucht, um diese Bereitschaft in solche Bahnen zu lenken, dass es nicht explodieren kann.“
Unsere Frage: „Hatten Sie als Ausländerbeauftragte mit Zwangsheirat zu tun? Oder jetzt? Oder wer setzt sich jetzt mit heiklen Themen wie Zwangsheirat auseinander und setzt sich für die Betroffenen ein?“
Marieluise Beck: „Das Thema Zwangsheirat ist aufgekommen, als ich Ausländerbeauftragte war. Das waren türkische Frauen, die das auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ich bin in dieser Zeit an die Orte gegangen, an die junge Frauen sich hin flüchten konnten, die von Zwangsheirat bedroht waren. Die von zu Hause weg gelaufen waren. Das sind versteckte Wohngemeinschaften in verschiedenen Städten in Deutschland. Wo die Adressen nicht bekannt werden dürfen, damit die Männer oder die Familien – die ja oft dahinter stecken – den Aufenthaltsort nicht wissen.
Ich würde sagen, dass deutsche Jugendämter, auch eine internationale Frauenbewegung, Anwältinnen bis hin zur UNO sich mit dem Thema Zwangsheirat beschäftigen. Ich habe gerade in der letzten Woche damit zu tun gehabt. Bei einer jungen Tschetschenin, die von ihren Eltern zwei mal entführt worden ist, weil sie mit einem jungen Deutschen zusammen lebt und gezwungen werden soll, einen Tschetschenen zu heiraten. Die wird gerade dauerhaft von 4 Polizisten begleitet, wenn sie nur das Haus verlässt.
Kaum zu glauben, aber dieses Problem ist mit der Einwanderung, mit anderen Religionen und anderen Zeiten, in denen diese Religionen leben, zu uns mit eingewandert.
Es sind nicht nur junge Frauen betroffen, sondern auch junge Männer. Bei denen geht es – vermute ich – häufig auch um Aufenthaltserlaubnisse. Sie sollen heiraten, damit eine Cousine aus dem Land eine Aufenthaltserlaubnis bekommt.“
Murat Alpaslans Frage: „Ich bin sehr froh, dass ich hier in Deutschland in die Schule gehen darf, aber in anderen Ländern ist das nicht immer so. Warum ist das so schwierig, in Ländern mehr Bildung umzusetzen?“
Marieluise Beck: „Bildung ist etwas, das Geld kostet. Nicht viele Länder sind so reich wie es Deutschland ist. Wenn man raus geht aus Westeuropa, merkt man erst, wie unglaublich wohlhabend Deutschland ist. Zum Glück geht ein guter Teil unserer Steuern in die Schulen und in die Bildung für jeden und jede.“
Murat Alpaslan: „Dazu möchte ich was sagen. Wir haben auch eine Schülerfirma in der Klasse. Wir haben auch ein Patenkind in Mali, das wir seit 8 Jahren unterstützen. Sie geht nicht zur Schule. Da gibt´s keine Schule.“
Marieluise Beck: „Also, Bildung ist ganz stark eine Sache von Geld. Aber auch von der Frage, wie wichtig sie in den Ländern genommen wird. Häufig wird in den ärmeren Ländern gesagt: Frauen brauchen keine Bildung. Wenn Bildung, dann nur für die jungen Männer.
Meine Tochter Charlotte ist gerade in Kenia gewesen in einer ländlichen Schule. Dort müssen die jungen Frauen zu Hause helfen, die jungen Männer werden ausgebildet. Bildung für alle hängt ganz stark mit dem Wohlstand eines Landes zusammen.
