Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Russland und EU: Zwischen Wertegemeinschaft und Interessensallianz

Am 20. Juni 2007 fand zu diesem Thema ein öffentliches Fachgespräch von B90/Die Grünen im Bundestag statt.

Während die deutsche EU-Ratspräsidentschaft bemüht war, die Entwicklung einer "strategischen Partnerschaft" mit Russland voranzubringen, wurde die Liste von Konflikten zwischen unserem größten Nachbarn im Osten und der EU immer länger. Die Erneuerung des auslaufenden Partnerschafts- und Kooperationsabkommens scheint in weite Ferne zu rücken.

Die Bundestagsfraktion nahm diese Entwicklung zum Anlass für eine Diskussion mit Experten aus Wissenschaft, Politik und Wirtschaft über die Möglichkeiten einer Partnerschaft zwischen der EU und Russland. Zwei Schwerpunktthemen standen dabei im Vordergrund: Energiepolitik und die Entwicklung von Demokratie und Rechtsstaat in Russland. Beide Themen werden immer wieder auch in der Öffentlichkeit kontrovers diskutiert. So verschieden sie scheinen, gibt es doch einen Zusammenhang: Rechtsstaatlichkeit und vertragliche Zuverlässigkeit gehören zusammen. Wirtschaftsunternehmen und die Zivilgesellschaft haben ein gemeinsames Interesse an Rechtssicherheit. Demokratische Kontrolle erst kann sie gewährleisten.

v.l. Leonid Grigorjew, Marieluise Beck, Rainer Seele

Marieluise Beck hatte russische Energieexperten, Abgeordnete und Menschenrechtsaktivisten sowie deutsche Wirtschaftsvertreter, Umweltschützer und Russlandexperten eingeladen, dazu den Vorsitzenden von Bündnis 90/ Die Grünen, Reinhard Bütikofer. Fast 100 Interessierte hatten sich eingefunden.

In der ersten Diskussionsrunde, moderiert vom Europapolitischen Sprecher der Bundestagsfraktion, Rainder Steenblock, ging es um die Berücksichtigung umwelt- und wirtschaftspolitischer Aspekte in der Energiepolitik. Dabei wurden die Investitionsbedingungen für ausländische Unternehmen in Russland und die jeweiligen energiepolitischen Strategien der EU und Russland hinterfragt. Leonid Grigorjew vom Institut für Energie und Finanzen in Moskau betonte die Rationalität des Vorgehens russischer Energieriesen wie Gazprom vor dem Hintergrund der noch nicht überwundenen schweren wirtschaftlichen Krise der 90er Jahre. Frank Umbach von der DGAP dagegen bewertete die russische Energiepolitik in erster Linie als Instrument und Hebel der Außenpolitik und die Strategien der EU und Russland als konträr und unvereinbar.

Tobias Münchmeyer, stellvertretender Leiter der Politischen Vertretung von Greenpeace Deutschland,der auch besonderes Augenmerk auf den Umgang mit umweltpolitischen Standards legte, analysierte die strategischen Ziele russischer Energiepolitik als Wachstumsmotor und Profitmaximierung. Die Stärkung außenpolitischen Einflusses sei willkommener Nebeneffekt. Der drohenden Krise der Lieferfähigkeit wolle man mit dem Ausweichen in einen massiven Ausbau der Kohle- und Atomenergienutzung begegnen. Diese umwelt- und klimapolitische Katastrophe müsse durch energische Energieeinsparung verhindert werden.

v.l. Rainder Steenblock, Frank Umbach, Tobias Münchmeyer

Auf derartige Kritik ließ sich Rainer Seele, der Sprecher von WINGAS, einer gemeinsamen Tochter von Wintershall und Gazprom, nicht ein. Er beschrieb die Energiepolitik seines Unternehmens in Russland und der EU als wirtschaftliche Erfolgsgeschichte und Gazprom als zuverlässigen Lieferanten, zu dem es keine Alternative gäbe. Der Ertrag rechtfertige auch gewisse Investitionsrisiken, die in anderen Ländern durchaus größer seien als in Russland. Wirtschaftsunternehmen kalkulieren wirtschaftlich, nicht politisch, so seine Botschaft.

Den gleichen Standpunkt nahm in der zweiten Diskussionsrunde, bei der Fragen von Demokratie und Rechtsstaat im Vordergrund standen, auch der Vertreter des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, Martin Hofmann, ein. Er rechtfertigte damit die positiven Bewertungen für Russland aus der Perspektive der Wirtschaft. Damit setzte er der Situation von Demokratie und Rechtsstaat in Russland keinerlei Kritik entgegen. Ganz anders stellte der unabhängige Duma-Abgeordnete Wladimir Ryschkow die Entwicklung dar: Der Kreml kontrolliere praktisch das gesamte politische Leben einschließlich des Großteils der öffentlichen Meinung. Umweltschutz in der Wirtschaft würde mißachtet und allenfalls als Instrument zum Verdrängen unliebsamer Konkurrenz benutzt. Die Moderatorin Marieluise Beck hatte hierfür das Beispiel des Ölkonzerns Shell bei dem von Gasprom übernommenen Förderprojekt Sachalin-2 genannt.

v.l. Wladimir Ryschkow, Alexander Rahr

Eine veritable Kontroverse entwickelte sich aus dem Plädoyer des Programmdirektors für Russland bei der DGAP, Alexander Rahr. Er vertrat den Standpunkt, die autoritäre Regierungsweise Putins sei gerechtfertigt mit der notwendigen Konsolidierung Russlands nach der Jelzin-Zeit, in der die Existenz des Staates gefährdet war. Putins unbestreitbare Popularität rühre aus dem Erfolg dieser Bemühungen. Deutschland und die EU verstünden Russland nicht und wollten ihm ihr politisches System aufzwingen. Dagegen wehrte sich Reinhard Bütikofer. Die Verfolgung Oppositioneller, die systematische Behinderung der Zivilgesellschaft und die Einschränkungen bürgerlicher Rechte seien so nicht zu rechtfertigen. Demokratische und rechtsstaatliche Standards seien notwendige und nicht aufgebbare Maßstäbe, auch für eine strategische Partnerschaft.

Mit diesem Plädoyer war unsere, die Position der Bundestagsfraktion und von Bündnis 90/ Die Grünen, eindrücklich beschrieben. Auch die Debatte nach den Statements der ReferentenInnen bestätigten diese Haltung. Mehrere russische TeilnehmerInnen bekräftigten ihren Anspruch auf politische Rechte und den Weg zur Demokratie in Russland.

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