Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Serbien nach der Wahl: Tadic muss handeln

von Marieluise Beck und Dragoslav Dedovic (Heinrich-Böll-Stiftung Belgrad)

Nach den ersten Hochrechnungen haben etwa 2.300.000 wahlberechtigte Bürgerinnen und Bürger Boris Tadic gewählt. Die Differenz zu seinem nationalistischen Kontrahenten Tomislav Nikolic betrug in etwa 100.000 Stimmen.

Das knappe Wahlergebnis wird Tadic zum Nacharbeiten zwingen. Immerhin verweigerte ihm sein Koalitionspartner Koštunica die Unterstützung in der Stichwahl. Für Koštunica war das Kosovo wichtiger als die europäische Zukunft Serbiens. So wollte er Tadic abverlangen,  das paraphierte Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) zu suspendieren, falls die EU ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates eine Mission ins Kosovo entsendet. Tadic lehnte diese Erpressung ab und  gewann auf diese Weise an pro-europäischem Profil. Das mag ihm den Sieg über Nikolic gerettet haben.

Die knappe Differenz der Stimmen, die beide Kandidaten auf sich vereinen konnten, legt das Dilemma Serbiens offen: Die Gesellschaft ist tief gespalten. Auf den ersten Blick haben die Bürgerinnen und Bürger  zwischen Nationalismus und Europa gewählt. Der zweite Blick verändert dieses Bild. Hinter der "nationalen" taucht die "soziale" Frage auf: im achten Jahr nach dem Sturz von Milosevic grassiert die Korruption, die Arbeitslosigkeit ist hoch, das Gesundheitswesen marode – der soziale Abstieg weiter Teile der Bevölkerung ist gravierend. Ähnlich wie in anderen Transformationsländern haben sich auch in Serbien Oligarchen eine absolute Wirtschaftsmacht gesichert – das demokratische Serbien unterscheidet sich in diesem Punkt kaum von dem Milosevic-Regime.

Neben dem Festhalten am Kosovo machte Tomislav Nikolic auch diese Probleme zu seinen Wahlkampfthemen. Auf diese Weise erzielte er sein "Traumergebnis" von 48 Prozent.  Nikolic hatte kein Ein-Punkt-Programm, das sich nur um den Kosovo drehte – seine Agenda war national-sozial. Dies muss Tadic und seiner Demokratischen Partei (DS) eine Warnung sein.

Die Präsidentschaftswahl selbst hat noch keine Klarheit über den künftigen Weg Serbiens geschaffen. Das gilt nicht nur für die Kosovo-Frage. Es wurde z. B. im Westen kaum zur Kenntnis genommen, dass binnen weniger Wochen fast geräuschlos große Teile der serbischen Energiewirtschaft an Gasprom verkauft wurden. Es sei dahingestellt, ob Belgrad mit diesem Deal die russische Parteinahme im Kosovo-Konflikt bezahlt hat. Jedoch steht zu vermuten, dass Tadic  diesen Ausverkauf serbischen Volksvermögens mittrug, um Koštunicas Unterstützung im Wahlkampf zu erkaufen. Es ist unumgänglich, dass Tadic seinen ambivalenten Koalitionspartner Kostunica zur Klarheit zwingt –  das Liebäugeln des national-konservativen Ministerpräsidenten mit der Serbischen Radikalen Partei (SRS) ist nicht mehr tragbar. Das Land hat dringenden Reformbedarf, eine wackelige Regierung wird nicht in der Lage sein, die anstehenden Aufgaben anzupacken.

Das Präsidentenamt  in Serbien ist in seiner Macht begrenzt  – die Exekutive  hat das Sagen.  So bleibt die Frage, ob eine Koalition Tadic-Koštunica die angekündigte Unabhängigkeit des Kosovo überlebt.  Vorgezogene Parlamentswahlen sind nicht auszuschließen. Spätestens dann wird sich zeigen, ob Koštunica mit seiner Demokratischen Partei Serbiens (DSS)  wirklich zum "Demokratischen Block" gehört, oder – wie seine Kritiker behaupten – ein Krypto-Radikaler ist. Eines ist klar: das Kosovo kann nicht ewig Wahlkampfthema Nummer eins bleiben.

Boris Tadic gibt sich als Europäer. Aber Europa ist mehr als Reisefreiheit und wirtschaftliche Hilfe. Die Auslieferung des Hauptverantwortlichen für die "Operation Srebrenica", General Mladic, bleibt unverzichtbar. Eine Regierung, die Serbien in die EU führen will, darf  die historische Verantwortung des Landes  beim gewalttätigen Zerfall Jugoslawiens nicht ausblenden.

Die EU ist gut beraten, dem schwierigen Partner Serbien mit Geduld und Bestimmtheit gegenüber zu treten.  Putins "gelenkte Demokratie" wäre  für das serbische Volk  eine bittere Perspektive. Deshalb gilt es, die Türen zur EU für Serbien offen zu halten, allerdings verbunden mit klaren Erwartungen hinsichtlich rechtsstaatlicher, demokratischer und marktwirtschaftlicher Standards.

Lesen Sie hier die Pressemitteilung von Marieluise Beck zur serbischen Präsidentschaftswahl.

Thema: