Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Sven Diekmann zur Stammzellendiskussion

Der Kompromiss steht zur Debatte, weil er nur ein Kompromiss auf Zeit war. Er war für die Gegner embryonaler Forschung zumutbar, weil er nicht mehr Embryonen zur Forschung frei gab als für diesen Zweck bereits zur Verfügung gestanden haben und für die Forschungsbefürworter war er zumutbar, weil er der Forschung nicht im Wege stand. Dieser Kompromiss verfällt nun auf Seiten der Forschung, da die verwendbaren Zelllinien mit der Zeit abnehmen (noch 21 von ursprünglich 70). Den Stichtag nicht zu ändern heißt daher faktisch die Forschung an embryonalen Stammzellen mittelfristig zu verbieten.

Auch wenn die Forschung an embryonalen Stammzellen bisher kaum Früchte trug, ist Erfolglosigkeit kein Grund Forschung zu verbieten. In Deutschland ist die Freiheit der Forschung vom Grundgesetz garantiert. Der Bundestag sollte daher keine Verbote, seien sie auch nur indirekt, auf die Relevanz von Forschung stützen. Einzig ethische Argumente dürfen Wissenschaft die Grenzen aufweisen. Eine ethische Klarstellung ist daher wichtig, um der Diskussion ein Ende zu setzen.

Die erste wichtige Frage bei der Diskussion ist, ob dem menschlichen Embryo Menschenwürde zukommt. Ich werde eine andere Ansicht im Folgenden begründen, es gibt dennoch viele Menschen die diese Frage mit „ja“ beantworten. Rechnen wir dem Embryo Menschenwürde zu, dürfen Landesgrenzen keine Rolle spielen und die Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen muss aufhören. Doch steht die Menschenwürde dem Embryo zu?

Zunächst einmal besteht ein Mensch nicht nur aus seinen Genen, sondern benötigt mehr Einflüsse. Der Embryo enthält zwar alle Gene eines Menschen, doch einige Eigenschaften, wie z.B. die Körperachsen, werden erst im Mutterleib, nach der Einnistung in der Gebärmutter, durch diesen festgelegt. Um ein Mensch zu werden braucht der Embryo also die externe Steuerung. Würde er nur durch Zellteilung wachsen, würde – trotz vollständiger Gene - kein Mensch entstehen. Der Embryo ähnelt folglich Ei- und Samenzelle mehr als einem Fötus.

Menschenwürde wird in der Philosophie an Begriffen wie der „Person“ und nicht am „Menschen“ fest gemacht. „Menschen“ haben nur ethisch unbedeutende Gene gemein, „Personen“ jedoch besitzen ethisch relevante Eigenschaften wie Interessen. Menschenwürde ist eine ethische Größe und muss daher an Begriffen wie der „Person“ festgemacht werden. Eine „Person“ ist auch immer ein Individuum, eine nicht austauschbare, unteilbare Einzigartigkeit. Embryonen sind dies nicht, sonst könnten weder eineiige Zwillinge, noch Stammzelllinien existieren. Schlussendlich kann ihnen keine Menschenwürde zufallen.

Ein Embryo mag keine Menschenwürde besitzen, er ist aber immer noch menschliches Leben und, anders als eine adulte Stammzelle, fähig zu einem Lebewesen heranzuwachsen. Forschung an ihm darf daher nicht völlig frei von Beschränkungen sein.

Sein ungeklärter Status macht es dennoch möglich seine Rechte unter die eines Tieres zu stellen, da z.B. eine Maus empfindungsfähig ist. Tierversuche widersprechen dem Interesse einer Maus. Embryonen haben keine Empfindungen, keine Schmerzen, sie haben ausschließlich ein Interesse daran sich zu entwickeln (bzw. der potentielle Mensch hat dieses Interesse). Da nun alle in Deutschland zugelassenen embryonalen Stammzellen von Embryonen stammen, die niemals in den Mutterleib implantiert worden wären, werden durch ihre „Tötung“ und folgender Forschung keine Interessen verletzt, die nicht schon verletzt gewesen wären. Dies gilt auch für alle zukünftigen Stammzellen gleichen Ursprungs. Anders verhält es sich bei Tierversuchen oder bei tierischen embryonalen Stammzellen, die eigens für die Forschung erzeugt wurden. Hier empfindet das Tier Leid oder die tierischen Stammzellen stammen von Embryonen, deren Interesse am Heranwachsen durch ihre Erzeugung geschaffen wurde, um es für die Forschung zu verletzen.

