Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

M. Beck in der Debatte zum Bundeshaushalt des Auswärtigen Amtes und zu Belarus

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nur ein Satz zu Herrn Paech: Wer sich in dieser Weise von der Politik der Vereinten Nationen absetzt, für den bleibt nur noch nationale oder nationalistische Politik. Das möchte ich hier festhalten.

Ich bin dem Kollegen Grund sehr dankbar – wir waren uns über alle Fraktionen hinweg darin einig –, dass er so eindringlich die Situation in Belarus geschildert hat. Es gibt seitenlange Listen mit Verhafteten. Es gibt Berichte von jungen Frauen, von Studentinnen, dass sie in der Haft von Milizen mit Vergewaltigung bedroht worden sind und ihnen gesagt worden ist, sie würden in den Wald verschleppt und dort umgebracht. Es geht dort also ganz fürchterlich zu.

Wir sollten uns darüber im Klaren sein: Das eigentlich Entscheidende wird sein, dass wir unser Interesse an Belarus aufrechterhalten.

Wir haben in kurzer Zeit zweimal darüber debattiert. Sie haben sicherlich eine realistische Einschätzung gegeben, als Sie sagten, wir würden einen langen Atem brauchen. Die Reformbewegung und die Opposition werden einen langen Atem brauchen. Deswegen brauchen auch wir einen langen Atem.

Es gibt über ganz vieles Einigkeit: Das Regime Lukaschenko ist diktatorisch. Die Wahlen waren weder frei noch fair. Das Lukaschenko-Regime ist für uns kein Partner. Es gibt Einigkeit in der Forderung nach Freilassung der Verhafteten. Ich möchte noch einmal daran erinnern, dass es nach wie vor seit dem 16. September 1999 vier Verschwundene gibt, deren Schicksal nie aufgeklärt worden ist, und es gibt einen ehemaligen Oppositionsführer, der auch schon sehr profiliert war, Herrn Marinitsch, der mit seiner Verhaftung aus dem Verkehr gezogen worden ist und fast schon vergessen zu werden droht. Das darf nicht noch einmal mit Milinkjewitsch passieren.

Es gibt aber auch eine andere Entwicklung. Die Angst scheint gebrochen zu sein. Es gibt eine sichtbare Opposition und es gibt Führungspersonen in dieser Opposition. Wir können vor allen Dingen feststellen: Der nächste Anlauf wird von einem höheren Niveau aus beginnen.

Die Frage ist jetzt, was es für uns zu tun gibt. Wir haben eben über die Informationspolitik gesprochen. Die Reichweite des erwähnten Radiosenders ist vollkommen unzulänglich. Da muss etwas passieren. Zum Beispiel muss der Visabann auf diejenigen ausgeweitet werden, die sich Verbrechen schuldig machen. Ich glaube, da sind wir uns einig, Stichwort „Einfrierung von Auslandskonten“.

Sanktionen zu verhängen, ist ein zweischneidiges Schwert. Wir wissen, dass Saddam Hussein ökonomische Misswirtschaft immer auf Sanktionen statt auf die eigene Politik schieben konnte. Wir sollten wissen: Belarus exportiert raffinierte Energie, die es billig von Russland bekommt, und erzeugt Düngemittel in großem Umfang. Wir sind Abnehmer. Devisen sind ein mächtiges Mittel. Über diesen Zusammenhang ist nachzudenken.

Das Wichtigste bleibt allerdings die Unterstützung der mutigen Menschen in Belarus. Wir wissen, es sind vor allen Dingen junge, gut ausgebildete Menschen, die sich in dieses dumpfe System Lukaschenko nicht mehr einbinden lassen wollen. Hier kommt jetzt unsere Verantwortung ins Spiel. Wir wissen, dass viele dieser jungen Menschen eine Exmatrikulation zu erwarten haben. Uns ist bekannt, dass viele Wissenschaftler nicht mehr werden weiterarbeiten können. Wir sollten dem Beispiel der polnischen Rektorenkonferenz folgen. Sie hat sich dazu bereit erklärt, 200 Studenten an polnischen Universitäten aufzunehmen.

Ich hoffe – damit verbunden ist ein eindringlicher Appell –, dass wir uns in Deutschland – vielleicht sogar zusammen mit Frankreich und Polen – zu einer solchen Initiative durchringen können; denn sonst leisten wir keine Unterstützung, sondern weinen nur Krokodilstränen. Das sollten wir nicht tun. Um es hier klar zu sagen: Es wird dabei auch um Stipendien gehen, um Sprachkurse und Ähnliches mehr.

Über die Frage der restriktiven Visavergabe kann hier anscheinend wieder rational gesprochen werden. Wer sich isoliert, der darf sich nicht wundern, dass der Informationsaustausch nicht funktioniert. Wir müssen nach Wegen der Öffnung suchen. Die 60 Euro für ein Schengenvisum sind ein Riesenproblem. Auch darüber ist zu sprechen.

Wir alle wissen, dass der Schlüssel zur Lösung der Probleme in Russland liegt. Deswegen möchte ich den Blick sehr gern noch kurz auf die Entwicklung der russischen Innenpolitik lenken. Die Bundeskanzlerin hat gesagt, es geht um eine strategische Partnerschaft mit Russland. Ich frage jetzt noch einmal: Was heißt das konkret? Wir sehen mit ganz großer Sorge, dass durch das NGO-Gesetz die demokratischen Strukturen und die Zivilgesellschaft in Russland immer stärker unter Druck gesetzt werden. Es gibt eine Kampagne gegen Nichtregierungsorganisationen, insbesondere gegen Bürgerrechtsorganisationen, an allererster Stelle gegen die Russisch-Tschetschenische Freundschaftsgesellschaft. Es hat einen Grund, dass ein massiver Druck auf diese Organisation ausgeübt wird. Die Kampagne richtet sich aber auch gegen Memorial, gegen die Moskauer Helsinki-Gruppe und gegen die Soldatenmütter.

Das alles muss uns interessieren, denn dort befindet sich der Keim der Demokratie in Russland. Man versucht jetzt, ihn zu zerstören, indem man den Vorwurf erhebt, ausländische Gelder würden genutzt, um umstürzlerische Kräfte zu unterstützen. Putin weiß, dass das nicht wahr ist. Der ihn stützende FSB weiß das auch. Das müssen wir deutlich aussprechen und wir müssen an der Seite dieser NGOs stehen.

Wir müssen in diesem Haus auch wieder über Tschetschenien reden. Die schwierigen Auseinandersetzungen im Irak, der Extremismus eines Ahmadinedschad, das weltweite islamistische Terrornetz, das alles rechtfertigt nicht die nackte, oft ziellose und immer haltlosere Gewalt gegenüber den Tschetschenen, übrigens auch gegenüber Inguschen, Nordosseten und anderen nordkaukasischen Völkern. Entführungen, wahllose Verhaftungen, Folter, erpresste Geständnisse, erzwungene Denunziationen, ein Marionettensystem Kadyrow, das immer mehr paramilitärische Terrortruppen entwickelt, das alles dürfen wir hier nicht schweigend hinnehmen.

Derzeit hat niemand eine Antwort darauf, wie es in Tschetschenien weitergehen soll.

Anders als damals aus Bosnien gibt es aus Tschetschenien keine Bilder. Ich fordere dieses Haus und auch die Regierung auf, den Blick dennoch wieder in den Nordkaukasus zu richten und dem strategischen Partner Russland sehr deutlich zu sagen, dass G 8 zu G 7 wird, wenn man nicht zu Rechtstaatlichkeit und Demokratie zurückkehrt.

Für den Europarat heißt das: Einen Vorsitz kann nicht haben, wer im Windschatten des Kampfes gegen den islamistischen Terror viele Menschen im Kaukasus zu Unrecht terrorisiert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Menschenrechte sind unteilbar. Wir sind uns in diesem Haus darüber weitgehend einig. Ich wünsche mir sehr, dass wir auch in diesem Hause, im Plenum und im Ausschuss, wieder über das schwierige Thema Tschetschenien sprechen.

Schönen Dank.

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