Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Rede zur EU-Perspektive des Westbalkan

Am 3. Dezember 2009 debattierte der Deutsche Bundestag über einen Antrag der SPD, der noch einmal die europäische Perspektive der Länder des westlichen Balkan unterstreicht. Lesen Sie hier den Debattenbeitrag von Marieluise Beck. Der Beginn der Rede von Marieluise Beck wurde von Gratulationen für den neuen FDP-Abgeordnete Oliver Luksic unterbrochen, der vor Marieluise Beck seine erste Plenarrede gehalten hatte und dafür die üblichen Glückwünsche der Kollegen erhielt:

die Rede als Video

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich würde mich in der Tat freuen, wenn dieser Antrag ein Aufschlag wäre für dieses Haus, in dieser Legislaturperiode mit etwas mehr Verve und Engagement – – Oh, da muss erst das Gratulieren zu Ende gehen; da ist noch ein Defilee im Gange.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Das nennt man normalerweise Wandelprozession. Ich stoppe so lange Ihre Redezeit.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wunderbar.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

So, Frau Beck, bitte.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Kollege, wenn Sie ab jetzt mit dabei sind, ordentlich Dampf zu machen, dass auch in diesem Haus über Südosteuropa mit mehr Ernsthaftigkeit gestritten wird, bin ich sehr froh darüber. Ich glaube, dass der Balkan drohte, in Vergessenheit zu geraten, weil es in letzter Zeit keine offene Gewalt gab, weil keine wirklich großen Schwierigkeiten sichtbar waren. Die ganze Region ist deswegen ein wenig in den Schatten geraten.

Wir haben nicht das Verständnis, dass die Europäische Union ohne Südosteuropa ein Torso wäre. Die Perspektive ist eher: Gut, wenn sie sich bemühen, dann wollen wir sie dabei unterstützen, beizutreten. Wir alle müssen die Perspektive umkehren: Es liegt in unserem Interesse, dass Südosteuropa zu einem Teil der Europäischen Union wird.

Daher sollten wir – das fehlt mir in Ihrem Antrag, liebe Kollegen von der SPD; da ist er mir ein bisschen zu glatt – schauen, was wir, die Europäische Union, selbst für Fehler gemacht haben. Der historische Grund für die Gründung der Europäischen Union ist die Überwindung des Nationalismus gewesen. Dennoch erleben wir, dass der Nationalismus noch heute und selbst in reifen EU-Ländern in einer Weise zum Vorschein kommt, wie man es rational kaum mehr verstehen kann. Ich denke da an den Namensstreit zwischen Griechenland und Mazedonien. Wie kann es sein, dass ein reifes EU-Land wie Griechenland, das durch die EU sehr wohl gute Perspektiven hat und, wie wir gelernt haben, die weitaus höchsten Nettoeinnahmen aus dem EU-Haushalt bezieht, ein kleines Nachbarland wie Mazedonien, bei dem es ja wohl keine Angst haben muss, dass es von ihm angegriffen werden könnte, dermaßen an der Gurgel hält, dass der Beitritt Mazedoniens zum Halt gebracht wird? Es ist unglaublich. Weshalb gibt es nicht genug Kraft innerhalb der Europäischen Union, diesem Mitglied Griechenland zu bedeuten, dass diese Art von nationalistischer Politik nicht zum Geist der Europäischen Union gehört?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dietmar Nietan [SPD])

Wir wissen, dass Mazedonien ein fragiles Land ist. Es hat mit inneren Spannungen zu kämpfen, und es war großartig, dass verhindert werden konnte, dass dort, anders als in anderen südosteuropäischen Ländern, ein heißer Krieg ausgebrochen ist. Auch ein Grenzstreit wie zwischen Slowenien und Kroatien sollte in EU-Ländern nationaler geregelt werden.

Wir müssen sehr deutlich machen: Die Aufnahme in die Europäische Union bedeutet auch die Aufgabe von Souveränität. Wer in die Europäische Union geht, der will nicht nur Zugang zu Ressourcen und zu Unterstützung haben, sondern der will sich auch diesem europäischen Projekt verpflichten, und das bedeutet Souveränitätsübertragung. All diese seminationalen Konflikte, die innerhalb der Länder des Westbalkan schmoren, müssten zur Seite geschoben werden, wenn wirklich die Überzeugung vorhanden ist, dass man zur EU als eine Wertegemeinschaft gehören will, die sich der Überwindung des Nationalismus verschrieben hat.

Das ist die Messlatte, die neben dem Acquis communautaire für die Länder gelten muss, die an die Tür der EU klopfen, und das muss auch die Messlatte für uns sein. Wir wollen den Nationalismus überwinden. Spätestens mit dem Zerfall Jugoslawiens ist es uns noch einmal vor Augen geführt worden, welch unglaubliches Gift dies ist und welches Leid durch den Nationalismus auch über die Menschen in einem modernen Europa gebracht werden kann.

Lassen Sie uns also darauf beharren: Es geht um die Überwindung des Nationalismus. Wir sollten uns mit aller Kraft darum bemühen, dass diese Gedanken in dieser Legislaturperiode von diesem Hause aus auch nach Südosteuropa getragen werden.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

---

Lesen Sie hier den Antrag der SPD : "Die EU-Perspektive der südosteuropäischen Staaten Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Montenegro und Serbien verstärken" (Drs-Nr. 17/107)

Kategorie: 
Thema: