Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Fritz Kuhn und Marieluise Beck in Russland

Unmittelbar nach der Münchner Sicherheitskonferenz, auf der Wladimir Putin seine viel kommentierte und kritisierte Rede gehalten hatte, reisten Fritz Kuhn und die zuständige Fachpolitikerin Marieluise Beck nach Moskau. Natürlich spielte die Debatte über Russlands Rolle in der Welt und die Beziehungen zur Europäischen Union nach dieser Rede eine besondere Rolle. Aber es ging bei den Gesprächen mit Regierungsvertretern und Duma-Abgeordneten, mit Wissenschaftlern und Oppositionellen aus kleineren Parteien, mit Aktivistinnen aus der Zivilgesellschaft und Repräsentanten unabhängiger Menschenrechtsgruppen auch um andere Fragen:

Ist Russland auf dem Weg zur Demokratie oder in den autoritären Staat ? Wie kommt die Transformation von der sozialistischen zur Marktwirtschaft voran? Welche Rolle spielen die Energieressourcen für die russische Volkswirtschaft? Denkt man in Russland schon über die Endlichkeit fossiler Energieträger nach?

Gemeinsamer Tenor aller Gespräche über Putins Rede war: nichts von dem, was er gesagt hat, war neu. Neu war die kompakte und direkte Form, in der der russische Präsident seine Kritik an der Politik des Westens, vor allem der USA, öffentlich äußerte. Der Vorwurf des doppelten Standards bezieht sich auf jede westliche Kritik an Russland, von der Verweigerung zur Umsetzung der Energiecharta über die Ablehnung der OSZE-Wahlbeobachtungen und der Unabhängigkeit des Kosovo bis zum Misstrauen gegenüber der Demokratie in Russland.

Nahezu gleichlautend bis in die Formulierungen hinein verwahrten sich der stellvertretende Außenminister Wladimir Titow und der Vorsitzende des Auswärtigen Duma-Ausschusses Konstantin Kossatschow gegen westliche Kritik und wiederholten den Anspruch Putins auf gleichberechtigte Behandlung des wiedererstarkten Russland. Klar wurde die Unterstützung, die diese Position der Stärke in Russland genießt. Dem widersprach auch der Vorsitzende der oppositionellen Partei Jabloko, Grigorij Jawlinski, nicht. Er distanzierte sich von Putin jedoch inhaltlich: weder dessen Kritik an der westlichen Haltung zum Kosovo noch zur Kritik der OSZE an vielen Wahlen in den Staaten der GUS sei berechtigt. Von multilateraler Politik verstehe Putin nichts, sondern verhandle am liebsten bilateral. Nur bei entsprechendem russischem Interesse berufe er sich auf multilaterale Vereinbarungen. Eine ähnlich kritische Haltung zu Putin nahm auch die renommierte politische Analystin Lilija Schewtsowa ein. Sie verwies auch auf die innenpolitische Dimension dieser Rede: Putin wolle stark erscheinen und damit eine Marke für seinen Nachfolger setzen.

Russlandbesuch: Fritz Kuhn, Marieluise Beck

In einem Punkt allerdings stimmten die Regierung und die Opposition überein: in der Kritik an der einseitig militärischen und dialogunwilligen Politik der USA in vielen Konflikten und besonders an dem Plan, Raketenabwehrsysteme in Polen und Tschechien zu stationieren. Wir schlossen uns dieser Kritik ausdrücklich an, noch bevor sie auch von Außenminister Steinmeier öffentlich geäußert wurde.

Die Menschenrechtslage in Russland hat sich im letzten Jahr nach Auffassung der Vorsitzenden der Initiative "Bürgerbeteiligung", Swetlana Gannuschkina , deutlich verschlechtert. Sie verwies dazu auf die Anwendung des Steuerrechts und des Extremismusgesetzes, mit denen die zivilgesellschaftlichen Gruppen behindert würden. Selbst wenn es ihnen gelingt, die bürokratischen und juristischen Hürden zu überwinden, bleiben sie gezwungen, einen großen Teil ihrer Aktivitäten auf die Beschäftigung damit zu verwenden. Immerhin, so Ella Pamfilowa, Vorsitzende des Rates für die Entwicklung der Zivilgesellschaft beim Präsidenten , habe man "Verluste" infolge des neuen NGO-Gesetzes bisher verhindern können.

Swetlana Gannuschkina gehört wie zuvor Anna Politikowskaja zu den von nationalistischen Gruppen mit dem Tode bedrohten Aktivistinnen, die sich mit Tschetschenien beschäftigen und sich für Flüchtlinge in Russland einsetzen. Wie auch Lilija Schewtsowa weist sie auf die wachsende Gefahr des Nationalismus hin, der vom Staat gezielt instrumentalisiert wird. Die Zusammenarbeit mit "milden" Nationalisten diene der Einbindung möglichst großer Teile der Bevölkerung zur weiteren Stabilisierung des herrschenden politischen Systems. Dieses Ziel gilt auch für die Nachfolgeregelung der Präsidentschaft Putins, dessen Amtszeit 2008 ausläuft. Eine ähnliche Analyse haben auch Arsenij Roginskij, der Vorsitzende der Gesellschaft "Memorial" , und Jurij Dshibladse, Präsident des Zentrums für die Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten . "Wahlen gibt es nicht", sagt Grigorij Jawlinksi unverblümt, auch deren Ergebnisse würden vom Kreml geplant.

Entgegen den Erfahrungen von Umweltgruppen und politischen Beobachtern sei das Bewusstsein von der Endlichkeit fossiler Energieträger durchaus vorhanden, meint der Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Energie und Transport, Walerij Jasew, und des Unterausschusses für Erneuerbare Energien, Walentin Iwanow. Es wird auf eine Reihe von Projekten in verschiedenen Landesteilen verwiesen, aber auch zugegeben, dass die Regierung diese Entwicklung verzögert. Dies bestätigt der stellvertretende Außenminister Wladimir Titow eindrücklich durch seine Lesart, die westliche Forderung nach verstärkter Entwicklung Erneuerbarer Energien als Bedrohung für den russischen Rohstoffexport aufzufassen. Dass es in wenigen Jahren Liefer-Engpässe geben werde, belegt der Direktor des Instituts für Energiepolitik und frühere stellvertretende Energieminister Wladimir Milow unter Berufung auf Zahlen des Monopolisten Gasprom. Schon jetzt blieben Engpässe in Russland selbst nur wegen des milden Winters aus. Das bestätigt auch der Vizevorsitzende des staatlichen Strommonopolisten, Leonid Gozman. Fritz Kuhn konnte dazu auf die Erfahrungen mit Energieeinsparung und Energieeffizienz in Deutschland verweisen. Auch auf diesen Gebieten bleibt in Russland noch viel zu tun.

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