Mir tut das immer ein bisschen weh, wenn Deutschland so schlecht gemacht wird. In der Politik kommt ja oft an, dass das nicht gut genug ist und das nicht reicht. Wenn man im Ausland gewesen ist und etwas anderes gesehen hat, kommt man mit dem Gefühl zurück: bei uns geht es ziemlich gut zu. “
Yvonne Blendermanns Frage: „Ich finde das nicht toll, dass behinderte Menschen doof angeguckt werden. Was kann man dagegen machen?“
Marieluise Beck: „Dazu braucht man – glaube ich – das Fernsehen und die Zeitungen und das Gemeinsam-zur-Schule-Gehen. Damit man als Mensch, der keine Einschränkungen hat, etwas lernt über die Menschen, die Einschränkungen haben, die ja ganz unterschiedlich sind. Wenn ich im Rollstuhl sitze, kann ich trotzdem hochbegabt sein.
Ich glaube, es geht vor allem über Wissen. Wissen ist der Schlüssel dafür. Wissen und Zusammenleben. Ich glaube, dass Kinder, die in Inklusionsklassen aufgewachsen sind, genau wissen, wie man mit einem Mitschüler zum Beispiel im Rollstuhl umzugehen hat. Genau wie es für sie vollkommen normal ist, ob ein Kind schwarz oder weiß ist. Ich glaube, dass es bei nichtbehinderten Menschen oft auch eine Scheu gibt, sich einfach normal zu verhalten.“
Unsere Frage: „Was bedeutet für Sie Inklusion?“
Marieluise Beck: „So viel zusammen machen, wie irgend möglich ist. Im Beruf, in der Ausbildung, in der Schule.“
Jan Frerichs Frage: „Kann man den Führerschein billiger machen?“
Marieluise Beck: „Ja, das könnte man. Wenn der Führerschein nicht von privaten Firmen verkauft werden würde, sondern wenn er Teil des Schul-Angebots wäre. Ich habe meinen Führerschein in einer amerikanischen Schule gemacht. In den Sommerferien bei meinem Geschichts-Lehrer. Das hat gar nichts gekostet. In Deutschland ist der Führerschein wahnsinnig teuer. In Amerika war immer klar: Autofahren gehört zum Leben. Und was zum Leben gehört, muss die Schule vermitteln.“
Yusuf Kale: „Ich hätte da noch eine kleine Zwischenfrage. Ist es möglich, dass man das für beeinträchtigte Menschen ein bisschen billiger machen könnte?“
Marieluise Beck: „Das kann man nicht verlangen von den Fahrschulen, die ja von den Fahrschülern leben müssen. Dann müsste der Staat zu diesem Führerschein etwas dazu geben. Ich weiß nicht, ob auf den Sozialämtern – wenn man einzelne Sachen verhandelt – der Erwerb eines Führerscheins bei bestimmten Beeinträchtigungen mit bewilligt würde? Als Hilfe zum Leben. Da bin ich überfragt.
Ich bestelle mal eben ein Taxi zwischendrin. Dann machen wir gleich einen ganz schnellen Aufbruch. “
Unsere Frage: „Warum sind die grünen Plaketten an den Autos? Jan findet die nicht gut.“
Marieluise Beck: „Grüne Plaketten sind gut für die Umwelt, damit wir nicht so viel Staub in unsere Lungen kriegen! Und die letzte Frage?“
Unsere Frage: „Was halten Sie davon, wenn alle öffentlichen Verkehrsmittel umsonst sind?“
Marieluise Beck: „Das wäre großartig! Aber ich weiß leider nicht, wer das bezahlen soll. In der Bremer Kasse ist dafür leider einfach nicht genug Geld. Fragen Sie die Finanz-Senatorin Karoline Linnert.
Wir machen jetzt noch das Foto und dann lasse ich Sie einfach ganz alleine den Abgang machen.“
Mesut Alpaslan: „Wenn wir das alles geschrieben haben, schicken wir es an Sie, damit Sie bestätigen können, ob alles o.k. ist.“
Marieluise Beck: „Wunderbar.“

Und dann ist sie schon unterwegs und packt schnell ihren Koffer und das Taxi steht vor der Tür und wir können kaum noch richtig Dankeschön sagen.