Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

M. Beck zur Balkan-Debatte im Deutschen Bundestag:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es könnte in der Tat keinen größeren Widerspruch zwischen der zeitlichen Kürze der Debatte und der Komplexität der Verhältnisse auf dem Balkan geben.

Der Zerfall Jugoslawiens mit den Schrecken des Krieges dauert eigentlich immer noch an und wird die internationale Gemeinschaft sicherlich auf lange Zeit als Moderator, Begleiter und auf einige Zeit mit militärischer Präsenz zur Friedenssicherung brauchen. Bei aller Unvollkommenheit und Mühseligkeit des Prozesses muss man sagen: Es gibt keine Alternative zu diesem Engagement, das das vereinigte Europa sowohl aus ethischen Gründen als auch aus eigenen Interessen aufrechterhalten muss.

Zu Bosnien. Der Vertrag von Dayton war unvollkommen und bleibt eine Hypothek für die junge Republik Bosnien, die, nach wie vor faktisch zweigeteilt, damit schlechte Rahmenbedingungen sowohl für die ökonomische Entwicklung als auch für die politische Stabilisierung hat. Das Land hat 180 Minister, wie wir inzwischen wissen; das ist aberwitzig.

Der Verfassungsentwurf ist aus unterschiedlichen Motiven heraus abgelehnt worden, und zwar aus gegensätzlichen: von einigen politischen Kräften, weil sie fürchten, dass mit diesem Verfassungsentwurf die Zweiteilung fortgeschrieben würde, von anderen, weil sie ein geeintes Bosnien nicht wollen. Das ist das Dilemma bei der Ablehnung des Verfassungsentwurfes.

Nun kommt die nächste Etappe, die zeigt, wie gefährlich die Situation in Bosnien noch ist. Der Ministerpräsident der Republik Srpska, Dodik, ein Hoffnungsträger für einige Zeit, hat nun vorgeschlagen, dass es für die Republik Srpska ein Referendum geben müsse, ähnlich wie für Montenegro. Das ist aberwitzig; denn wir alle wissen, dass die serbische Mehrheit in der Republik Srpska nur durch Krieg, Vertreibung und Mord hergestellt worden ist. Das kann keine Grundlage für ein Referendum sein. Das ist noch einmal die Stunde für die „Bonn Powers“, die unmissverständlich deutlich machen müssen, dass die Entitäten kein Recht haben, sich aus dem bosnischen Gesamtstaat herauszulösen, sondern nur die UN Änderungen vornehmen könnte.

Über Montenegro ist hier gesprochen worden. Ich hoffe, dass es einen möglichst konsensualen Weg der Trennung und Entflechtung der beiden Länder gibt.

Am schwierigsten ist derzeit sicherlich die Situation bei den Statusverhandlungen im Kosovo. Ahtisaari steht fast vor einer Quadratur des Kreises. Ich glaube, dass es klug ist, zunächst einmal die Eckpunkte zu definieren und zu sagen, was nicht akzeptabel ist. Das sind die drei Neins, die wir alle kennen.

Man hat den Eindruck, dass weite Teile der serbischen Bevölkerung und auch weite Teile der politischen Elite in Serbien immer noch nicht die volle Tragweite ihres Handelns begriffen haben, nämlich dass der Krieg und die Aggression, die von serbischem Boden ausgegangen sind, Folgen für das eigene Land haben. Das müssen wir den Serben immer wieder sagen.

Dennoch kann durch eine Strategie, den Status vor Stabilität zu stellen, der Balkan wieder zu einem Pulverfass werden. Wir müssen daher den Prozess sehr deutlich im Auge behalten, der neben der Regelung der Statusfrage vor allen Dingen die Forderung an die Kosovo-Albaner enthält, eine Politik zu machen, mit der die Minderheiten tatsächlich geschützt werden, und ein Strafrechtssystem aufzubauen, das dem eines Rechtsstaates gleicht.

In dem neuen Bericht von Human Rights Watch über das Rechtswesen im Kosovo wird festgestellt, dass auch nach sieben Jahren viele Unzulänglichkeiten gerade im Strafrechtssystem zu finden sind und dass es eine strafrechtliche Verfolgung der Übergriffe insbesondere des Jahres 2004, die im großen Maßstab stattgefunden haben, kaum gegeben hat.

Es gilt also jetzt, diesen Prozess in kluger Weise fortzuführen. Ob er in diesem Jahr beendet werden kann, können wir nicht wissen. Aber es ist gut, zeitlich Druck auszuüben. Es ist auch klar, dass während dieser schwierigen Phase die militärische Präsenz notwendig bleiben wird. Wir werden innerhalb des nächsten Tagesordnungspunktes im Einzelnen darüber sprechen.

Trotz aller Schwierigkeiten muss man sagen: Zu Beginn des Krieges vor mehr als zehn Jahren gab es von ernst zu nehmenden Politikern die These, man müsse den Konflikt auf dem Balkan ausbluten lassen. Im Vergleich zu einer solch grausamen Perspektive ist der Weg, den die internationale Gemeinschaft eingeschlagen hat – bei aller Unvollkommenheit –, doch der bessere gewesen und er bleibt der einzig vertretbare.

Schönen Dank.

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