Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Fischers Abschied in der Bundestagsfraktion

Marieluise Beck: "Berückend unverschämt" Ex-Vizekanzler und -Außenminister Joschka Fischer hat sich heute aus der Bundestagsfraktion von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verabschiedet und wird sein Bundestagsmandat im September niederlegen.

Marieluise Beck am 27.06.2006 in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen zum Abschied von Joschka Fischer:

Lieber Joschka,

ich weiß, dass Du Sentimentalitäten hasst und weinende Frauen noch mehr: all das will ich Dir heute ersparen. Deswegen zeigen wir auch nicht zum 30ten Mal den Film „Lust oder Frust“.

Die Frage, die dieser Film von Gerhard Bott aufgeworfen hat, können wir heute – 23 Jahre später – nun allerdings sehr klar beantworten: Politik war für Dich Lust. Joschka, ich glaube, Du und wir werden sehen, Politik ist für Dich Lust, nur Zeit und Ort und Art ändern sich.

Weil Frau Albright nun nicht konnte, bin ich nun hier die, die noch ein paar Bilder aus der alten Zeit hervorkramen darf.

Mein Joschka-Film im Kopf beginnt im Frankfurter Römer. Treffen einer ersten möglichen Fraktion in Frankfurt. Du lehntest den überwiegenden Teil der Sitzung im Türrahmen (Distanz). Viele von uns waren Dir sicher nicht ganz geheuer – zu emotional, zu moralisch, zu aufgeladen. Aber Du hast schon damals Deine Agenda aufgemacht – das war nicht die Verbesserung der ganzen Welt. Du hast schon damals die Machtperspektiven im Blick gehabt und gerufen: „Wir müssen die SPD so fest an uns randrücken, dass sie keine Luft mehr bekommt.“ Fast könnte man meinen, Du hattest einen historischen Weitblick, wenn ich mir die SPD jetzt so anschaue.

Das alles war 1983. Die Frankfurter Straßenjahre lagen schon hinter Dir – der erste Ehe-Versuch in Gretna Green auch. Der lustige Haarwirbel war noch da – einer dieser kleinen Codes, der so manches Frauenherz irgendwie anrührte.

Dann also tatsächlich Bonn. Das politische Establishment war entsetzt. Unter uns wenigstens ein Gentleman – nämlich Otto. Alle hatten irgendwie Respekt vor Otto. Der saß an seinem Schreibtisch, Füße auf der Platte – und dachte sehr früh vor allem darüber nach, wie man diese verdammte Rotation abschaffen könne. – Und anders als wir alle warst Du Otto gegenüber wunderbar unerschrocken und respektlos.

Mit Dir kamen: der unverwechselbare Raul Kopaniak. Eine Mischung aus treuer Heinrich und Rebell. Dazu Georg Dick. Dazu Herbert Rusche mit einem Riesenköter, … und wohl auch manche Cognacflasche, die für Notfälle in der Schreibtischschublade lagerte. Und solche Notfälle gab es viele. Die Bundestagsverwaltung muss das Ende des Abendlandes gefürchtet haben. Dass Du Dich dann wirklich in die Untiefen der Geschäftsordnung eingearbeitet hast, war fast ein Wunder. Aber Du warst eben ein schlaues Kerlchen!

Der erste große Auftritt: Die Kießling-Rede. Da wackelten im Parlament wirklich die Wände, da wurde der Muff unter den parlamentarischen Talaren gelüftet. – Mit dieser Rede hast Du Dir einen Platz in der politischen Bühne Deutschlands erobert!

Joschka und der Feminismus? Pustekuchen! Fischer, Schily und Kleinert hatten sehr schnell den informellen Draht der Männermacht geknüpft – ein erstes Spiegel-Kamin-Gespräch war lange eingetütet, natürlich ohne Beck und Kelly. In solchen Fragen ward Ihr Jungs Euch schnell einig – Skrupel jedenfalls machten Euch das Leben nie schwer.

Überhaupt: Die Moral! Lila Halstücher – ein Graus für Dich. Bedruckte T-Shirts, wie Petra sie liebte? Hast Du am Abend der Debatte zur Pershing-Stationierung Kinderbildchen an die CDU-Kollegen verteilt, die vom atomaren Tode bedroht waren? Nein, das war nicht deine Welt. Anders dagegen das abendliche Leben in der Provinz. Heute glaube ich, dass Schily, Schröder und Du schon damals den langen Weg zur Macht geplant habt. Vielleicht ohne es je aussprechen zu müssen. Oder warst Du vielleicht auch dabei, als Schröder am Kanzleramt gerüttelt hat?

Du warst berückend unverschämt, Joschka! Mit dem Stinkefinger für den Präsidenten, der Dich dafür – das glaube ich heute – fast mit einer zärtlichen Zuneigung bedachte. Mit den maßlosen und knallharten Breitseiten gegen Jutta Ditfurth, mit denen Du Dich gegen das weit verbreitete Harmoniegesäusel in der Partei gestellt hast. Es muss zu der Zeit einen Hund in Deinem Leben gegeben haben. Denn ein gewisser Dagobert spielt im Schlagabtausch mit Jutta eine Rolle: „Die leben wie Flöhe im Pelz von Dagobert“, „wie Dagobert vor dem Fleischerladen“.

Lieber Joschka, ich habe Dich oft verflucht, wenn Du so sehr deutlich sein konntest in der Abwehr von zu viel Emotionalität und Moral und dennoch: Wenn Du dann eine Stunde auf den Bremer Marktplatz gekämpft hattest, die Menschen erreicht  - und über Dein verschwitztes Gesicht ein verschmitztes Jungenlächeln ging – dann war klar, warum Dich viele Frauen wählen würden und auch ich konnte mein Herz gar nicht mehr ganz fest zu halten.

Lieber Joschka – am meisten gelobt fühltest Du Dich von mir als ich zu Dir sagte: „Du bist ein Tier. Ja, ein political animal durch und durch.

Es ist Zeit für Dich zu gehen, man steigt nicht zwei Mal in denselben Fluss. Aber die wunderbar verrückten, klugen, dummen und kämpferischen Jahre, die wandern eben doch jetzt mit Dir nach Princeton. Wir werden Dich alle besuchen kommen Professor Joschka – vielleicht öfter als Dir lieb ist.

Sei glücklich, bleib neugierig, bleib kraftvoll. Ich wünsche Dir die Geigen vom Himmel, Joschka.