Dennoch ist die menschliche embryonale Stammzelle menschliches Leben und muss nach öffentlicher Meinung mit besonderer Sorgfalt behandelt werden. Die obige Interessenbetrachtung reicht daher allein nicht aus.

Nicht verbrauchende Forschung am ausgewachsenen Menschen wird heute, unter strengen Auflagen, bei der Zulassung von Medikamenten systematisch durchgeführt. Wenn Forschung am Menschen durchgeführt wird, so ist es schwer nachzuvollziehen, warum an einem Embryo nicht geforscht werden dürfte. Die Forschung am Embryo ist zwar verbrauchend, aber wie oben bereits erläutert ist der Verbrauch, bzw. die Tötung, aus Sicht des Embryos keine weitere Interessensverletzung.

Der Embryo ist uns zu neu und unvertraut, als das wir per Gesetz einen Standard festlegen könnten der unseren ethischen Zweifeln gerecht wird. Die Ethikkommission als einschränkendes Gremium ist daher eine Lösung um Forschung sinnvoll zu begrenzen.

Wegen der Unvertrautheit mit dem Embryo, ist es bei der Diskussion wichtig, sich klar zu machen, dass nicht an Babys geforscht wird, sondern an Embryonen die niemals ein Baby geworden wären. Die Tatsache dass noch kein Mensch einen Embryo mit bloßem Auge sehen konnte, spielt sicherlich eine Rolle bei der Diskussion, da wir uns unberechtigter Weise mit dem Embryo identifizieren um heraus zu finden welche Entscheidung vertretbar ist.

Mir unverständlich ist die Diskussion über Forschungserfolge. Es handelt sich bei der embryonalen Forschung zwar um einen Zweig mit vielen Rückschlägen, doch war praktische Anwendung noch nie das primäre Ziel der Biologie.

Grundlagenerkenntnisse zu sammeln erscheint oft sinnlos, doch wenn wir stets nur in die praktische Anwendung investieren, verpassen wir revolutionäre Ideen, die in der Grundlagenforschung fast immer überraschend auftauchen.

Die Diskussion der Forschungserfolge wirkt wie eine Gewissensberuhigung um dem ethischen Problem der Embryorechte aus dem Weg zu gehen. Der Antrag 16/7985 enthält implizit die Annahme dem Embryo gebühre Menschenwürde. Da der Embryo aber ein so unklares Objekt ist, bleiben die Formulierung im Antrag verschwommen. Um die Forschung nicht gänzlich vor den Kopf zu stoßen werden Förderungen nahe gelegt und auf Tierversuche verwiesen. Die Forschung wird damit nicht zufrieden sein und ethisch scheint es mir auch nicht sicher, ob Tierversuche weniger Interessen verletzen als Versuche an menschlichen Stammzelllinien. Schließlich würden Tierembryonen eigens für die Forschung erzeugt. 16/7985 scheint mir ein mutloser Kompromiss zu sein, der sich zu nichts bekennt, lieber auf Nummer sicher geht und es keinem Recht macht.

Für mich gibt es ethisch zu wenige Gründe die Forschung am Embryo gänzlich zu verbieten. Sie muss begrenzt werden – der Ethikrat tut dies. Um die Forschung nicht indirekt zu verbieten muss der Stichtag verschoben werden. Eine rollierende Variante ist ein einfaches Mittel um die Funktion des Stichtages beizubehalten und die Forschung weiter zu ermöglich. Tierversuche sind keine Alternative, da sich ein tierischer Embryo nur genetisch von einem menschlichen Embryo unterscheidet und mir nicht klar ist, warum dies ethische Konsequenzen haben soll.

Sven Diekmann