Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Bericht von der Wahlbeobachtung in Belarus

Am 28. September 2008 fanden in Belarus Parlamentswahlen statt. Im Rahmen der Wahlbeobachtung durch die OSZE war Marieluise Beck gemeinsam mit der schwedischen Abgeordneten Annelie Enochson in Minsk und Umgebung unterwegs, um den Wahlgang vor Ort zu beobachten. Lesen sie hier den Bericht:

Bericht von der OSZE-Wahlbeobachtung in Belarus am 28. September 2008

Gemeinsam waren wir am 28. September 2008 für die Wahlbeobachtungsmission der Parlamentarischen Versammlung der OSZE in Wahllokalen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk und Umgebung unterwegs. Wir besuchten insgesamt 18 Wahllokale, die größtenteils in Schulen und Kindergärten untergebracht waren. Die Stimmung in den Wahllokalen war generell sehr freundlich und formal schien der Wahlgang weitestgehend korrekt zu verlaufen. Es waren jedoch nur wenige unabhängige Wahlbeobachter anzutreffen, die in der Regel staatlich kontrollierten Institutionen wie dem Roten Kreuz Belarus oder staatlichen Gewerkschaften angehörten. Oppositionellen Wahlbeobachtern wurde nach Bericht vieler Kollegen der OSZE-Wahlbeobachtungsmission kaum Zugang zu Informationen gewährt.

Die Kandidaten in einem Wahlbezirk in Minsk

In allen von uns besuchten Wahllokalen hatte ein Großteil der Wähler bereits am "early voting" (vorfristige Stimmabgabe seit dem 24.9.08) teilgenommen. In manchen Wahllokalen überstieg die Zahl der Frühwähler einen Anteil von 50%. Die Wahlurnen für das "early voting" standen über mehrere Tage ohne Kontrolle und Bewachung in den Wahllokalen.

Fast alle OSZE-Wahlbeobachter bestätigten im Debriefing unsere Erfahrung von einer sehr abweisenden Haltung der lokalen Wahlkommission, als wir nach Schließung der Wahllokale um 20 Uhr das Auszählen der Stimmzettel beobachten wollten. Wir erhielten keine freie Sicht auf die Tische, an denen ausgezählt wurde. Die Auszählungsergebnisse wurden nicht laut und offen bekanntgegeben.

Die Wahlkommission in einem Minsker Wahlbüro

Die Summe der Wahlzettel der Wähler, die das "early voting" genutzt hatten, der Wähler des eigentlichen Wahltags sowie der leeren Stimmzettel war um fast zweihundert Stimmen geringer als die Anzahl der im Wahllokal registrierten Wähler. Offensichtlich waren Wahlzettel verschwunden.

Bei der Auszählung der Wahlzettel des "early voting" wurden diese ohne erkennbar sorgfältiges Zählen zu Stapel aufgehäuft. Der Stapel für den Kandidaten der Kommunistischen Partei von Belarus war sichtlich höher als der der oppositionellen Gegenkandidatin. Erst nach Beratung in einer Ecke des Raumes und unter Zuhilfenahme eines Taschenrechners wurde die Zahl der Wähler des "early voting" genannt: 430. Zuvor war eine Zahl 546 angegeben worden.

Bei der Auszählung der Urne des eigentlichen Wahltages erschienen die Stapel der beiden Kandidaten zunächst etwa gleich groß. Der Vorsitzende der Wahlkommission sammelte jedoch die Stapel ein und verschob diese so, dass wiederum der Kandidat der Kommunistischen Partei von Belarus einen deutlichen Gewinn verbuchen konnte. Die Zahlen wurden auch hier wieder erst bekannt gegeben, nachdem in einer Ecke Beratungen stattgefunden hatten und mit einem Taschenrechner nachgerechnet worden war.

Die schwedische Abgeordnete Annelie Enochson (mitte) während eines gemeinsamen Besuchs mit Marieluise Beck in einem Minsker Wahlbüro

Fast alle Teams der OSZE-Wahlbeobachtung berichteten im Debriefing, dass der Auszählungsprozess für die Wahlbeobachter nicht nachvollziehbar durchgeführt worden sei. Außerdem ist das System des "early voting" zwar mit dem belarussischen Wahlgesetz vereinbar, bietet jedoch die Möglichkeit für massive Manipulationen.

Überprüfbar wären die Wahlergebnisse nur, wenn die OSZE die versiegelten Urnen der Vorabstimmung stichprobenartig öffnen könnte, um sie dann mit den öffentlich bekanntgegebenen Wahlergebnissen zu vergleichen. Außerdem müssten die Wahlbeobachter direkt am Tisch die laut verlesene Stimmenauszählung nachvollziehen können.

Trotz einiger geringer Verbesserungen kann auch diese Wahl nicht als fair und frei bezeichnet werden, weil sie eine ganze Reihe von Standards, zu denen sich Belarus als Teilnehmer der OSZE verpflichtet hat, nicht eingehalten wurden. Am schwersten wiegt, dass eine wirksame Überprüfung des Auszählungsprozesses verhindert wurde. Das System der vorfristigen Stimmabgabe ermöglicht außerdem massive Wahlmanipulationen. Nach Berichten der Langzeitbeobachter von ODIHR kam es aber auch im Vorfeld der Wahlen zu massiven Behinderungen der Opposition. Es gab keinen freien Zugang zu den Medien und Wahlkommissionen sowie starken Druck auf oppositionelle Kandidaten und ihre Familien.

Die heftige Diskussion der letzten Wochen innerhalb der Opposition um ein Boykott der Wahl ist im Lichte der Ergebnisse der OSZE-Wahlbeobachtung durchaus nachvollziehbar. Die gesamte Stimmung im Land war dennoch sehr viel ruhiger als bei den Präsidentschaftswahlen im März 2006. Dies, so einige Stimmen, sei mit den allgemein geringen Erwartungen an diese Wahlen zu begründen.

Präsident Lukaschenko hat die Gelegenheit nicht genutzt, nach der Freilassung der letzten politischen Gefangenen im August mit Verbesserungen bei der Parlamentswahl eine erste Öffnung der Gesellschaft von Belarus zu beginnen. Es existiert eine deutliche Diskrepanz zwischen der Ankündigung Lukaschenkos, Belarus würde bei diesen Wahlen sogar gegen eigene Gesetze verstoßen, um westlichen Standards zu genügen und der tatsächlichen Umsetzung. Scheinbar verfolgt Lukaschenko auch weiterhin ein taktisches Wechselspiel zwischen dem Westen und Russland. So sehr die Freilassung der politischen Gefangen zu begrüßen und auch zu honorieren ist, so sehr gilt es, auch in Zukunft das Regime in Minsk an seinen Handlungen und nicht seinen Ankündigungen zu messen.

Lesen Sie hier den vorläufigen Bericht der OSZE-Wahlbeobachtung in Belarus .

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