Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede zu Bosnien und Herzegowina

Am 1. Dezember 2011 debattierte der Deutsche Bundestag über die Verlängerung des Mandats der Bundeswehr um ein weiteres Jahr für ihren Einsatz in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Europäischen Mission ALTHEA. Das Mandat ermöglicht den Einsatz von bis zu 800 Soldaten. Allerdings sind auf absehbare Zeit nur weniger als 10 Soldaten im Einsatz. Das Mandat beinhaltet jedoch auch ein Reserve-Batallion von 600 Soldaten für den Fall, dass sich die Sicherheitslage verschlechtert. Traditionell wird die Debatte über die Bundeswehreinsätze zur Diskussion über die politische Situation in der Einsatzregion genutzt. Zu Beginn ihrer Rede nutzte Marieluise Beck jedoch die Gelegenheit, über die am Tag zuvor in Belarus zum Tode verurteilten angeblichen Attentäter zu sprechen.

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Lesen Sie hier den Redetext:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Bitte gestatten Sie mir, eine Minute über ein anderes Land zu sprechen, bevor wir zu Bosnien kommen, nämlich über Belarus. Gestern sind in Minsk gegenüber Dmitrij Konowalow und Wladislaw Kowaljow Todesurteile ergangen, von denen wir nicht wissen, ob sie nicht vielleicht schon heute vollstreckt worden sind,  zwei Todesurteile nach völlig zweifelhaften Prozessen, nach einem ominösen Anschlag in der U-Bahn im vergangenen Frühjahr, von dem niemand weiß, ob die Spuren nicht eher zum KGB und in den Präsidentenpalast führen als zu diesen beiden Männern. Es gibt niemanden, der irgendeine Verbindung zu diesen beiden jungen Männern hat, die nach zwölf Stunden gestanden haben sollen.

Ich möchte zunächst meinem Entsetzen über dieses Urteil Ausdruck verleihen, gegen das keine Revision zugelassen wurde, und außerdem von dieser Stelle für den Deutschen Bundestag Präsident Lukaschenko dringlich auffordern, von den Hinrichtungen abzusehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Nun zu Bosnien: Wir sprechen heute über ein Mandat. Auch die Grünen werden der Verlängerung dieses Mandates, das immer mehr auch eine symbolische Funktion bekommt, zustimmen. Ich möchte aber auch auf die Stimmen aus Bosnien selber hinweisen, die uns davor warnen, dass wir zugunsten der innenpolitischen Botschaft, dass wir ein Mandat zu Ende bringen können, darüber hinwegsehen, dass die Situation krisenhafter ist, als wir es manchmal wahrhaben wollen. Das ist in etwa das, was ich schon vor einem Jahr gesagt habe. Der Kosovo zeigt uns, wie schnell in einer Situation, die wir für einigermaßen beruhigt halten, der Konflikt wieder aufbrechen kann. Insofern ist das Vorhalten einer gewissen Zahl militärischer Kräfte durchaus sinnvoll.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wichtiger aber ist es, über die Politik in dem Land und über das zu sprechen, was notwendig ist. Wir hören ständig, es gehe um vermeintliche Konflikte zwischen drei Ethnien. Das erzählen uns vor allem immer wieder diejenigen, die von genau diesem Narrativ leben: die Führer der nationalistischen Parteien bzw. diejenigen, die nur davon leben, zu reklamieren, dass ihre Ethnie aus Angst vor der anderen Ethnie Schutz durch eine eigene Entität und durch eigene Staatsstrukturen brauche. Diese könnten deshalb niemals akzeptieren, dass es gemeinsame gesamtstaatliche Strukturen geben könnte. Denn das würde bedeuten, dass ihre Ethnie wieder untergebuttert würde und nicht mehr zum Zuge käme.

Wir sind gerade in Cadenabbia mit Vertretern dieser Parteien zusammengetroffen. Mich beschleicht zunehmend das Gefühl, dass wir aufhören müssen, immer wieder denen eine Bühne zu geben, die von genau diesem Narrativ leben. Die Macht dieser selbsternannten ethnischen Führer liegt darin, dass sie Nationalismus propagieren und damit darüber hinweggehen, dass es in Bosnien viele Menschen gibt, die sich nicht ethnisch zuordnen wollen und dies auch nicht können, weil sie gar keiner Ethnie angehören. Ich glaube, wir wären gut beraten, endlich den Kräften unsere Aufmerksamkeit zu schenken, die sich aus dem Würgegriff des Nationalismus befreien wollen, und ihnen zu sagen, dass Europa keine weiteren Grenzen bedeutet, sondern dass es Vielfalt in demokratischen Staaten mit Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger statt ethnischer Zuordnung, verbunden sogar mit dem Recht, sich gar keiner Ethnie oder Religion zuzuordnen, und natürlich auch die Überwindung nationaler Grenzen bedeutet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich habe gestern Vertreter der Initiative K 143 getroffen. Sie heißt K 143, weil sie aus NGOs besteht, die für die 143 bosnischen Kommunen stehen. Ihre Mitglieder interessieren sich nicht mehr für diese Debatte der ethnischen Führer; vielmehr fordern sie den Aufbau kommunaler Strukturen und von Institutionen, die Entscheidungen fällen, wirtschaftliche Entwicklung und den Wiederaufbau der Landwirtschaft und Ausbildungsmöglichkeiten und Perspektiven für ihre Jugend. Sie wollen also eine gesamtstaatliche Funktionalität und keinen ethnischen Nationalismus, verbunden mit dem Zwang, sich zu definieren. Das ist die Zukunft Bosniens. Auf diese jungen Leute sollte die Europäische Union ihr Augenmerk richten und nicht auf die nationalistischen Führer.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Jetzt noch ein Wort zum OHR, weil alle auf diesen Dauerbrenner, die entsprechende Debatte zwischen Herrn Stinner und mir, warten. Es ist richtig, dass die Performance des OHR nicht immer überzeugend ist. Aber es sollte uns doch stutzig machen, dass es gerade die Separatisten, Präsident Dodik und Herr Covic, sind, die die Auflösung des OHR fordern, und nicht die jungen Leute von der Initiative K 143. Genau das sollte uns wirklich stutzig machen. Was haben wir denn noch in der Hand, wenn der OHR nicht mehr existiert, wenn wir - wie es die deutsche Diplomatie anstrebt - ihn „weghauen“ und wir dann nichts mehr über die „Bonn Powers“ durchsetzen können?

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:

Frau Kollegin!

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Was wollen wir tun, wenn zum Beispiel Herr Dodik - wie angekündigt - ein Referendum durchführt?

(Beifall des Abg. Michael Brand (CDU/CSU))

Ich warne vor dieser risikoreichen Strategie. Lassen Sie uns nicht etwas „weghauen“, bevor wir eine gute und überzeugende Alternative haben. An dem Punkt sind wir noch nicht.

Schönen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

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