Marieluise Beck

ehem. Mitglied des Deutschen Bundestags

Plenarrede zum Russland-Antrag der Grünen Fraktion

Zur Einbringung des Antrags der grünen Bundestagsfraktion mit dem Titel "Anforderungen an eine strategische Partnerschaft der EU mit Russland" hielt Marieluise Beck am 1. Februar 2007 folgende Rede:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Für die deutsche Ratspräsidentschaft ist das Ziel vorgegeben, die Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit Russland in Gang zu bringen. Die EU will mit Russland entlang der vier Räume eine strategische Partnerschaft entwickeln. Deswegen müssen wir uns damit befassen und definieren, welche Anforderungen wir an diese Partnerschaft und damit an ein neues PKA stellen wollen.

Russland ist ein wichtiger, aber eben auch ein schwieriger Partner der EU. Die EU braucht Russland, aber umgekehrt braucht Russland auch die EU. Das gilt nicht nur für Gas und Öl, sondern auch für Russland als Teil einer demokratischen und friedlichen Staatengemeinschaft und als Teil von Europa. Es geht also um ein Russland, das einen konstruktiven Beitrag auch zur Lösung internationaler Krisen leistet, und um ein Russland, in dem sich die Zivilgesellschaft frei entwickeln kann und Journalisten nicht um ihr Leben fürchten müssen.

Der Energiehunger der westlichen Welt und zunehmend auch der Schwellenländer stärkt Russlands Stellung als Energielieferant. Aber jeder Lieferant braucht Käufer. Das sollten wir uns vielleicht öfter sagen. Der Lieferant Russland braucht westliche Technologie, um neue Ressourcen zu erschließen und seine eigene Energieeffizienz zu verbessern. Das heißt, Russland braucht auch westliche Devisen. Deswegen gibt es keinen Grund für die EU, Russland gegenüber in irgendeiner Form leisezutreten. Wir können sehr wohl verlässliche Lieferbedingungen verlangen und fordern, dass Öl und Gas nicht als politische Druckmittel verwendet werden wie etwa im Falle der Ukraine, im Fall von Belarus und vor allem auch – da ist es am offensichtlichsten – im Fall der litauischen Raffinerie, die Rosneft haben wollte und zu der kein Öl mehr fließt, seit eine polnische Firma den Zuschlag bekommen hat. In der Konsequenz bedeutet das, dass die Bundesregierung als EU- und G-8-Präsidentin Russland mit Selbstbewusstsein und voller Entschiedenheit gegenübertreten kann und muss.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das gilt auch für die elementaren Werte von Demokratie und Menschenrechten. Russland ist Mitglied der OSZE und des Europarates und hat sich mithin diesen Grundwerten verschrieben. Deswegen sollten wir Russlands Ansprüche auch ernst nehmen. Die Entwicklung der demokratischen Rechte ist unter Putin allerdings rückläufig, und das muss uns Sorge machen. Das fordert immer wieder unsere Konfliktbereitschaft. Rechtssicherheit, Gleichheit vor dem Gesetz und eine unabhängige Justiz sind wichtig für das Funktionieren jeder Demokratie.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Auch ausländische Unternehmen, die in Russland schon tätig sind oder tätig werden wollen, brauchen rechtliche Rahmenbedingungen, auf die sie sich verlassen können. Ich sage nur: Das Herausdrängen von Shell war ausgesprochen ominös. Der Europarat hat sich sehr besorgt über die fehlende Unabhängigkeit insbesondere der russischen Justiz geäußert.

Die Fälle, in denen Wissenschaftler, Journalisten und Anwälte wegen angeblicher Preisgabe von Staatsgeheimnissen angeprangert und ohne fairen Prozess zu hohen Haftstrafen verurteilt werden, sind besorgniserregend. Zwei von ihnen sind die beiden Physiker – ich möchte sie nennen, damit sie Öffentlichkeit bekommen – Igor Sutjagin und Valentin Danilow. Beide wurden nach dubiosen Verfahren zu 14 bzw. 15 Jahren Gefängnis oder Lagerhaft verurteilt. Ihnen wurde vorgeworfen, geheime Informationen preisgegeben zu haben. Dabei waren alle diese Informationen nachweislich bereits der Öffentlichkeit zugänglich. Nennen möchte ich hier auch den Anwalt Michail Trepaschkin. Er hatte dem FSB Beteiligung an Bombenanschlägen vorgeworfen. Auch er wurde wegen vermeintlicher Preisgabe von Staatsgeheimnissen von einem Militärgericht zu vier Jahren Haft verurteilt. Allen drei Prozessen ist gemein, dass sie unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfanden. Im Fall Danilow blieb sogar das Urteil geheim.

Neben dem prominenten Fall Chodorkowski gibt es die weniger bekannte Juristin Swetlana Bachmina aus dem Jukos-Konzern: Auch an ihr wurde ein Exempel statuiert. Ich möchte das sagen, weil eben hinter Chodorkowski auch noch weniger bekannte Namen stehen. Sie wurde zu sechseinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt – gerade oberhalb der Bewährungsgrenze. Frau Bachmina ist Mutter von zwei kleinen Kindern, die sie alle drei Monate einmal sehen darf.

Es gibt also wieder eine willkürliche Rechtsprechung in Russland. Das darf uns nicht gleichgültig sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Aus unserer Perspektive bedeutet eine strategische Partnerschaft immer auch die Einhaltung der universellen Werte, auf die sich die europäische Staatengemeinschaft verständigt hat.

Schönen Dank.

Hier können Sie den Antrag "Anforderungen an eine strategische Partnerschaft der EU mit Russland" nachlesen

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